Detroit

Nach „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“ widmet sich Kathryn Bigelow auch in ihrem neuesten Film einem fatalen politischen Ereignis. DETROIT erzählt von einem Vorfall während der Unruhen in der gleichnamigen Stadt im Jahr 1967 und trifft damit bis ins Mark. Mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Der Sommer 1967 ist ein ausschlaggebender Moment in der modernen amerikanischen Geschichte, als das Land von wachsenden politischen und sozialen Unruhen heimgesucht wird. Die Eskalation des Vietnamkriegs sowie jahrzehntelange Ungleichheit und Unterdrückung fordern ihren Tribut. Die Unzufriedenheit und kochende Wut finden schließlich ihren Höhepunkt in den Großstädten, wo die afroamerikanische Gemeinschaft seit jeher mit systematischer Diskriminierung sowie hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Als zwei Tage nach Beginn der Rebellionen auf der Anlage eines Motels Pistolenschüsse gemeldet werden, rückt die Polizei mit einem Großaufgebot an. Statt sachlich zu ermitteln, kommt es zu einer von Vorurteilen und Gewalt geprägten Razzia. Die anwesenden Motelgäste müssen sich einem gefährlichen Verhör unterziehen – in Isolation sollen sie durch Einschüchterung zum Geständnis gedrängt werden. Das lebensbedrohliche Machtspiel eskaliert und bringt schwerwiegende Folgen mit sich…
Kritik
Das Thema ist immer noch brandaktuell und trotzdem gehört das, was sich Ende der Sechzigerjahre in der Stadt Detroit ereignete, bis heute zu den schlimmsten rassenbedingten Auseinandersetzungen in der Geschichte Amerikas. Damals begannen sich die systematisch von den Weißen unterdrückten Afroamerikaner in einer Rebellion gegen so viel Ungerechtigkeit zu wehren, was sich in Straßenkämpfen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen entlud. Im Zuge dessen kamen allein im Jahr 1967 43 Menschen gewaltsam ums Leben. Regisseurin Kathryn Bigelow („Zero Dark Thirty“) nutzt die Tumulte mitsamt ihrer Herkunft zunächst für eine Veranschaulichung im nahezu dokumentarischen Stil, wenn sie ihr Drama „Detroit“ mit Archivaufnahmen von den Straßenschlachten beginnt und sich die Ereignisse erst nach und nach auf einen einzelnen Schauplatz konzentrieren. Das, was nun passiert, hat mit den ausladenden Gewalttaten auf den Straßen von Detroit zwar nichts mehr zu tun, denn vom brutalen Exzess geht Bigelow nun in ein minimalistisches Sezieren menschlicher Abgründe über (allerdings nicht, ohne dabei weniger rabiat vorzugehen), doch die bedrückende Unmenschlichkeit ist für den Zuschauer trotzdem kaum erträglich. „Detroit“ wird zu einem erschütternden Zeitdokument, an dessen Ende die traurige Erkenntnis liegt, dass Menschen aus Geschichte nicht zu lernen scheinen.
Nachdem Katheryn Bigelow mithilfe von echten Nachrichtenausschnitten und der Inszenierung von Szenen einsteigt, die man ebenso gut als Füllmaterial verwenden könnte, da sie einen schmerzhaft-authentischen Einblick in die hitzige Stimmung des Detroit 1967 bieten sowie die Bedeutungsschwere der darauf folgenden Geschichte noch einmal klarer verorten, wird „Detroit“ nach rund einer halben Stunde zu einem weitere zwei Stunden andauernden Kammerspiel. Nachdem Schüsse gefallen sind, nimmt eine Polizeistreife das Haus ins Visier, von wo aus die Schüsse gekommen sein müssen. An vorderster Front: der vom Scheitel bis zur Sohle rassistische und sich um keinerlei Regeln scherende Krauss (Will Poulter), der anders als sämtliche anderen Figuren in diesem Film nicht auf einem einzigen Charakter basiert, sondern stattdessen als menschliches Sinnbild für jene Ideologie gilt, weshalb es überhaupt erst zu den Rassenunruhen kam und somit diverse Vorbilder in sich vereint. Krauss macht keinen Hehl daraus, am liebsten sämtliche „Nigger“ in diesem Haus einfach erschießen zu wollen und spielt mit den unschuldigen Opfern nicht bloß perverse Todesspielchen (nach und nach nehmen er und seine Kollegen einen Bewohner nach dem anderen mit in ein Nebenzimmer und gaukeln eine Exekution vor), sondern setzt sich mehrmals so radikal über polizeiliche, ethische und – ganz simpel – menschliche Regeln hinweg, dass man als Zuschauer nicht umher kommt, ihm blanken Hass entgegen zu bringen. Gleichermaßen ist Drehbuchautor Mark Boal (zwischen ihm und Bigelow ist dies nach „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“ die dritte Zusammenarbeit) nicht daran interessiert, das Umfeld des Antagonisten näher nachzuzeichnen. Das ist auf der einen Seite schade, denn Krauss hätte bei aller Abscheulichkeit ein wenig mehr Betrachtung in die Tiefe vertragen. Andererseits bleibt Bigelow somit nur konsequent, denn auch im Hinblick auf die anderen Figuren erlaubt sie sich keinerlei emotionale oder private Unterfütterung (und wenn doch, wirkt sich das auch direkt wie Ballast aus), sondern lässt diesen Moment des Versagens sämtlicher zwischenmenschlicher Facetten still für sich sprechen.
Mithilfe von Handkameras fängt Barry Ackroyd („Jason Bourne“) die Beklemmung innerhalb dieser vier Wände derart kongenial ein, bis die Atmosphäre in „Detroit“ horrorfilmähnliche Zustände erreicht. Die Stimmung ist zum Zerreißen gespannt, denn indem sich Ackroyd mitunter fast zu nah an seine Charaktere heran begibt, erlebt das Publikum die innere Anspannung und Angst sämtlicher Figuren hautnah mit. Für den Zuschauer gibt es in „Detroit“ ebenso wenig ein Entkommen, wie für die Charaktere selbst; Erlösung bieten da zumindest zeitweise die Ausschnitte aus der Gerichtsverhandlung gegen die beschuldigten Cops. Zwar hängt Katheryn Bigelow den Prozess an die Ereignisse im Haus an, doch auch zwischendrin springt sie immer wieder zu Verhören und setzt das Geschehen direkt in den Kontext zu den Fragen, die den Opfern, genauso wie den Tätern gestellt werden. Vor allem durch diese Zusammenhänge offenbart sich oft erst der bittere Zynismus, der insbesondere in Krauss steckt; hält er sein menschenverachtendes Verhalten doch durchaus für angemessen. Als ebenfalls extrem interessant erweist sich in diesem Zusammenhang auch die Betrachtung des Polizeikosmos. Wenn Krauss gemeinsam mit seinen Kollegen darauf wartet, mit seinem Boss (John Krasinski in einer kurzen aber einprägsamen Rolle) über den Zwischenfall zu reden (was genau in besagter Nacht passiert, wollen wir an dieser Stelle natürlich nicht verraten), offenbaren sich Hierarchien und Spannungen innerhalb der Kollegen, die auf den späteren Verlauf noch großen Einfluss haben werden.
Für die Darsteller wurde sogar der Dreh von „Detroit“ zur Tour-de-Force, denn während der 143 Filmminuten sind die Machtverhältnisse derart radikal aufgeteilt, dass man sich immer wieder untereinander vergewissern musste, ob man abseits des Drehs weiterhin fein miteinander sei. Will Poulter („Maze Runner“), der zeitweise im Gespräch war, in der Neuverfilmung von „Es“ Pennywise zu spielen, mimt seinen Krauss mit Leib und Seele und lässt einen den naiven Teenager aus Filmen wie „Wir sind die Millers“ in seiner faszinierend-widerlichen Darstellung vollkommen vergessen. Mit einem Blick versprüht Poulter so viel Hass, wie ihn sämtliche seiner Co-Darsteller zusammen nicht aufbringen könnten. Ihm gegenüber stehen die Objekte seiner fehlgeleiteten Begierde, angeführt von „Star Wars“-Star John Boyega. Während er sich im Laufe der Ereignisse im Haus selbst noch ins Ensemble fügt und so deutlich wird, dass es hier nicht um ein Einzelschicksal, sondern um das der gesamten Afroamerikaner zur damaligen Zeit geht, steht Boyega insbesondere während der Verhöre im Fokus, als er sogar in eine Täterrolle gedrängt wird. Was Poulter an Abscheu auffährt, transportiert er als Verzweiflung und rührt damit zu Tränen. An seiner Seite brillieren unter anderem Anthony Mackie („Triple 9“), Nathan Davis Jr. („Chase Champion“), Jason Mitchell („Straight Outta Compton“) und Aigee Smith („Earth to Echo”), die in diesem Moloch der sinnlosen Gewalt allesamt zu einem kleinen Zahnrad im großen Gefüge werden. Genauso, wie auch dieses eine Ereignis bloß eines von vielen war.
Fazit: „Detroit“ ist ein erschütterndes Dokument sinnlosen Rassenhasses und veranschaulicht die Ereignisse einer Nacht im sozialpolitisch äußerst angespannten Detroit Ende der Sechzigerjahre. Eine Tour de Force für Zuschauer und Darsteller, die sich die Seele aus dem Leib spielen, um daran zu erinnern, dass es so etwas wie damals nie wieder geben darf.
„Detroit“ ist ab dem 23. November in den deutschen Kinos zu sehen.