Jojo Rabbit

Mit sechs Nominierungen geht Taika Waititis Nazi-Tragikomödie JOJO RABBIT ins diesjährige Oscar-Rennen und stellt darin nur auf den ersten Blick die immer wieder aufkommende Frage, ob man über Adolf Hitler lachen darf. Wie der gebürtige Neuseeländer mit seinem Film die Funktionsweise eines trojanischen Pferdes veranschaulicht, das verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Der kleine Jojo (Roman Griffin Davis) ist zu klein für sein Alter, ein Außenseiter und Hasenfuß, weshalb ihm die anderen Kids im Nazi-Ferienlager den Spitznamen „Jojo Rabbit“ verpasst haben. Doch der Junge ist treuer Hitler-Anhänger und bereit, ein Vorzeige-Arier zu sein, was immer wieder zu Konfrontationen mit seiner ihn liebenden Mutter Rosie (Scarlett Johansson) führt. Doch Jojos Leben wird auf den Kopf gestellt, als er herausfindet, dass sich in der Dachkammer ihres Hauses ein jüdisches Mädchen namens Elsa (Thomasin McKenzie) versteckt. Jojos Mutter gewährte ihr einst Unterschlupf und riskiert so tagtäglich ihr Leben. Jojo findet das Mädchen faszinierend und sieht sich gezwungen, seine radikalen Ansichten zu überdenken. Der Einzige, den er um Rat fragen kann, ist sein idiotischer imaginärer Freund Adolf Hitler (Taika Waititi).

Kritik

Die Zeiten, in denen sich die Öffentlichkeit die Frage stellte, ob man über Adolf Hitler lachen darf, scheinen lange vorbei. Im Gegenteil: Aktuelle politische Tendenzen scheinen es ja sogar ganz besonders dringlich zu machen, sich vermehrt (und eben gern auch auf bissig-humoristische Weise) mit der Gefährlichkeit von faschistischem und rechtsextremem Gedankengut auseinanderzusetzen. Trotzdem wurde Taika Watitis kriegszentrische Tragikomödie „Jojo Rabbit“ nach ihrer Weltpremiere auf den Filmfestspielen von Toronto äußerst zwiespältig aufgenommen. Den einen mangelte es an Biss, den anderen an Humor. Tatsächlich ist die Entscheidung des „Thor: Tag der Entscheidung“-Machers, einen Film mit einem fiktionalisierten Adolf-Hitler-Freund als ständigem Begleiter eines desillusionierten Außenseiter-Nazi-Kindes zu machen, risikobehaftet und benötigt inszenatorisch wie erzählerisch ein enormes Fingerspitzengefühl zum Treffen der richtigen – eben ernsten und humoristischen – Töne. Doch wer bisher daran gezweifelt hat, dass Taika Waititi genau hierfür der richtige Mann ist, der sollte sich vor „Jojo Rabbit“ noch einmal sein nicht minder tonal komplexes Adventure-Drama „Wo die wilden Menschen jagen“ ansehen. Was er dort bereits an emotionaler Bandbreite auffuhr, bringt er mit „Jojo Rabbit“ nun zur Formvollendung – und präsentiert einen Film wie ein trojanisches Pferd. Witzig, gefühlvoll und entsetzlich bis zum Gehtnichtmehr.

Captain Klenzendorf (Sam Rockwell) und Fräulein Rahm (Rebel Wilson) wollen nur das Beste für den kleinen Jojo (Roman Griffin Davis) und seine Mutter (Scarlett Johansson).

Wenngleich es der Trailer ein wenig anders andeutet, sind nur die ersten zwanzig Minuten von „Jojo Rabbit“ eine Art Nazi-Version von Wes Andersons „Moonrise Kingdom“. Wo normale Pfadfinderinnen und Pfadfinder Fährten lesen und Feuermachen lernen, um sich an der frischen Luft zu bewegen und später einmal in der freien Natur zurechtzufinden, bringt der von Sam Rockwell („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) gespielte Captain Klenzendorf seinen männlichen Schützlingen hier Bombenwurf und Juden-Abstechen bei. Die Mädels wiederum lehrt Rebel Wilson („Glam Girls – Hinreißend verdorben“) alias Fräulein Rahm Dinge wie Kinderkriegen und Saubermachen. Den hier und da fehlenden Einfallsreichtum im Hinblick auf die Angreifbarkeit nationalsozialistischer Theorien macht Taika Waititi durch die eindeutige Inszenierung locker wett: Indem er seine Figuren all das hier als das Normalste der Welt aufnehmen und präsentieren lässt, dekonstruiert die Absurdität der Prämisse das Thema direkt selbst. Die hier auf der Leinwand gezeigten Nazis sind in ihrer Regime-Gefolgschaft allesamt derart tumb, dass sie unter anderem einfachste Widersprüche innerhalb der eigenen Ideologie nicht erkennen. Und fügt man dann noch die Schlagzahl gezielt geschriebener Gags hinzu – trockener Wortwitz kommt hier in Scharen genauso vor wie eine Handvoll Slapstick oder subtile Beobachtungen im Hintergrund, die die vermeintliche Ordnung der Nazi-Welt kontinuierlich konterkarieren – ergibt sich für „jojo Rabbit“ ein Gesamtbild, das auf der einen Seite stilisiert überhöht und trotzdem schmerzhaft realistisch wirkt. Taika Waititi lässt nicht einfach nur kein gutes Haar an den Nazis. Er sorgt dafür, dass diese sich selbst und ihre schlimmsten Seiten vorführen – ohne falsches Drama oder auf die Tränendrüse zu drücken.

Dazu passt natürlich auch das wohl größte Alleinstellungsmerkmal an „Jojo Rabbit“ und sicherlich auch der Faktor, der am leichtesten hätte daneben gehen können: Taika Waititi schlüpft selbst in die Rolle Adolf Hitlers („Für Hitler wäre es wohl das Schlimmste gewesen, von einem jüdischen Maori gespielt zu werden!“), der dem titelgebenden Jojo als eine Art Freund und Berater zur Seite steht. Er spornt ihn zu mehr Mut und Vaterlandsgefolgschaft an, redet ihm gut zu, wenn Jojo mal wieder Angst hat und ist sauer, wenn Jojo die Thesen des Führers plötzlich infrage zu stellen beginnt. Anstatt auf Dämonisierung setzt Waititi auch hier auf den Unterschwall der Bedrohung. Er führt den imaginären Hitler-Freund sogar als regelrechten Sympathieträger ein, um eine emotionale Fallhöhe aufzubauen, deren Zweckdienlichkeit sich bereits Filme wie Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ oder zuletzt „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ zu eigen machten. Wir erleben die Ereignisse in „jojo Rabbit“ aus den Augen des in so jungem Alter leicht manipulierbaren Jojo, der die Gesinnung seines flüsternden Buddys eins zu eins übernimmt. Die beiden werden zu Verbündeten. Doch wie eingangs erwähnt, ruht sich Taika Waititi nicht auf der Absurdität und damit einhergehenden Komik seiner Prämisse aus. So heiter es in dieser von Kameramann Mihai Malaimare Jr. („The Hate U Give“) in satten Farben eingefangenen Welt auf den ersten Blick zugehen mag, so kongenial folgt auf einen Schlag die Desillusion, wenn Taika Waititi seinen Film als kinematografisches trojanisches Pferd entlarvt: ein bitteres Kriegsdrama im Bauch einer Comedy.

Jojo entdeckt auf dem Dachboden die junge Jüdin Elsa (Thomasin McKenzie).

Was genau der Auslöser für einen derart radikalen Tonfallwechsel ist, dass man für einen kurzen Moment in „Jojo Rabbit“ das Gefühl hat, den Boden unter den Füßen zu verlieren, soll aus Spoilergründen an dieser Stelle nicht verraten werden. Doch so perfide er auf den ersten Moment auch die Gefühle des Publikums mit simplen Methoden zu manipulieren scheint, so clever legt Taika Watiti in dieser Szene die unter der überstilisierten Inszenierung schon permanent verortete Grausamkeit der Handlung frei; ganz so, als würde er eine Kostümierung abziehen, über die man die ganze Zeit einen simplen Zugang zur Materie erhielt, dessen freigesetzte Sympathien für die Figuren aber auch dann noch erhalten bleiben, wenn man die allgegenwertige Beklemmung plötzlich nicht mehr weglachen kann. Waren wir eben noch froh darum, dass wir das alles hier ja immer noch recht leicht verdauen konnten, rammt uns Waititi plötzlich die Faust mit voller Wucht in den Magen. Und irgendwie kriegt es der Regisseur und Autor sogar noch hin, dass auch im weiteren Verlauf der ein oder andere Moment nicht in die pure Tristesse abgleitet, sondern in eine zündende Pointe führt. Daran nicht unbeteiligt sind nicht zuletzt auch die Darsteller. Scarlett Johansson („Marriage Story“), die für ihre Rolle als beste Nebendarstellerin für den Oscar nominiert ist, zementiert ihren Status als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation und findet ihre Stärke in der Zerbrechlichkeit, genau wie andersherum. Taika Waititi gelingt das Kunststück, seinen Adolf Hitler gerade über den Humor so angsteinflößend zu machen und Roman Griffin Davis steht bei dieser Debütleistung eine aussichtsreiche Zukunft in Hollywood bevor.

Fazit: Erst lachst du, dann weinst du und schließlich willst du dich vor Taika Waititi verneigen: „Jojo Rabbit“ tarnt ein herbes Drama über den Schrecken des Krieges und dessen Auswirkungen als satirische Comedy. Dieser Tanz auf der inszenatorischen Rasierklinge ist gewagt. Aber er zahlt sich aus. Könnte er doch weitaus mehr Leute ins Kino führen als ein konventionelles Drama.

„Jojo Rabbit“ ist ab dem 23. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.

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