Atomic Blonde

Von den Machern von „John Wick“ begibt sich in ATOMIC BLONDE nun das weibliche Pendant zu dem eiskalten Rächer auf die große Leinwand. Hat die von Charlize Theron verkörperte Nahkampfexpertin Lorraine ähnliches Kultpotenzial wie ihr wenig redseliger Kollege? Das und mehr verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Wir schreiben das Jahr 1989 in Berlin, am Vorabend des Falls der Berliner Mauer. Wenn es schon an einem herkömmlichen Tag im Spionagegeschäft schwer ist zu wissen, wem man vertrauen kann, ist es nun, mitten auf dem Pulverfass, welches die kälteste Stadt der Welt gerade ist, schier unmöglich. Lorraine Broughton (Charlize Theron), eine ebenso eiskalte wie verführerische Topagentin des MI6, wird nach Deutschland geschickt, um einen brutalen Spionagering auszuheben, der gerade aus noch unbekannten Gründen einen befreundeten Geheimagenten eliminiert hat. Gleich nach ihrer Ankunft gerät Lorraine ins Visier der Killer. Doch sie überlebt und erklärt sich bereit, gemeinsame Sache mit dem waghalsigen Berliner Stationsleiter David Percival (James McAvoy) zu machen. Ein wachsames Auge auf die beiden wirft der hochrangige CIA-Agent Emmett Kurzfeld (John Goodman), der aus den USA nach Berlin geschickt wurde, um Broughtons Mission aus nächster Nähe zu überwachen. Außerdem stellt Lorraine fest, dass ihr die französische Spionin Delphine Lasalle (Sofia Boutella) auf Schritt und Tritt folgt. Und deren Interesse ist durchaus auch persönlicher Natur…

Kritik

David Leitch und seinem Kompagnon Chad Stahelski ist 2014 ein großer Schritt gelungen: Die in Hollywood für ihre Stuntchoreographien berühmten Action-Koryphäen legten mit „John Wick“ ihre erste Regiearbeit vor, die zwar vornehmlich aufgrund ihrer Martial-Arts-Sequenzen und Schusswechsel zu überzeugen wusste, mit dem tielgebenden John Wick nicht zuletzt aber auch eine der ikonischsten (Anti-)Helden jüngerer Actionfilmgeschichte hervor gebracht hat. Mit „John Wick: Kapitel 2“ legte Stahelski Anfang dieses Jahr auf ähnlichem Niveau nach und baute nicht bloß den Unterwelt-Kosmos weiter aus, sondern beendete den Film auch mit einem solch vielversprechenden Cliffhanger, dass wir über den Erfolg der Produktion schon allein deshalb froh sind, da ein weiteres Sequel somit längst beschlossene Sache ist. Stahelskis Kollege hat sich in der Zeit eines anderen Projektes angenommen, schwimmt mit „Atomic Blonde“ allerdings in ähnlichem Gewässer. Sein Style-over-Substance-Actionthriller nimmt sich ein wenig mehr Raum für inhaltliche Ausführungen und stellt mit Charlize Theron („Fast & Furios 8“) als wasserstoffblonde Ermittlerin Loraine Broughton eine Frau in den Mittelpunkt dieser körperlich fordernden Arbeit, die John Wick in Sachen Nahkampf in Nichts nachsteht. Doch gerade das Bemühen um erzählerische Relevanz ist ein großes Problem von „Atomic Blonde“ – der Film ist über weite Strecken einfach nur überraschend langweilig.

Charlize Theron und James McAvoy schlagen sich gemeinsam durch das Berlin der späten Achtzigerjahre.

Mehr auf Optik denn Inhalt abzielende Filme brauchen sich bei entsprechender Leistung nicht vor ihren geschichtenlastigen Pendants zu verstecken. Vorausgesetzt, die technische Ausführung hält, was sie verspricht. „Atomic Blonde“ ist nun irgendwas dazwischen. Visuell folgen die von Jonathan Sela („Transformers: The Last Knight“) eingefangenen Settings einem ästhetischen Stilwillen: knallige Neonfarben, so weit das Auge reicht und mittendrin eine Hauptfigur, die mit passend künstlicher Haarpracht bekleidet Ganoven hinterherjagt, wenn sie nicht gerade ein Bad in einer mit Eiswürfeln gefüllten Badewanne nimmt. „Atomic Blonde“ folgt die meiste Zeit über einer äußerst exzentrischen Stilistik und findet in einem nicht immer ganz konsequent nachgestellten Berlin der späten Achtzigerjahre ein hervorragendes Setting dafür, auch wenn der Wechsel zwischen den verschiedenen Sprachen in der Originalfassung äußerst willkürlich daherkommt. Doch so ganz halten die Macher ihr Konzept nicht durch: Sowohl das Verhör, das dem Film zu einer erzählerischen Form verhilft, als auch ausgewählte Actionsequenzen lassen die Stilidee schon mal links liegen und könnten – trotz sichtbar brillanter Ausführung – auch aus jedem anderen Actionfilm stammen. Übrig bleibt in solchen Momenten oft nur der aus Neue-deutsche-Welle-Hits bestehende Soundtrack, der den Zuschauer daran erinnert, in welchem Setting er hier sich gerade befindet und das genau ebenjenes Setting auch die Erzählung von „Atomic Blonde“ prägt.

Mit Berlin als zum damaligen Zeitpunkt „kältester Stadt der Welt“ gewinnt die Spionage- und Kalter-Krieg-Thematik in „Atomic Blonde“ zusätzlich an Brisanz. Wem man hier vertrauen kann und wem nicht, bleibt lange Zeit offen – auch wenn sich manch ein vermeintlicher Twist schon weit im Voraus ankündigt, ist das auf den dazugehörigem Graphic Novels basierende Skript von Kurt Johnstead („300: Rise of an Empire“) für einige Überraschungen gut. Trotzdem gelingt es ihm nicht, Story und Charakteren die notwendige Tiefe zu verleihen. Die Geschichte ist zu banal, um auch zwischen den Actionszenen mitzureißen und zu dominant, um als Alibiplot durchzugehen, der den Martial-Arts-Sequenzen lediglich ein chronologisches Gerüst verleihen soll. Selbst sich von herkömmlichen US-Blockbustern abgrenzende Einfälle wie eine heiße Affäre zwischen Theron und Sofia Boutella („Kingsman: The Secret Service“) oder der hohe sowie äußerst brutale Bodycount reichen nicht aus, um derartige Schwachpunkte auszugleichen. In seinen knappen zwei Stunden wird „Atomic Blonde“ immer wieder zu einer äußerst zähen Angelegenheit – nicht zuletzt, weil ohne jedweden Bezug zu den einzelnen Figuren auch keinerlei Anreiz besteht, dem Geschehen während der inhaltlich relevanten Passagen zu folgen. So hangelt man sich als Zuschauer von Actionsequenz zu Actionsequenz – wird aber immerhin auf dieser Ebene nicht enttäuscht.

Eine Actionszene in einem Hausflur wird in „Atomic Blonde“ zum Herzblut der professionell inszenierten Actionsequenzen.

Zum Herzstück der Action wird in „Atomic Blonde“ eine Szene, in der sich Charlize Theron wie eine Furie durch ein Treppenhaus kämpft und sich hier direkt mit einem ganzen Schwall ihr scheinbar körperlich überlegender Gegner anlegt. Wie schon in den Szenen zuvor, gefällt hier nicht bloß die akribisch konzeptionierte Choreographie, die aufgrund der fast ohne Schnitt auskommenden Kameraarbeit besonders gut zur Geltung kommt. Es ist vor allem der Mut, auch die Folgen einer solchen Prügelei zu zeigen, der sich hier als fast schon eigenes Stilmittel durchsetzt. Die Szene ist noch nicht einmal zur Hälfte rum und doch ist dem Gesicht der Hollywoodschönheit jeder einzelne Faustschlag anzusehen, während auch ihre Widersacher mit der Zeit immer mehr einstecken müssen. In „Atomic Blonde“ hat die harte Gewalt folgen für alle Beteiligten – ein Novum, gerade im Hinblick auf die Helden einer Geschichte. So wird es mitunter äußerst schmerzhaft, dem Leinwandgeschehen zuzusehen und doch lohnt es sich. Hinter dem Film steckt ein herausragendes Gespür für Körperlichkeit und Gewalt, die trotz ihres visuell auffälligen Designs nie ästhetisiert oder verharmlost wird. Das ist stark und beeindruckend, geht aufgrund der schematischen Durchschnittsgeschichte, die dann doch wieder den gängigen Hollywood-Normen folgt, unter. Schade: In „Atomic Blonde“ steckt eigentlich viel mehr Potenzial.

Fazit: „Atomic Blonde“ schwankt im Laufe seiner zwei Stunden extrem: Mal ist er visuell bombastisch, mal eher durchschnittlich, während er erzählerisch die größten Defizite hat. Trotz einer beeindruckenden Charlize Theron bleibt am Ende nur ein durchschnittlicher Actionthriller mit Ausschlägen nach oben.

„Atomic Blonde“ ist ab dem 24. August bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.

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