Geheimnis eines Lebens

Das Leben der russischen Spionin Joan Stanley füllte Zeitungen und sorgte vor allem in ihrem Heimatland Großbritannien für jede Menge Aufsehen. Nun erscheint mit GEHEIMNIS EINES LEBENS ein Film über die „Spionage-Oma“, wie einst die Sun titelte. Der ist solide – aber auch nur, weil das Leben der Protagonistin selbst so spannend war. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Großbritannien im Jahr 2000: Die Engländerin Joan Stanley (Judi Dench), weit in ihren Achtzigern, lebt in ihrem Vorort-Häuschen ein unauffälliges Rentnerdasein. Doch damit hat es ein abruptes Ende, als der MI5 vor der Tür steht und die alte Dame festnimmt, weil sie Geheimnisse an die Russen verraten haben soll. 1938: Als junge Frau studiert Joan (Sophie Cookson) in Cambridge Physik und verliebt sich in den ebenso attraktiven wie manipulativen Kommunisten Leo Galich (Tom Hughes), durch den sie die Welt in einem neuen Licht zu sehen beginnt. Wenige Jahre später arbeitet sie während des Zweiten Weltkriegs für ein geheimes NuklearForschungsprojekt. Und erkennt, dass die Welt im Kräftemessen zwischen Ost und West kurz vor der gegenseitigen Zerstörung steht. Joan muss sich entscheiden, ob sie stark genug ist, ihr Land und ihre Liebe für den Frieden zu verraten.

Kritik

Zu ihren Arbeitgebern gehörten das Innenministerium der UDSSR (NKWD), die Geheimpolizei der Sowjetunion (GPU), das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit (MGB) und den sowjetischen In- und Auslandsgeheimdienst (KGB). Als sie 1999 in ihrer Heimat Großbritannien festgenommen wird, war sie bereits 87 Jahre alt. Grund genug für das Klatschblatt Sun, Melita Norwood als „Super-Spionage-Oma“ zu betiteln, denn zum damaligen Zeitpunkt gab es keine ältere Spionin als sie. Obwohl man ihr die Taten später nachweisen konnte und Norwood sie darüber hinaus auch nie leugnete, wurde sie nie dafür belangt. Norwood zeigte kein Schuldbewusstsein, weigerte sich bis zuletzt, Agentenlohn anzunehmen und beteuerte, dass es ihr nie darum ging, der Sowjetunion mithilfe der Zulieferung von Atomgeheimnissen Vorteile gegenüber Großbritannien zu verschaffen, sondern stattdessen für eine Angleichung des Wissenstandes sowjetischer und britischer Wissenschaftler zu sorgen. Ihre Hoffnung: Würden diese erst einmal um die Wirkungskraft einer Atombombe wissen, würde sie keiner von ihnen benutzen. 14 Jahre nach ihrem Tod im Juni 2005 erscheint mit dem treffend betitelten Biopic-Drama „Das Geheimnis eines Lebens“ nun ein Film über Norwoods Vergangenheit als durch Zufall ins Metier gerutschte Geheimagentin. Ihren Weg von der Sekretärin hin zu Physikerin und später Spionin inszeniert Regisseur Trevor Nunn („Was ihr wollt“) routiniert. Doch im Anbetracht von Norwoods außergewöhnlichem Lebensweg scheint routiniert nicht gut genug. „Das Geheimnis eines Lebens“ hat was von einem verfilmten Wikipedia-Artikel.

Melita Norwood (Judi Dench) muss sich ihrer Vergangenheit stellen.

Nunn bettet Norwoods in Rückblenden geschilderte Zeit als Spionin in ein nachgestelltes Verhör ein. In jungen Jahren wird sie von der aus „Kingsman“ bekannten Sophie Cookson verkörpert. In die Rolle der soeben festgenommenen Rentnerin schlüpft Grande Dame Judi Dench („Victoria & Abdul“)Doch anders als es das Poster suggeriert, fällt ihre Screentime völlig unterschiedlich aus. Dench ist Stichwortgeberin, während Cookson die meiste Zeit der Geschichte bestreiten darf. Das ist natürlich naheliegend, immerhin kann Drehbuchautorin Lindsay Shapiro („The Head Hunter“) die von Dench vorgetragenen Ereignisse mithilfe von Rückblenden ansprechend und abwechslungsreich bebildern. Trotzdem gelingt es Regisseur Trevor Nunn nur bedingt, diesen Pass umzuwandeln, sodass man das alles umklammernde Verhör letztlich sogar gar nicht gebraucht hätte. Hinzu kommt eine nur bedingt leinwandtaugliche Inszenierung. „Geheimnis eines Lebens“ sieht zwar nicht schlecht aus, doch Kameramann Zac Nicholson fällt nicht viel mehr ein als den Ereignissen im diskreten Abstand zu folgen und in den das Geschehen dominierenden Dialogen auf spannungsarme Schuss-Gegenschuss-Szenen in einem noch dazu stark überbeleuchteten Setting zu setzen. Was fehlt, ist die vielzitierte Liebe zum Detail, sodass man sich ständig in einer Studiokulisse, nie aber wirklich vor Ort wähnt. Artverwandte Filme wie „The Imitation Game“ haben längst bewiesen, dass sich selbst vermeintlich trockene Wissenschaftsthemen spannend veranschaulichen lassen. Sogar Kameramann Zac Nicholson selbst hat seine Filme bereits in wesentlich elegantere Bilder gekleidet; siehe: „Deine Juliet“.

Am ehesten erinnert „Geheimnis eines Lebens“ an eine BBC-Dokumentation. Das gilt nicht nur für seine Inszenierung, auch erzählerisch folgt der Film einer wenig spektakulären Dramaturgie. Drehbuchautorin Lindsay Shapiro hakt eine Lebensstation nach der anderen ihrer Heldin ab; von der ersten großen Liebe über ihre unverhoffte Anstellung bei einem schwer geheimen Atomprojekt bis hin zur Festnahme, folgt der Film so routiniert den ungeschriebenen Gesetzen einer Filmbiographie, dass man am Ende von „Das Geheimnis eines Lebens“ zwar guten Gewissens ein Referat über die hier porträtierte Dame halten könnte. Dafür reicht aber auch ein Blick auf den Wikipedia-Artikel rund um Melita Norwood. So muss es also das Leben selbst richten, um „Geheimnis eines Lebens“ aus seinem betulichen Trott herauszuholen. Und zumindest auf dieser Ebene haben sich die Macher des Films eine Hauptfigur ausgesucht, deren Leben ganz einfach erzählenswert war. Selbst wenn man schon den ein oder anderen Spionagethriller gesehen haben sollte.

Sonya (Tereza Srbova) stellt Joan (Sophie Cookson) ihren Cousin Leo (Tom Hughes) vor.

Melita Norwoods Werdegang war nämlich derart außergewöhnlich, dass „Geheimnis eines Lebens“ nie langweilig wird und sich im besten Sinne „weggucken“ lässt, ohne das Gefühl zu haben, gerade 100 Minuten seines Lebens verschwendet zu haben. Darüber hinaus nutzt Trevor Nunn einige besonders aufwühlende Ereignisse in Norwoods Vergangenheit, um immer mal wieder szenenweise eine thrillerähnliche Anspannung im Kinosaal zu verbreiten. Als eines Tages zum Beispiel eine unangekündigte Durchsuchung in Joans Arbeitsumfeld stattfindet, droht die junge, von Sophie Cookson mit der genau richtigen Mischung aus Zurückhaltung und idealistischem Mut verkörperte Frau aufzufliegen. Wie es ihr gelingt, sich ausgerechnet mit einer Packung Damenbinden aus der gefährlichen Situation zu retten, ist nicht nur smart, sondern hat auch einen hohen symbolischen Wert. „Geheimnis eines Lebens“ erlaubt sich nämlich einige starke feministische Statements; mal mehr, mal weniger subtil („Niemand würde uns verdächtigen. Wir sind Frauen!“). Und nicht zuletzt wurde Norwood ja vor allem deshalb über ein halbes Jahrhundert nicht enttarnt, weil man ihr zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal zutraute, physikalische Prozesse zu beurteilen, sondern höchstens, den Tee zu servieren.

Fazit: „Geheimnis eines Lebens“ lebt von der außergewöhnlichen Lebensgeschichte einer Frau, die 40 Jahre lang unerkannt als Spionin tätig war. Schade ist, dass Regisseur Trevor Nunn nicht auch einen außergewöhnlichen Inszenierungsstil gewählt hat, sondern einfach nur die Vita seiner Protagonistin herunterbetet.

„Geheimnis eines Lebens“ ist ab dem 4. Juli in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Was vefblüfft, ist, dass diese Dame wohl nie für ihre Verbrechen belangt wurde. Sie hat ja nicht fürs Takatukaland sondern für eines der grausamten Regime – Stalins Tyrannis – überhaupt gearbeitet. Das muss ihr bewusst gewesen sein.
    Es gibt doch so etwas wie einen Rabatt auf Recht für eingie Personen.
    Warum dieser Nunn ihr ein Denkmal setzt obgleich er sie für ihren Idealismus kritisiert, bleibt dennoch fraglich und wird die Einnahmen des Films doch ziemlich beschränken

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