Kingsman: The Secret Service

Der Regisseur von „Kick-Ass“ legt mit KINGSMAN: THE SECRET SERVICE nach und präsentiert dem aufgeschlossenen Publikum einen Streifen, der sich nicht nur partout in keine Schublade einordnen lässt, sondern auch so unberechenbar daherkommt, dass man sich nie sicher sein kann, was in der nächsten Szene passiert. So unangepasst, komisch, mutig aber auch intelligent hat sich das Blockbusterkino schon lange nicht mehr präsentiert. Meine Kritik zu einem der jetzt schon besten Filme des Jahres gibt es hier.
Der Plot
Als der Vater des fünfjährigen Gary „Eggsy“ Price (Taron Edgerton) im Zuge einer Militärübung sein Leben opfert, bekommt die Familie eine ungewöhnliche Medaille überreicht, auf der eine Telefonnummer eingraviert ist. Sie ist nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt und darf benutzt werden, um einen Gefallen jeglicher Art einzufordern. Siebzehn Jahre später: Eggsy, ein arbeitsloser Schulabbrecher, teilt sich mit seiner Mutter ein heruntergekommenes Appartement. Als er sich ein Auto klaut und bald darauf nach einer wilden Verfolgungsjagd verhaftet wird, ruft der junge Mann die angegebene Nummer an, um dem Gefängnis zu entgehen. Der Mann, der ihn abholt, heißt Harry Hart (Colin Firth), er ist ein korrekter, bestens gekleideter Spion, der Eggsys Vater sein Leben verdankt. Harry ist über denWeg, den Eggsy eingeschlagen hat, enttäuscht, erkennt aber das Potenzial des jungen Mannes und bietet ihm einen Job in der unabhängig operierenden Geheimdienstorganisation an, der er angehört. Eggsy muss sich dem gefährlichsten Einstellungstest der Welt unterziehen, um als Kingsman-Agent aufgenommen zu werden. Doch die Zeit drängt: Der irre Ganove Valentine (Samuel L. Jackson) bereitet im selben Moment einen großen Coup vor, um die Menschheit nach und nach zu dezimieren.
Kritik
Was die Inszenierung unkonventioneller Comicverfilmungen angeht, ist Regisseur Matthew Vaughn spätestens seit „Kick-Ass“ erste Wahl. Auch bei „X-Men: Erste Entscheidung“ saß der Filmemacher auf dem Regiestuhl, doch so richtig austoben durfte er sich bereits bei der Geschichte um Dave Lizewski, der genug von der Gewalt in seiner Heimatstadt hat und schließlich, auch um aus seinem grauen Alltag als Außenseiter zu flüchten, zum Strumpfmaskenrächer Kick-Ass wird, der an der Seite von Chloë Grace Moretz alias Hit-Girl ein regelrechtes Zeitalter diverser Möchtegernsuperhelden einläutet. Insbesondere die Performance der damals erst 13-jährigen Moretz avancierte zum Kult, doch offenbar ließ sich ein Großteil des anvisierten Zielpublikums von der Absurdität der Prämisse abschrecken, die im zweiten Teil 2013 noch auf die Spitze getrieben wurde. Hier fungierte Vaughn zwar nicht mehr als Regisseur, beaufsichtigte das Projekt jedoch federführend als Produzent und schaffte es trotzdem nicht, einen Film zu machen, der an der Kinokasse mehr einspielt als seine eigenen Produktionskosten. Fast mutet es so an, als hätte sich der Regisseur mit dem Gedanken „Jetzt erst Recht!“ an das Projekt „Kingsman“ gewagt. Gemeinsam mit Co-Autorin Jane Goldman, die ebenfalls bereits an „Kick-Ass“ beteiligt war, nimmt sich Vaughn den gleichnamigen Comic vor, um ihn einmal komplett zu überwerfen. Mit Erfolg! Das Ergebnis ist Spy-Hommage und irrwitziger Splatter-Spaß in einem, der sich nur noch ganz vage an der Vorlage orientiert, die Fans ebenjenes jedoch aufgrund eines formidablen Drehbuchs und unzähligen, cleveren Ideen zu keinem Zeitpunkt vor den Kopf stößt. Im Gegenteil; das unverschämt unterhaltsame Blockbusterspektakel erweist sich als amüsantester Genre-Clash der vergangenen Jahre. Der Status „Kultfilm“ ist da nur noch einen Handgranatenwurf entfernt.
Bereits ein Blick auf die Figurenkonstellation gibt einen Einblick, wie „Kingsman: The Secret Service“ tickt. Da bekommt man Samuel L. Jackson („Django Unchained“) als lispelnden Massenmörder mit Hang zum Größenwahn und einer Gewaltphobie zu sehen, Colin Firth („The King’s Speech“) agiert vollkommen abseits seiner üblichen Rollenauswahl im Gewand eines echten Gentleman-Killers, Newcomer Taron Edgerton („The Smoke“) fungiert als sich sukzessive dem Guten zuwendender Tunichtgut und selbst in den kleinsten Nebenrollen finden sich mit Mark Strong („Ich. Darf. Nicht. Schlafen“), Michael Caine („The Dark Knight Rises“) und einer verflucht irrwitzig agierenden Sophia Boutella („StreetDance 2“) echte Charakterköpfe, deren Zeichnung vollkommen für sich allein steht. Nie zuvor bekam man solche Typen wie diese bereits auf der großen Leinwand zu sehen. Matthew Vaughn gelingt das Kunststück, sie alle zur Genüge in Szene zu setzen, ihre Eigenheiten herauszukehren und dabei gleichsam niemanden in den Vordergrund zu rücken. Trotz auf der unterschiedlichen Screentime basierter Einteilung in Haupt- und Nebenrolle hat hier jeder seinen Platz. Und trotz der immensen Anzahl an Spleens fühlt sich das Szenario nie überladen an. Die Charaktere sind Gag-Lieferant und treibender Storymotor zugleich; ohne sie wäre alles gleich nur noch halb so schön.
Ein gewisser Fokus liegt auf Taron Edgerton. Der durch die TV-Serie „The Smoke“ bekannt gewordene Nachwuchsmime jongliert hervorragend mit den vollkommen unterschiedlich ausgerichteten Aspekten seiner Rolle, die ihn zugleich als auf die schiefe Bahn geratenen Unsympathling zeigen, zwischen den Zeilen jedoch beweisen, dass in ihm nicht bloß ein tougher Kerl, sondern erst recht ein guter Kern steckt. Mit wie viel Herzblut sämtliche Darsteller an ihre Aufgabe herangehen, kristallisiert sich besonders im Falle von Colin Firth heraus, der nach einer Aufforderung des Regisseurs sämtliche Stunts selbst drehen musste und sichtlich Spaß daran hatte. Die zum Teil äußerst harten Kampchoreographien, die nicht nur mit jeder Menge Blut sondern auch einem hohen Bodycount aufwarten können, erinnern an eine Stilmischung aus Tarantino und den zuletzt immer brutaler werdenden Actionstreifen aus den USA, wie etwa „The Equalizer“ oder „John Wick“. Ähnlich der hierzulande mit einer FSK-Freigabe ab 18 gesegneten „Kick-Ass“-Fortsetzung mischt sich unter die ganze Brachialität jedoch auch immer ein gewisses Augenzwinkern, was die zum Teil bis ins Groteske ausschweifenden Gewaltorgien stets ironisch unterlegt und im Kontext vertretbar macht. Mark Strong und Michael Caine agieren derweil eher am Rande, füllen ihre für das Geschehen enorm wichtigen Figuren jedoch mit Würde aus und erhalten jeweils ihren ganz eigenen Höhepunkt. Gewiss sollen an dieser Stelle keine wichtigen Plotdetails verraten werden, doch zumindest sei festzuhalten, dass sowohl Strong, als auch Caine Szenen zuteil werden, die sich für die popkulturellen Anspielungen der Zukunft nahezu anbiedern. Von der Performance des hinreißend überdrehten Samuel L. Jackson alias Valentine ganz zu schweigen, der sämtliche Attribute eines Vorzeige-Bösewichts des frühen „Bond“-Zeitalters in sich vereint und diese mit karikaturesken Spitzen doch zu etwas ganz Eigenem macht.
In seiner Funktion als waschechter Genre-Clash suhlt sich „Kingsman: The Secret Service“ vortrefflich und intensiv darin, den herkömmlichen Agententhriller von Grund auf neu aufzuzäumen. Dabei ist der Streifen beileibe keine Nachdichtung. Dafür nehmen die Macher ihr Projekt trotz immenser Freude am Absurden zu ernst und geben dem Zuschauer stets das Gefühl, Charaktere, Plot und Entwicklungen schützend an die Hand zu nehmen. Stattdessen besinnen sich die Macher auf die vielfältigen Möglichkeiten, die die Filmsparte Spy-Thriller zwangsläufig mit sich bringt. Selbst die Figur von Colin Firth nimmt auf den Ideenreichtum des modernen Kinos direkt Bezug, als er nicht scheut, zu erwähnen, jede noch so abwegige Handlung zu lieben. „Kingsman“ sagt sich von sämtlichen Genre-Schubladen los. „Bond“-Zitate folgen da direkt auf Blutbäder im echten Tarantino-Stil. Und neben der visuellen Vielfalt ist das Skript nicht minder einfallsreich. Jeder noch so kleine Faktor hat seine Daseinsberechtigung und trotz einer massiven Gag-Schlagzahl räumen die Macher auch den ernsten Zwischentönen genug Platz ein, „Kingsman“ mit dramaturgischen Fallhöhen auszustatten. Kurzum: In diesem Film stimmt, was stimmen soll. Mit einer solchen Passion war schon lange kein Mainstream-Streifen mehr ausgestattet.
Das Sehvergnügen ist im Falle von „Kingsman: The Secret Service“ dann am höchsten, wenn man sich vorab so wenig wie möglich über etwaige Storywendungen informiert. Das Actionabenteuer ist gespickt mit Twists, die das Geschehen fast im Minutentakt in ein komplett neues Licht rücken und die Leinwandereignisse so mit einer gefährlichen Unberechenbarkeit ausstatten. Unter den allesamt perfekt gecasteten Darstellern ist niemand vor etwaigen Schicksalsschlägen gefeit, denn – und das betonen sogar die Figuren immer wieder gern – auf der Leinwand läuft schließlich kein Film für die Masse, sondern ein vollkommen von gängigen Hollywoodmechanismen losgelöstes Entertainmentfeuerwerk. So schwer es fällt, das rundum perfekte Gesamtkunstwerk auf irgendeiner Ebene in Abrede zu stellen, so sei auf der Zielgeraden dennoch festzuhalten, dass man sich als Zuschauer auf all das einlassen muss, um seinen uneingeschränkten Spaß an diesem unkonventionellen Meisterwerk zu haben. Wer gerade die Berechenbarkeit des modernen Mainstreamkinos genießt, könnte sich von „Kingsman“ regelrecht überrumpelt fühlen. Doch wer die Überraschung liebt, für den gibt es ab dem 12. März nur noch einen Pflichttermin: den Weg ins Kino!
Fazit: „Kingsman: The Secret Service“ ist liebevolle Agentenfilmhommage und frech-frivole Comicaction in einem, die den Hollywoodblockbuster von heute einmal komplett über den Haufen wirft. Unterhaltsam, lustig, elegant, klug und schlicht genial – Matthew Vaughn nimmt Kurs auf die Annalen der Filmgeschichte!
„Kingsman: The Secret Service“ ist ab dem 12. März bundesweit in den Kinos zu sehen.
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