The Hate U Give

Die Romanadaption THE HATE U GIVE fand an den Kinokassen nur wenig Beachtung, versetzte US-Kritiker jedoch in große Verzückung. Was der nah am Puls der Zeit liegende Film neben seiner Rassismusthematik zu bieten hat? Wir nähern uns dem in unserer Kritik!

Der Plot

Starr Carter (Amandla Stenberg) führt praktisch ein Doppelleben: Die 16-Jährige lebt mit ihrer Familie in der hauptächlich von Schwarzen bevölkerten Nachbarschaft Garden Heights, jedoch besucht sie die außerhalb ihrer heimischen Gegend liegende Privatschule Williamson Prep., auf die fast nur Weiße gehen. Obwohl sich Starr in ihrem Schulalltag keine Anfeindungen anhören muss, ist er für sie noch immer ein Spießrutenlauf, da sie sich unauffällig eingliedern muss, um in keine Schublade gesteckt zu werden. Daher hat Starr auch ihren Freund, ein weißer Mitschüler namens Chris (K. J. Apa), noch nie mit nach Hause genommen. Als Starr eines Abends mit ihrem besten Jugendfreund, dem dauerentspannten Khalil Harris (Algee Smith), von einer Party nach Hause fahren will, werden die Beiden von der Polizei angehalten. Einer der weißen Officers findet Khalils Verhalten, der die Lage durch lockere Geste zu entschärfen versucht, verdächtig und befiehlt ihm, den Wagen zu verlassen. Als Khalil dennoch weiter mit der sichtbar nervösen Starr auf dem Beifahrersitz spricht, eskaliert die Lage…

Kritik

Global spielte George Tillman Juniors „The Hate U Give“, der auf dem gleichnamigen Roman der Schriftstellerin Angie Thomas basiert, bis dato nur etwas mehr als 32 Millionen Dollar ein. Damit ist das so brandaktuelle, 23 Millionen Dollar teure Jugend- und Gesellschaftsdrama auf wirtschaftlicher Ebene mehr Misserfolg denn Erfolgsgeschäft für 20th Century Fox – was im drastischen Gegensatz zur US-Kritikerresonanz steht: Im Vorfeld der US-Kinoveröffentlichung überschlugen sich US-Medien mit Lob, teilweise war sogar von Oscar-Chancen die Rede. Dass Fox den Film anschließend ähnlich wie einen Oscar-Anwärter veröffentlichte, mit einer limitierten und schrittweise expandierenden Kopienzahl, statt wie eine „normale“ Jugendbuch-Adaption, wurde ihm dann möglicherweise zum Verhängnis, erschwerte dies dem Film doch, sein jugendliches Zielpublikum zu finden. Und so verglühte der Stern von „The Hate U Give“ wieder nach kurzer, intensiver Medienaufmerksamkeit – ohne eine einzige, anschließende Oscar-Nominierung.

Starr (Amandla Stenberg) und ihr Jugendfreund Khalil (Algee Smith).

Es ist bittere Ironie, dass dieses aufwühlende Stück Kino möglicherweise auch deshalb unterging, weil die Vermarktung es der „The Hate U Give“-Protagonistin gleichtat. Denn Starr Carter ist stets damit beschäftigt, Codes zu switchen und sich abhängig von der Erwartung ihres Umfeldes unterschiedlich zu verhalten: Die von Amandla Stenberg („Du neben mir“) mit magnetischer Ausstrahlung und umwerfender Wandlungsfähigkeit gespielte Jugendliche verbietet sich in ihrer Schule unter anderem Jugendslang sowie offenkundige Zuneigungen zu Hip Hop oder R’n’B. Denn das, was bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern hip und cool ist, würde sie in Gefahr bringen, ein schwarzes Klischee zu sein. In ihrer Nachbarschaft muss sie sich dagegen stets hinterfragen, ob sie sich vielleicht zu gewählt ausdrückt, denn was Andere als eloquent und smart dastehen ließe, könnte ihr den Vorwurf einbringen, sich von denen abheben zu wollen, die auf keine Privatschule gehen. Stenberg bringt subtile und weniger subtile Codeswitchings mit Stimmfarbe, Körperhaltung und Blicken nachdrücklich rüber. So erläutert sie allein schon durch ihr Schauspiel eine komplexe Thematik, über die vor allem Leute, die zur (vermeintlichen) Mehrheit zählen, selten nachdenken, obwohl sie für viele Menschen eine erhebliche Sache ist.

Generell sind die Szenen im ersten Akt sehr selbsterklärend, weshalb die Erzählkommentare aus dem Off gelegentlich so anmuten, als würden Tillmann und Drehbuchautorin Audrey Wells ihr Publikum schwer unterschätzen. Der Filmauftakt hätte also deutlich weniger einordnende Kommentare vertragen, gegen Filmschluss dämpft die Erzählstimme zudem die emotionale sowie gesellschaftspolitische Härte des zuvor Gezeigten – völlig verzichtbar ist der Erzählkommentar allerdings nicht. Gerade im Mittelteil sorgen sie, griffig geschrieben, für zusätzlichen Kontext und für Introspektive in Starrs Gedankentumult. Denn nach einer traumatischen Begegnung mit rassistischen Polizisten hinterfragt Starr erstmals alles, was sie zuvor mit geduckter innerer Haltung hingenommen hat: Dass „Das Gespräch“ für sie nicht das war, was Weiße damit meinen (den oftmals peinlich berührten Moment der sexuellen Aufklärung), sondern die dringliche Anleitung ihres Vaters, wie sie sich als Schwarze bei Polizeikontrollen zu verhalten hat. Dass sie ihr Verhalten in der Schule immer wieder hinterfragen muss, weil sie Angst hat, sonst ungerechtfertigt in eine Schublade gesteckt zu werden, obwohl sich doch die rechtfertigen müssten, die Leute vorschnell verurteilen. Dass eine schwarze Nachbarschaft von der Gesellschaft sogleich als eine sozialschwache Nachbarschaft wahrgenommen wird, was eine Stigmata aufrechterhaltende Kettenreaktion loslöst. Dass sich niemand traut, gegen Drogendealer King (Marvel-Star Anthony Mackie) vorzugehen, weil er so vielen aus der Nachbarschaft „geholfen“ hat, was dazu führt, dass er seine Macht ausbreiten kann und noch mehr Menschen „helfen“ kann…

Starr versucht, die Massen für das Thema Polizeigewalt zu sensibilisieren.

Es wird wohl bereits deutlich: „The Hate U Give“ eröffnet mit Code Switching, nimmt sich dann Polizeibrutalität vor und ackert sich dann durch einen gigantischen, brennenden Komplex an gesellschaftlichen Thematiken vor. Vielleicht nimmt sich „The Hate U Give“ sogar zu viel vor, denn selbst wenn es für ein Aufzeigen von institutionalisierten Fehlstellungen zwischen Weißen und Nicht-Weißen sowie für eine Skizzierung von Stigma-Teufelskreisen nötig ist, darauf einzugehen, weshalb ein Leben in der Kriminalität für manche marginalisierte Jugendliche attraktiv ist, verhebt sich der Film dadurch, wie er es macht: Wann immer Mackies stoisch gespielter King im Fokus einer Filmpassage steht, begibt sich „The Hate U Give“ in ein anderes Subgenre, das der Film nicht zu bedienen weiß. „The Hate U Give“ ist fest in Starrs Lebenssituation und Blickwinkel auf das soziale Gefüge verankert – und so, wie Tillman den Film auf die wohlmeinende, von der Gesellschaft enttäuschte und mit ihrer inneren Rebellin hadernde Jugendliche eineicht, bleibt nur noch Raum für entschärft dargestellte, klischeehafte Gangstergesten, was Mackies Figur zu einer deplatzierten Abziehfigur macht.

Umso stärker ist Rapper Common („Career Day mit Hindernissen“) als Starrs Onkel Carlos, einen Polizisten, der sich als Vermittler anschickt, doch in einem Gänsehautmonolog ohne mit der Wimper zu zucken seine eigene Doppelzüngigkeit offenbart. Auch Regina Hall („Scary Movie“) und Russel Hornsby („Fences“), die Starrs Eltern spielen, überzeugen – sie balancieren scheinbar mühelos zwischen den raren Szenen des Komforts in „The Hate U Give“ und dem sonst jugendtauglich-zugänglichen, trotzdem antreibend-dramatischen Tonfall des Films. Denn anhand Starr argumentiert diese Romanadaption, wie schwerwiegend und weitreichend das Rassismusproblem (nicht nur) in den USA ist und wie viel noch zu tun ist. Dass „The Hate U Give“ nach einer von Tillmann, Kameramann Mihai Mălaimare Junior und den Cuttern Alex Blatt & Craig Hayes dynamisch und mitreißend umgesetzten Szene der Eskalation wieder zwei Gänge zurückschaltet, ist ein Stückchen schade, aber auch tonal konsequent, da der Film durchweg einen baldigen Frieden herbeiargumentieren möchte – anders als etwa die politisch noch engagierteren „Assassination Nation“ oder „BlacKkKlansman“, die mit mehr (nachvollziehbarem) Frust an die Materie Ungerechtigkeit herangehen.

Es ist der letzte Moment zwischen den beiden Freunden, eh eine Katastrophe passiert.

Fazit: „The Hate U Give“ ist ein brandaktuelles Jugend- und Gesellschaftsdrama, das von der starken Performance von Amandla Stenberg in der Hauptrolle lebt und trotz kleinerer Schönheitsfehler mit Nachhall in Erinnerung bleibt.

„The Hate U Give“ ist ab dem 28. Februar 2019 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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