Nobody

Drei talentierte Actionfilmmacher finden zusammen, und formen aus Bob Odenkirk einen äußerst gefährlichen NOBODY. Wie viel Spaß man dabei haben kann, obwohl der Film zum Großteil mit bekannten Zutaten hantiert, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Nobody (USA/JPN 2021)

Der Plot

Hutch Mansell (Bob Odenkirk) ist unauffällig, ruhig, hat wenig Freunde, einen im Altersheim lebenden Vater (Christopher Lloyd), einen Sohn im Teenageralter, zu dem er keinen guten Draht hat, und eine jüngere Tochter, die zu ihm aufsieht. Die Beziehung zu seiner Frau Rebecca (Connie Nielsen) ist leidenschaftslos geworden, und die größte Aufregung im Alltag dieses mit Zahlen jonglierenden Büroangestellten ist der wöchentliche Trab hinter der Müllabfuhr, weil er stets vergisst, die Mülltonne rechtzeitig rauszustellen. Als eines Tages ein maskiertes Pärchen in Hutchs Haus einbricht, steht er wie eingefroren da, obwohl er die Chance hatte, in einem Moment der Unachtsamkeit des Diebespaares, sein Hab und Gut mit einem brutalen, gezielten Schlag zu verteidigen. Das bringt Hutch von einem Polizisten, seinem eigenen Sohn und einem prahlerischen Arbeitskollegen Häme ein. Was sie alle nicht wissen: In Hutch schlummert sehr wohl Gewaltpotential. Gewaltiges Gewaltpotential, sogar. Und sehr bald wird es aus ihm raus bersten. Was den russischen Gangster Yulian Kusnezow (Alexei Serebrjakow) auf den Plan rufen wird …

Kritik

Bob Odenkirk hat zwar schon eine längere Film- und Serien-Karriere hinter sich, jedoch ist er wohl den meisten als der gerissene Anwalt Saul Goodman aus „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ bekannt. Ganz gleich, wie beliebt er in der schnippisch-sarkastischen Rolle auch ist: Als potentiellen Actionheld dürften ihn nur wenige seiner Fans gesehen haben. Doch glücklicherweise traute sich Odenkirk dies zu: 2018 stieg er als Produzent und Hauptdarsteller bei der neusten Idee von „John Wick“-Autor Derek Kolstadt und „Hardcore“-Regisseur Ilya Naishuller ein. Mit David Leitch, seines Zeichens Ex-Stuntman, „John Wick“-Co-Regisseur und Regisseur hinter „Atomic Blonde“, „Deadpool 2“ sowie „Fast & Furious präsentiert: Hobbs & Shaw“, gesellte sich als Produzent direkt noch eine Actiongröße dazu. Da kann doch nichts mehr schief laufen, oder? Die rhetorisch größere Pointe wäre es gewiss, nun „Doch!“ zu erwidern. Aber das wäre glatt gelogen. Denn mit „Nobody“ ist Odenkirk, Leitch, Naishuller, Kolstadt und Co. ein immens unterhaltsamer, kernig inszenierter und knackig erzählter Actioner gelungen. Ob sich daraus noch ein Franchise der Größe und Brillanz der „John Wick“-Reihe entwickeln lässt, muss sich noch zeigen (immerhin äußerten mehrere Beteiligte Interesse an einer Fortführung), aber der erste „Nobody“ muss sich keineswegs hinter dem ersten Part der Keanu-Reeves-Gewaltorgien verstecken!

Bob Odenkirk ist Hutch Mansell. Ein Niemand.

Ähnlich wie der erste „John Wick“ reicht auch „Nobody“ nicht an die fabelhafte Lichtsetzung der späteren „John Wick“-Filme heran: Die auf sattes Schwarz und eine dunkle Grundästhetik treffende, kontrastreiche, stark gesättigte Bandbreite an Farbtupfern bleibt aus, stattdessen setzen Naishuller und sein Kameramann Pawel Pogorzelski („Midsommar“) auf eine Lichtgebung und Farbwelt, wie man sie mit mittelgroßen Actionfilmen assoziiert. Viel Grau, Blau, Schwarz und Mischtöne, nicht besonders akzentuiert in Szene gesetzt. Aber: Naishuller lässt in „Nobody“ die teuflische Freude an exzessiver Gewalt spüren, die er auch in „Hardcore“ gezeigt hat – ebenso wie sein beeindruckendes Können, Action dynamisch zu filmen und dabei dennoch so viel Ruhe an den Tag zu legen, dass die temporeiche Kampfchoreografie selbst glänzen kann, statt dass ein kinetischer Schnitt ihre Wirkung unterstreichen muss. Das Paradebeispiel dafür dürfte eine Auseinandersetzung in einem Linienbus sein: Ein unter Druck stehender, förmlich vor Konfliktsehnsucht glühender Hutch legt sich mit einer Gruppe Rowdys an, die eine junge Frau belästigen. Naishuller zeigt die daraufhin eskalierende Schlägerei und Stecherei so, dass einzelne Attacken und deren unmittelbare Erwiderung ohne Schnitt eingefangen werden und wir die Leistung des Stuntteams und der sehr viel selbst umsetzenden Schauspieler bewundern dürfen. Gleichwohl findet Naishuller nahezu intuitiv Momente für Perspektivwechsel, akzentuierende Schnitte oder eine das Chaos unterstreichende Wackelkamera, um die lange Sequenz auf inszenatorischer Ebene genauso sehr in Bewegung zu halten, wie sie die Narrative voranbringt.

„Naishuller lässt in ‚Nobody‘ die teuflische Freude an exzessiver Gewalt spüren, die er auch in ‚Hardcore‘ gezeigt hat – ebenso wie sein beeindruckendes Können, Action dynamisch zu filmen und dabei dennoch so viel Ruhe an den Tag zu legen, dass die temporeiche Kampfchoreografie selbst glänzen kann.“

Denn nicht nur, dass sie uns erstmals das Wutpotential Hutchs offenbart – sie enthüllt sogar sukzessive immer mehr über Hutchs Kampfstil, seine Rechtschaffenheit, ebenso wie seine nahezu soziopathische Ader, die nach mehr und mehr Gewalt giert, sowie folgenden Umstand: Selbst ohne die vorhergegangenen und nachgereichten Erläuterungen, wer Hutch hinter seiner Niemandsfassade wirklich ist, macht allein schon diese wuchtige, brutale, boshaft-spaßige und zugleich spannende Actionszene deutlich, dass Hutch ein etwas eingerosteter Vollprofi ist; ein Kampfnaturtalent, das seine jetzige Form etwas überschätzt, weil es vergisst, wie untrainiert es im Moment ist. Und so muss Hutch aus Nachlässigkeit stark einstecken (deutlich mehr als ein John Wick, der im späteren Verlauf der „John Wick“-Reihe primär deshalb so lädiert ist, weil ihm die Unterwelt keine Pause gönnt und er im Dauerhagel der Angriffe zwangsweise mal erwischt wird), selbst wenn er noch heftiger austeilt als seine Gegner. Dank Odenkirks immensem Charisma und gut platzierten Gags oder pointiert-verdatterten Blicke ist dies gelegentlich komisch – und die Reaktionen der Schurken oder deren Assistentinnen sind ebenfalls äußerst witzig.

Okay: Ein Niemand mit Waffe.

Doch aufgrund von Naishullers rauer Bildsprache und der zumeist praktischen, stets schmerzlichen Effekte ist „Nobody“ kurioserweise auch ein sehr geradliniger Actioner: Egal wie absurd es zwischendurch wird, alles wirkt wie ein durch Talent und Ambition aufgeblasener B-Actionfilm – einer, der über seine Alibistory hinauswächst. Und auch Aleksei Serebryakov trägt sein Scherflein dazu bei, da er den Schurken Yulian Kuznetsov („Leviathan“) zu einem denkwürdigen Antagonisten heranwachsen lässt: Genauso von seiner aktuellen Berufssituation genervt wie Hutch und innerhalb der Russenmafia ein Vorbild in Sachen Toleranz, Integration und Lebensfreude, ist dieser Schurke fast schon Sympathieträger, was Serebryakov mit seinem Spiel genauso gut herüberbringt wie die Gefahr, die von dieser Figur ausgeht. Mit peppigen Kleinauftritten von RZA („The Man with the Iron Fists“) und Christopher Llyod („Zurück in die Zukunft“) versehen und einem bei aller klischeehaftigkeit auch immens effizienten, rau-vorantreibenden Score von David Buckley („Greenland“), wird „Nobody“ schlussendlich zu einer waschechten Empfehlung für Genrefans. Der altmodisch-galante Soundtrack inklusive „The Impossible Dream“ (bekannt aus den „John Wick 3“-Trailern – oder „Joko & Klaas gegen ProSieben“) rundet das Gesamtpaket hübsch ab und drückt quasi aus: Erwartet keine Innovation, sondern beseelt-gute Umsetzung. Gerne doch!

„Aufgrund von Naishullers rauer Bildsprache und der praktischen, stets schmerzlichen Effekte ist ‚Nobody‘ kurioserweise auch ein sehr geradliniger Actioner: Egal wie absurd es zwischendurch wird, alles wirkt wie ein durch Talent und Ambition aufgeblasener B-Actionfilm, der über seine Alibistory hinauswächst.“

Fazit: „Nobody“ ist kurzweilig, rau, knackig erzählt und hat mit Bob Odenkirk einen sehr charismatischen Hauptdarsteller. Kurzum: Das erste Action-Highlight 2021!

„Nobody“ ist ab dem 1. Juli 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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