Artemis Fowl

Nach ewigem Hin und Her, zig Verschiebungen und dem Todesstoß durch die Corona-Krise ist Disneys neuestes Big-Budget-Projekt ARTEMIS FOWL ab dieser Woche beim Streamingdienst Disney+ zu sehen. Dass man einmal vorhatte, den Weg übers Kino zu gehen, ist angesichts der Qualität kaum vorstellbar. Warum, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Artemis Fowl (USA 2020)

Der Plot

Artemis Fowl (Ferdia Shaw) ist der zwölfjährige Spross einer alten irischen Gangsterdynastie und ein kriminelles Genie. Als sein Vater (Colin Farrell) plötzlich verschwindet, begibt er sich auf die Suche und entdeckt dabei ein unglaubliches Geheimnis: Unter der Erde befindet sich eine uralte, fantastische Welt, die von Elfen beheimatet wird mit dem Namen Haven City. Der clevere Artemis vermutet eine Verbindung zum mysteriösen Verschwinden seines Vaters und schmiedet einen gefährlichen Plan: Um das Lösegeld zu bezahlen, infiltriert er die Elfenwelt, um den Entführern den Aculos zu bringen, das mächtigste und begehrteste magische Gerät der Feen.

Kritik

Aktuell vergeht kaum ein Tag, an dem nicht bekannt wird, dass wieder mal irgendein ursprünglich fürs Kino angedachter Film auf einem Streamingdienst verramscht wird. Und das ist weder ein Wunder noch wirtschaftlich nicht nachvollziehbar. Denn wenn die Leute nicht ins Kino gehen, muss das Kino eben zu den Leuten nach Hause kommen. Der neueste Deal zwischen dem Verleihgiganten Universal Pictures und der US-amerikanischen Kinokette AMC, zu der auch das in Deutschland ansässige UCI-Franchise gehört, macht es dem Publikum fortan sogar noch einfacher, die neuesten Hollywood-Produktionen nach bloß 17 (!) Tagen zuhause als Stream zu genießen. Eine Politik, der sich bislang noch kein weiterer Verleih angeschlossen hat. Auch Disney nicht. Doch dafür hat die Mäusefirma seinen Asia-Blockbuster „Mulan“ bereits als VOD-Kauftitel angekündigt und auch „Artemis Fowl“ ist der Sprung auf die Leinwand verwehrt geblieben. Während dieser Schritt bei „Mulan“ verwundert, aber im Anbetracht der Corona-Krise wohl auch irgendwie notwendig ist, um mit dem Film überhaupt noch Geld zu machen, ist es bei „Artemis Fowl“ kaum zu glauben, dass hier irgendwann einmal im Raum stand, den Film ins Lichtspielhaus oder – noch brachialer – überhaupt rauszubringen. Denn die obskure Mischung aus „Harry Potter“ und „Men in Black“ ist eine unausgegorene kreative Bankrotterklärung mit einer unsympathischen Hauptfigur.

Artemis Fowl (Ferdia Shaw) mit seinem Vater Artemis Fowl Sr. (Colin Farrell).

Nachdem der Buchautor Eoin Colfer im Jahr 2001 den ersten von insgesamt acht „Artemis Fowl“-Bänden auf den Markt gebracht hatte, sah er sich umgehend mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Das von ihm kreierte Universum mit einer normalen Menschen- und einer unterirdischen Zauberwelt, in der von den Erdenbewohnern unbemerkt Fabelwesen wie Zwerge, Elfen oder Zentauren leben, erinnert eindeutig an „Harry Potter“. Gegen die Vorwürfe zur Wehr setzte sich Colfer mit dem einzigen Argument der Ahnungslosigkeit; Er habe vorab nichts von J.K. Rowlings Erfolgsreihe gelesen. Zu einem durchschlagenden Erfolg wurden seine Bücher trotzdem – und das auch ganz sicher aufgrund des durch den Potter-Spross angehaltenen Hypes um Jugend-Fantasy-Literatur. Die Hoffnung Disneys, mit der ersten „Artemis Fowl“-Verfilmung auch ein ebenso erfolgreiches Filmfranchise aufzuziehen, zerschlagen Regisseur Kenneth Branagh („Mord im Orient Express“) sowie die Autoren Conor McPherson („The Eclipse“) und Hamish McColl („Johnny English – Jetzt erst recht!“) allerdings mit Anlauf, denn die emotionale Quintessenz der Bücher (das eigentlich so gewiefte Genie Artemis Fowl wird durch das plötzliche Verschwinden seines Vaters so richtig aus der Bahn geworfen, auch der mentale Zustand seiner im Film gar nicht erst vorkommenden Mutter setzt dem Dreikäsehoch schwer zu) berücksichtigen sie ebenso wenig für die Filmversion wie die Besonderheiten der Fantasiewelt, die hier wie ein Sammelsurium aller möglichen Kinouniversen – von „Avatar“ bis „Jupiter Ascending“ – wirkt.

„Das von ihm kreierte Universum mit einer normalen Menschen- und einer unterirdischen Zauberwelt, in der von den Erdenbewohnern unbemerkt Fabelwesen wie Zwerge, Elfen oder Zentauren leben, erinnert eindeutig an ‚Harry Potter’“.

Doch gut geklaut ist ja erst einmal besser als schlecht selbstgemacht. Doch von „gut“ kann im Falle von „Artemis Fowl“ keine Rede sein, da das Skript grundlegende erzählerische Aspekte verhaut. Angefangen bei der Hauptfigur. Zwar ist es angenehm, mit einem Zeitgenossen wie Artemis Fowl jemanden zu haben, der als Spross einer Gangsterdynastie eben nicht dem klassischen Jugendheldentypus entspricht. In der Buchvorlage entwickeln die Ecken und Kanten des Protagonisten ganz automatisch ihren Reiz, da ihm die Zeilen genug Raum lassen, um auch seine guten Seiten ausreichend hervorzukehren. Nicht ganz unwichtig, wenn man im weiteren Verlauf davon erzählen will, dass der eigentlich Gute zum Kidnapper (oder besser: Feennapper) mutiert, um seinen Vater freizupressen. Im Film dagegen ist der von Newcomer Ferdia Shaw verkörperte Artemis einfach nur unausstehlich und besserwisserisch. Man hat gar keine Lust, seinen neunmalklugen Ausführungen zuzuhören, wenn er seiner Umgebung mal wieder die Welt erklärt. Und wenn er in Zeitlupe und mit Sonnenbrille auf der Nase in Richtung Kamera spaziert, dann wirkt das in erster Linie peinlich, da er die durch dieses Bild suggerierte „Coolness“ überhaupt nicht mit seinen schmalen Schultern transportieren kann. Womit wir übrigens schon beim nächsten, Aspekt des Scheiterns von „Artemis Fowl“ wären: Die von Kenneth Branagh aufgewendeten Motive wie besagte Agenten-Pose, eine Szene, in der Artemis während eines Zeitstillstandes durch die Szenerie flitzt und kleine Dinge verändert oder ein von ihm benutztes Gerät, mit dem er die Erinnerungen seiner Mitmenschen löschen kann, stammen wahlweise aus „Men in Black“, „X-Men“ und eben noch ganz, ganz vielen anderen Filmen, aber so gut wie nichts hat man in „Artemis Fowl“ nicht schon mal woanders besser gesehen.

Zurück in der Menschenwelt…

Der dritte Schwachpunkt ist wohl der größte: das Skript. Denn auf dessen Basis eröffnen sich einem zahlreiche Erzählversäumnisse, von denen sich im Nachhinein kaum sagen lässt, ob sie schon im Drehbuch vorhanden waren oder erst durch die Postproduktion zustande kamen. Als Artemis etwa davon erfährt, dass unter der Erde noch eine geheime Elfenwelt existiert, bewegt er sich in der nächsten Szene bereits so selbstsicher durch ebenjene Welt, dass man denken könnte, dass er hier zuhause wäre. Kein Staunen, keine Irritation und vor allem kein Vorbereiten auf die gefährliche Mission. Es ist, als würde eine komplette halbe Stunde fehlen. Nur eines von vielen Beispielen, durch die man den Eindruck gewinnt, „Artemis Fowl“ sei mit einer ganz heißen Nadel gestrickt worden (bei einem Budget von 125 Millionen US-Dollar eigentlich kaum vorstellbar). Als Kompensation dieser „Show don’t tell“-Ausfälle wählen die Macher den denkbar billigsten Weg und setzen auf jede Menge Erklärdialog sowie einen Erzähler (gespielt von Josh Gad), der dem Publikum die Handlung so lange durchkaut, bis es die nur noch schlucken muss. Da hilft es auch nicht, dass einige der Computerffekte – insbesondere jener, in der die Zeit eingefroren wird und die stillstehenden Wassermassen eine, im wahrsten Sinne des Wortes, berauschende Kulisse bilden – zum Teil ganz passabel geraten ist. Allzu viel Zeit zum Staunen bleibt auch nicht, denn Artemis rast regelrecht durch die Handlung; kein Wunder, wenn die Momente zum kurzen Verschnaufen offenbar alle der Schere zum Opfer gefallen sind.

„Der dritte Schwachpunkt ist wohl der größte: das Skript. Denn auf dessen Basis eröffnen sich einem zahlreiche Erzählversäumnisse, von denen sich im Nachhinein kaum sagen lässt, ob sie schon im Drehbuch vorhanden waren oder erst durch die Postproduktion entstanden sind.“

Was große Namen wie Judi Dench („Geheimnis eines Lebens“) oder Colin Farrell („Dumbo“) dazu bewogen hat, an einem Film wie „Artemis Fowl“ mitzuwirken, lässt sich zumindest mit der Komplexität der Figuren nicht erklären. Während Dench die meiste Zeit mit Batman-Gedächtnisstimme spricht und im letzten Drittel vollkommen freidreht, ist Farrell kaum zu sehen. Dabei bräuchte der Film dringend darstellerische Substanz, die Hauptdarsteller Ferdia Shaw einfach (noch) nicht liefern kann. Doch so frustrierend es klingt: „Artemis Fowl“ ist einfach auf ganzer Ebene ein Desaster. Und trotz Cliffhanger dürfte wohl kaum ein zweiter Teil folgen.

Fazit: Das wird wohl nix mit dem nächsten großen Jugendfantasy-Hit: Der nun auf Disney+ veröffentlichte Big-Budget-Fantasyfilm „Artemis Fowl“ ist lediglich eine erzählerisch lückenhafte Aneinanderreihung bekannter Genremotive, durch die ein unsympathischer Hauptcharakter spaziert.

„Artemis Fowl“ ist ab dem 14. August bei Disney+ streambar.

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