Schachnovelle

Siebenfach für den Deutschen Filmpreis nominiert, erscheint mit Philipp Stölzls SCHACHNOVELLE dieser Tage ein Film in den Kinos, der die Zeitlosigkeit des Stoffes mithilfe neu gesetzter, erzählerische Impulse hervorragend zur Geltung bringt. Mit einem am Rande des Wahnsinns agierenden Oliver Masucci in der Hauptrolle. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Schachnovelle (DE/AUT 2021)

Der Plot

Wien, 1938: Österreich wird vom Nazi-Regime besetzt. Kurz bevor der Anwalt Josef Bartok (Oliver Masucci) mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) in die USA fliehen kann, wird er verhaftet und in das Hotel Metropol, Hauptquartier der Gestapo, gebracht. Als Vermögensverwalter des Adels soll er dem dortigen Gestapo-Leiter Böhm Zugang zu Konten ermöglichen. Da Bartok sich weigert zu kooperieren, kommt er in Isolationshaft. Über Wochen und Monate bleibt Bartok standhaft, verzweifelt jedoch zusehends – bis er durch Zufall an ein Schachbuch gerät…

Kritik

Es ist zugegebenermaßen nicht das exotischste Filmsetting aller Zeiten. Doch trotzdem kommt es ja nicht allzu oft vor, dass sich Filmemacher:innen und Drehbuchautor:innen dazu entschließen, ihre Geschichten auf einem Schiff spielen zu lassen. Dass Philipp Stölzl nach der Bühnenmusicaladaption „Ich war noch niemals in New York“ nun erneut einen Film inszeniert, der – zumindest die Hälfte der Laufzeit – auf einem Luxusdampfer spielt, wirkt da fast schon ein wenig wie der angestrebte Beweis der eigenen Variabilität, denn „Ich war noch niemals in New York“ war ein knallbunter, leidenschaftlicher Tanz- und Gesangsreigen. Die Verfilmung von Stefan Zweigs Psychodrama „Schachnovelle“ dagegen ist das genaue Gegenteil. Für Stölzl ist aber nicht nur die Schiffskulisse kein erstes Mal, sondern auch das Unterfangen Literaturverfilmung. Auf sein Konto geht nämlich auch der international besetzte Überraschungshit „Der Medicus“, der hierzulande gar in den Top 10 des Jahres 2013 landete. Nun also „Schachnovelle“. Stefan Zweigs autobiographisch eingefärbtes Porträt eines Mannes, der sich nach mehreren Monaten Isolationshaft durch die Nationalsozialisten das Schachspiel aneignete und daraufhin einem von ihm selbst als „Schachfieber“ bezeichneten Wahn verfiel. Mit der Vorlage, insbesondere der Novellenform, hat Stölzls Neuauflage (und zweite Verfilmung nach Gerd Oswalds „Schachnovelle“ von 1960) nun kaum noch etwas zu tun. Drehbuchautor Eldar Grigorian hat den Stoff in seinem Langfilmdebüt als chronologisch verschachtelte Reise in die menschlichen Abgründe aufbereitet und ihr (nicht nur) ein Ende hinzugefügt, die stark von der Vorlage abweicht. Eine interessante Idee.

Der wohlhabende McConnor (Rolf Lassgård) spielt das letzte Spiel gegen Centovic (Albrecht Schuch). Dann übernimmt Bartok (Oliver Masucci).

Während das Buch insgesamt drei verschiedene Charaktere ins Zentrum rückt – den Vermögensverwalter Dr. B, den amtierenden Schachweltmeister Mirko Czentovic sowie einen österreichischen Immigranten und Ich-Erzähler – ist Philipp Stölzls „Schachnovelle“ nun voll und ganz auf den von Oliver Masucci („Enfant Terrible“) grandios verkörperten Anwalt Josef Bartok zugeschnitten. Von jenem Schachspieler, der Bartok auf dem Schiff herausfordert, erfahren wir so gut wie nichts. Und einen Ich-Erzähler, der sich Bartoks Geschichte anhört, gibt es überhaupt nicht. Den benötigt „Schachnovelle“ in der hier dargebrachten Form aber auch nicht, denn schließlich sehen wir auf der Leinwand selbst, was passiert, sodass es weder Jemanden benötigt, der Fragen stellt noch jemanden, dem der Protagonist sein Leid erzählen könnte. Stattdessen springt der Film ohne Off-Kommentar durch die zwei verschiedenen Zeitabschnitte: Das ist einmal all das, was sich (hier als Gegenwart dargestellt) auf dem Schiff abspielt, mit dem Bartok gemeinsam mit seiner Frau Anna von Wien in die USA reist respektive flüchtet, während in ausführlichen Rückblenden seine Zeit in nationalsozialistischer Isolationshaft geschildert wird; Auslöser ist die Einladung zu einem Schachspiel auf dem Dampfer, bei dem ein Schachweltmeister gegen die gesamte Besatzung antritt. Es ist das Schachspiel selbst, das bei Bartok die Erinnerungen an seine Vergangenheit triggert; Der Film erklärt schließlich, wie es ihm gelingen kann, ein Schach-Ass erst zum Remis zu zwingen und anschließend sogar zu besiegen.

„Während das Buch insgesamt drei verschiedene Charaktere ins Zentrum rückt, ist Philipp Stölzls ‚Schachnovelle‘ nun voll und ganz auf den von Oliver Masucci grandios verkörperten Anwalt Josef Bartok zugeschnitten.“

Diese Erklärungen (= Rückblenden) nehmen erzählerisch den nicht nur größeren, sondern vor allem auch den intensiveren Raum ein. Kameramann Thomas W. Kiennast („Cortex“) ist immer ganz nah dran an dem sukzessive dem Wahnsinn verfallenden Josef Bartok und stellt seine geistige sowie körperliche Verfassung aufs Extreme heraus; natürlich angefeuert von Oliver Masuccis Tour de Force. Es gelingt ihm aber auch, die klaustrophobische Enge seines zwecks Einzelhaft zweckentfremdeten Nobelhotelzimmers so sehr zu betonen, dass man die äußerste räumliche Beschränkung um Bartok herum regelrecht selbst spürt. Dafür nutzt Kiennast nicht bloß verzerrte Winkel und experimentelle Perspektiven, sondern wendet auch eine gewisse Kunstfertigkeit darin an, nicht die ganze Zeit dasselbe Motiv (den eingesperrten Bartok beim Schachspielen), bloß in abgewandelter Form, darzubieten. Einer etwaigen Monotonie arbeiten derweil natürlich auch die Kulissenwechsel entgegen. Wenngleich Philipp Stölzl mit fortschreitender Laufzeit mehr und mehr beide Ebenen ineinander verschwimmen lässt. Das hat nicht nur den Zweck, einige sich in der ersten Hälfte auftuende, gezielt gesetzte Leerstellen zu füllen, sondern erschafft auch eine Atmosphäre fernab von Raum und Zeit. Passend dazu, dass Bartok in den Monaten der Haft und Folter jedwede Informationen über die Dauer seiner Gefangenschaft verweigert wurden und dadurch sein Zeitgefühl abhandenkam. So erinnert „Schachnovelle“ in den besten Momenten gar an die rauschhaften Barsequenzen aus dem Horrorklassiker „Shining“.

Bartok verliert in Haft das Gefühl von Zeit und Raum.

Apropos Folter: „Schachnovelle“ ist kein allzu graphischer Film. Eine mit einer Pistole ausgeführte Hinrichtung wird nur angedeutet, findet schließlich aber im Off statt, während sonst vor allem die Folgen der Drangsalierung, nicht jedoch die Ausführung derselben gezeigt werden. Dafür wird eine psychische Folteranwendung ganz besonders ausgereizt. Nur so viel: Der Dreißigerjahreschlager „Ich wollt‘, ich wär ein Huhn“ wird nach diesem Film nicht mehr für Amüsement, sondern für eine Gänsehaut der Abscheu sorgen. Doch auch ohne eine explizite Visualität entfaltet „Schachnovelle“ eine ungeheure Beklemmung. Oliver Masucci trägt den Film vollends auf seinen Schultern, ist in nahezu jeder Szene zu sehen und spielt sich hier die Seele aus dem Leib. Vom süffisanten Rebell, der die sich längst ankündigende Bedrohung durch die Nationalsozialisten zunächst ignoriert über das aktive Angehen gegen seine Maltreteure (allen voran Albrecht Schuch, der sich in seiner famos widerwärtigen Rolle voll und ganz in den Dienst des Films stellt), denen er selbst Monate nach der Haft immer noch geistig überlegen ist (und das, wann immer möglich, auch zeigt), bis hin zum völligen, seelischen Bruch, wenn man ihm sein stibitztes Schachbuch wegnimmt, liefert Masucci die komplette Bandbreite des emotionalen Ausnahmezustands ab, reißt mit und changiert hervorragend zwischen Mitleidserregung und dem Impuls, ihn anfeuern zu wollen – nicht beim Schach, sondern bei dem Versuch, die Haft halbwegs unbeschadet zu überstehen, sollte er aus dieser überhaupt herauskommen.

„‚Schachnovelle‘ ist kein allzu graphischer Film. Eine mit einer Pistole ausgeführte Hinrichtung wird nur angedeutet, findet schließlich aber im Off statt, während sonst vor allem die Folgen der Drangsalierung, nicht jedoch die Ausführung derselben gezeigt werden. Dafür wird eine psychische Folteranwendung ganz besonders ausgereizt.“

Ein klassischer „Schachfilm“ ist „Schachnovelle“ derweil nicht geworden. Das Nachspielen berühmter Schachpartien kommt hier ohne eine fachlich einordnende Komponente aus, die letztlich aber auch gar nicht nötig wäre. Stattdessen steht vor allem das Vorausahnen der Gegnerzüge als Schlüssel zum Erfolg im Mittelpunkt – und eben das, was das „Spiel der Könige“ („The Royale Game“ ist übrigens der internationale Titel des Films) mit der Hauptfigur anstellt. Ebendas verleitet die Kreativen übrigens auch zu einem finalen Twist, der wahlweise die Tragik der Geschichte noch einmal betont, ober aber der Effekthascherei überführt werden kann. Es kommt wohl drauf an, welchen Finalzug man bei diesem Film am liebsten sehen würde.

Fazit: Philipp Stölzls Interpretation der „Schachnovelle“ ist eine imposant gefilmte, herausragend gespielte und dank vieler neuer Impulse zeitlose Adaption eines Klassikers, der beklemmt und dank seiner ungewöhnlichen Erzählweise auch ein Stückweit überrascht – selbst wenn man die Vorlage kennt.

„Schachnovelle“ ist ab dem 23. September 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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