Leid und Herrlichkeit

Eine Autobiographie schreiben, wollte der spanische Regisseur Pedro Almódovar nie. Stattdessen legt er mit LEID UND HERRLICHKEIT nun einen stark von seinem eigenen Leben inspirierten Film vor, in dem Antonio Banderas so gut aufspielt wie lange nicht. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Regisseur Salvador Mallo (Antonio Banderas) entdeckte schon früh seine Leidenschaft für das große Kino und die Geschichten, die es erzählt. Aufgewachsen im Valencia der 60er Jahre, aufgezogen von seiner liebevollen Mutter (Penélope Cruz), die sich ein besseres Leben für ihn wünscht, zieht es ihn in den 80er Jahren nach Madrid. Dort trifft er auf Federico (Leonardo Sbaraglia), eine Begegnung, die sein Leben von Grund auf verändern wird. Gezeichnet von seinem exessiven Leben blickt Salvador jetzt auf die Jahre zurück, in denen er als Regisseur große Erfolge feierte, schmerzliche Verluste hinnehmen musste, aber auch zu einem der innovativsten und erfolgreichsten Filmschaffenden in Spanien wurde. Durch die Reise in seine Vergangenheit und die Notwendigkeit diese zu erzählen, findet Salvador den Weg in ein neues Leben…

Kritik

Ganze sieben Mal hat Pedro Almódovar („Die Haut, in der ich wohne“) bereits mit Superstar Antonio Banderas („Knight of Cups“) zusammengearbeitet. Da liegt es nah, dass er auch in seinem neuen Film „Leid und Herrlichkeit“ wieder mit an Bord ist, denn wer sollte das Abbild des spanischen Erfolgsregisseurs sonst verkörpern, als dessen langjähriger Weggefährte? Abbild deshalb, weil der seine Weltpremiere auf dem diesjährigen Filmfestival von Cannes gefeierte „Leid und Herrlichkeit“ in groben Zügen ein Biopic ist. Viele der hier geschilderten Motive lassen sich direkt oder indirekt von Almódovars Leben ableiten; vor allem das Leid, bestehend aus körperlichen Gebrechen und die schwierigen Verhältnisse, in denen der gebürtig aus der spanischen Provinz Ciudad Real stammende Filmemacher aufgewachsen ist. Aber auch die Herrlichkeit in Form seiner ihn stets innig liebenden Mutter (das Mutter-Motiv ist nicht zum ersten Mal einer seiner zentralen Dreh- und Angelpunkte im Film) und der aufopferungsvolle Einsatz für das Selbstverständnis von Homosexualität. Inwiefern aber auch angerissene Themen wie der späte Drogenkonsum (im Film nimmt die Hauptfigur im Alter von 60 Jahren das erste Mal Heroin) explizit auf Almódovars Leben zurückzuführen, oder einfach nur eine motivische Entsprechung irgendeines anderen Lasters sind, darüber hat sich der heute 69-Jährige bislang ausgeschwiegen. Und vielleicht ist das auch der beste Ansatz, um einen Film wie „Leid und Herrlichkeit“ abseits seiner betörenden Schönheit und der durch und durch melancholischen Erzählung zusätzlich mit Faszination zu unterfüttern. Was ist echt, was nicht? Almódovar spielt einmal mehr mit verschiedenen Wahrnehmungsebenen und präsentiert dadurch einen Film, der auch für Zuschauer abseits seiner Liebhaberschaft berauschend ist.

Salvador Mallo und sein Ex-Geliebter Federico (Leonardo Sbaraglia) treffen nach über 20 Jahren wieder aufeinander

Wie groß Almódovar seinen neuen Film gedacht hat, offenbart ein Blick auf die Einbettung in seine bisherige Vita: „Leid und Herrlichkeit“ ist nicht nur der Abschluss einer Trilogie; nach „Das Gesetz der Begierde“ (1987) und „La Mala Educación – Schlechte Erziehung“ (2004) ist dieser nun der dritte Film mit einem Filmregisseur als Protagonisten, in dem Begierde und filmisches Erzählen eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die innere Struktur des Films zeigt die für Almódovar ungewöhnlich ausladenden Ausmaße, weg von der für ihn sonst üblichen erzählerischen Intimität. Einblicke in die Kindheit seines Protagonisten Salvador dienen als dramaturgische Klammer. Dazwischen erleben wir den gealterten Salvador als einen der populärsten spanischen Filmemacher der Jetztzeit im Kampf gegen seine körperlichen Ermüdungserscheinungen. Zwischendurch springt Almódovar noch mehrmals an andere Stellen aus Salvadors Leben; zu einem Vorsingen im Knabenchor, zu einem der letzten Gespräche mit seiner dem Tode geweihten Mutter oder in Flashbacks zu der Zeit, in der der junge Salvador die Abende seiner Kindheit vor der Kulisse selbst aufgebauter Freiluftkinos verbrachte („Das Kino meiner Kindheit roch nach Pisse.“) All das sind Momente, in denen einen das Gefühl nicht loslässt, Almódovar ginge es in erster Linie um eine Liebeserklärung an seine Vergangenheit, von den knallig-schwelgerischen Farben abgeleitet, in denen Kameramann José Luis Alcaine („Offenes Geheimnis“) das Geschehen einfängt, vielleicht sogar ein wenig an sich selbst. Von Abrechnung keine Spur.

Dann wiederum wird Almódovar – müßig zu erwähnen, dass er auch das Drehbuch selbst geschrieben hat – bemerkenswert selbstkritisch. Insbesondere Salvador Mallos Begegnungen mit dem Schauspieler Alberto (Asier Etxeandia, „Ma Ma – Der Ursprung der Liebe“) sind gleichermaßen abrechnend wie reumütig. Die Beziehung zwischen den beiden Männern, Salvador war einst als Regisseur mit Albertos Leistungen in seinem erfolgreichen Film „Sabor“ nicht zufrieden, worüber die Freundschaft der beiden zerbrach, ist bis heute schwierig. Aufgrund der Restauration von „Sabor“ und einer in diesem Zuge stattfindenden Wiederaufführung, soll der Streit der beiden Männer beigelegt werden; im Wege stehen ihnen allerdings ihre mächtigen Egos. Ähnlich wie der in diesem Zuge begonnene Heroinkonsum, dem Almódovar strukturell ein ganzes Kapitel („Die Abhängigkeit“) widmet, ist in diesem Teil des Filmes nie ganz deutlich, woher der Regisseur seine Inspiration dafür nahm. Auch von derartigen Querelen mit früheren Schauspielern gelang nie etwas nach außen. Auf die Frage, ob „Leid und Herrlichkeit“ auf seinem Leben basiere, antwortete er „Nein, und ja, auf jeden Fall.“ – ein Zitat, das es bis in den Trailer geschafft hat und das den Zuschauer gleichermaßen ratlos wie fasziniert vor der Leinwand zurücklässt. Es fühlt sich ungewohnt an, dass ein Künstler sich selbst freiwillig in ein doch eher wenig glanzvolles Licht rückt und das vielleicht sogar mehr, als er müsste. Schließlich hätte er die Phase des Heroinkonsums, erst recht, wenn sie gar keine authentische Entsprechung zu Almódovars realem Leben besitzt, gar nicht erst erwähnen brauchen. Zumal er im Film so wirkt, als wolle Salvador seinem einstigen Freund einfach nur gefallen. Das stößt den Zuschauer immer wieder vor den Kopf, macht aus dem Protagonisten allerdings eine weitaus reizvollere Figur, als wenn ihm derartig grobe Ecken und Kanten verwährt bleiben. Und am Ende steht für Almódovar ja vor allem das Ziel im Mittelpunkt, einen komplex-unterhaltsamen Film zu machen. Und wer weiß? vielleicht entsprechen diese Leinwandereignisse dem wahren Almódovar ja auch mehr, als es uns, als es ihm selbst lieb ist!?

Eduardo (César Vicente) zeigt dem jungen Salvador Mallo (Asier Flores) sein Portrait

Durch die sich bisweilen der Schwerfälligkeit des Protagonisten anpassenden Regieführung (gerade im Mittelteil tritt „Leid und Herrlichkeit“ ein wenig auf der Stelle) und die dem Ganzen einen regelrecht leidenden Anstrich verpassende Filmmusik (Alberto Iglesias, „Julieta“), die von theatralischen Streichern auf fast schon exzentrische Art und Weise dominiert wird, wohnt dem Film eine Melancholie inne, die den Gemütszustand des Protagonisten nicht besser beschreiben könnte. Und doch ist „Leid und Herrlichkeit“ kein ausschließlich schmerzvoller Film. Stattdessen lässt Almódovar die schönen und die tragischen Ereignisse seines Lebens Hand in Hand gehen. Freude über Applaus und Anerkennung findet hier ebenso ihren Platz wie Abschiede oder Liebesschmerz, dem der Geschichtenerzähler die Bilder vom unschuldigen Erwachsenwerden gegenüberstellt. All das vereint Antonio Banderas in einer seiner besten Rollen überhaupt, gerade weil er sich die Manierismen des echten Almódovar nie zu Eigen macht. Sein Salvador ist eine vollkommen für sich stehende Figur; schwer zu greifen, mit nachvollziehbaren Problemen, die man ebenso oft schütteln wie in den Arm nehmen möchte. Ihm ebenbürtig agiert Penélope Cruz („Mord im Orient-Express“) in der Rolle der gleichermaßen um ihren Jungen besorgten wie resoluten Mutter. Ohne ihre ärmlichen Lebensumstände zu verstecken, gelingt es ihr, dem Zuschauer das heimelige Gefühl spürbar zu machen, das sie auch Salvador einst verschaffte. Ohne Überstilisierung wird auch in „Leid und Herrlichkeit“ die Mutter zur unerschütterlichen Beschützerfigur. Wenn hier schließlich einer der letzten Dialoge zwischen Mutter und Sohn der Vorwurf ist, dass Salvador „nie ein guter Sohn“ gewesen sei, dünkt einen, warum.

Fazit: Nicht nur die Frage, welche der hier geschilderten Ereignisse tatsächlich auf dem Leben des Regisseurs basieren, macht „Leid und Herrlichkeit“ zu so einem faszinierenden Kinoerlebnis. Abseits kleinerer Längen ist Pedro Almódovars autobiographisch angehauchtes Drama eine Liebeserklärung an das Leben mit all seinem Schmerz, seinen Triumphen, der Leere und der Schönheit, die einen bisweilen erschlagen kann.

„Leid und Herrlichkeit“ ist ab dem 25. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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