Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Neun Jahre nach „Die Vermessung der Welt“ kreuzen sich wieder die Wege von Regisseur Detlev Buck und Schriftsteller Daniel Kehlmann – dieses Mal, um Thomas Manns BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL zu adaptieren. Wie gelungen das ist, verrät unsere Kritik.

OT: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (DE 2021)

Der Plot

Der gutaussehende und charismatische Halbwaise Felix Krull (Jannis Niewöhner) hat ein Talent dafür, sich mit fesselnden, kurzweiligen Erzählungen und eloquenten Spitzen immer wieder einen Vorteil zu verschaffen. Vorteile, die er dringend benötigt – ist sein gesellschaftlicher Stand doch äußerst ausbaufähig. Innig in eine ähnlich listige Dame der Nacht namens Zaza (Liv Lisa Fries) verliebt, plant er, in einem Pariser Luxushotel an seinem sozialen Aufstieg zu arbeiten und so einen gemütlichen Lebensabend für Zwei zu ermöglichen. Doch der kriminelle Oberkellner Stanko (Nicholas Ofczarek), die undurchschaubare Dauergästin Madame Houpflé (Maria Furtwängler) und der treudoofe Marquis Louis de Venosta (David Kross) stellen für Felix Anlass dar, seine Pläne unentwegt anzupassen …

Kritik

Thomas Manns Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist eine leichtfüßige Angelegenheit: Vom legendären Schriftsteller als Parodie auf Goethes autobiografisches Werk „Dichtung und Wahrheit“ und den Bildungs- und Entwicklungsroman allgemein intendiert, besticht er mit einem faszinierenden sprachlichen Spagat. Der zugleich als Erzähler agierende Protagonist nutzt aufgeschnappte, hochgestochene Sprache, die er jedoch mit schelmischer Freude, so manchem Fauxpas und bezirzend-galanter Attitüde einsetzt, um sich einzuschmeicheln, Leute um den Finger zu wickeln und reinzulegen. Vereinzelte Vertonungen und Adaptionen von „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ sind allerdings sperrig und schwerfällig, als wolle man der Gravitas des Namens Thomas Mann gerecht werden. Dass dies ein unglücklicher Ansatz ist, haben Regisseur Detlev Buck („Bibi und Tina“-Reihe) und der zusammen mit Buck für das Drehbuch verantwortliche Schriftsteller Daniel Kehlmann erfreulicherweise verstanden. Ihre Adaption ist von spürbarem Respekt vor Mann durchzogen, was sich jedoch auch dadurch äußert, dass die Dialoge selbstbewusst und mit viel Schmiss auf die Leinwand übertragen werden.

Der treudoofe Marquis Louis de Venosta (David Kross).

Darüber hinaus ist Buck mit Jannis Niewöhner („4 Könige“) ein wahrer Besetzungs-Glücksgriff gelungen: Er fängt das Verschlagene und Gerissene des Protagonisten ebenso ein, wie er es versteht, in seiner Rolle Charisma und honigsüß vermittelte Schachtelsätze und doppelbödige Argumente als Waffe einzusetzen. Niewöhners Krull ist etwas empathischer und herzlicher angelegt als die Romanversion, doch das fügt sich nahtlos in Bucks und Kehlmanns Gesamtvision. Ihr Krull lässt sich obendrein noch seltener zum Spielball der Umstände machen als Manns: Der Film-Felix ist somit freundlicher und rebellischer zugleich, was ein charakterliches Paradoxon mit viel Zugkraft darstellt, und konsequenterweise dem Erzähltempo sowie der filmischen Dramaturgie zugutekommt. Der dominierende Tonfall des Films ist „elegant-verschlagen“, mit der Atmosphäre einer Wohlfühlposse im historischen Gewand, versetzt mit einzelnen dramatischen und melancholischen Einschüben. Diese tonalen Übergänge sind fließend, was nicht nur wegen des äußerst kurzweiligen Skript und Niewöhners Spiel gelingt, sondern dank des restlichen Casts. „Babylon Berlin“-Mimin Liv Lisa Fries etwa gelingt es, Zaza über das „Prostituierte mit Herz“-Stereotyp hinauswachsen zu lassen: Ihrer Zaza steht Hingabe ebenso ins Gesicht geschrieben wie eine ironische Distanz zu dem, was sie umgibt. Zudem suggerieren das Skript und vor allem Fries‘ verschlagener Blick, dass sie Felix in Sachen List mindestens ebenbürtig ist. Nicht nur damit, sondern mit Zazas Prominenz in der Story generell, weichen Buck und Kehlmann zwar von Manns Vorlage ab, allerdings treffen sie durchaus den Geist des Schriftstellers, der mit dieser Geschichte Modernität im historischen Gewand erschaffen wollte.

„Detlev Buck ist mit Jannis Niewöhner ein wahrer Besetzungs-Glücksgriff gelungen: Er fängt das Verschlagene und Gerissene des Protagonisten ebenso ein, wie er es versteht, in seiner Rolle Charisma und honigsüß vermittelte Schachtelsätze und doppelbödige Argumente als Waffe einzusetzen.“

Auch David Kross („Simpel“) bekommt als Marquis mehr zu tun, als es in einer vorlagengetreuen Verfilmung der Fall wäre. Zwar ist er über weite Strecken lediglich ein adeliger, begeisterter Zuhörer, der verträumt und gebannt an Felix‘ Lippen hängt, allerdings darf er dabei zwischen Verwunderung, Ratlosigkeit über die gesellschaftlichen Umstände, und mit Krull mitfiebernder Euphorie schwanken. Und somit wird er fast schon zu einer weiteren Identifikationsfigur. Obendrein haben Kehlmann und Buck Empathie für diese Figur übrig, ohne dadurch das gesellschaftskritische Element der Handlung zu verraten. Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich stellt in ihrem Film eine stets präsente Sorge dar, und selbst wenn manche Romanpassagen im Film weniger Schärfe aufweisen, gleicht die Verfilmung es durch einen böseren Stanko aus. Über diese Entscheidung werden Purist:innen sicher eifrig diskutieren. Im Kontext dieser Adaption funktioniert Nicholas Ofczareks („Cortex“) schmierige Darbietung allerdings sehr gut: Sein Stanko ist das von den höhergestellten Mitgliedern der sozialen Hackordnung beschützte Element der Schattenwelt, ein zum Vergessen der Moral drängender Fiesling, der alle, die ihm unterstehen, mit Gewalt und dem Ausnutzen seiner Connections klein hält. Solchen Verrat am eigenen Stand spitzzüngig zu kommentieren ist eine behutsame, gut integrierte Modernisierung der Vorlage.

Die undurchschaubare Dauerhotelgästin Madame Houpflé (Maria Furtwängler) hat ein Auge auf Felix Krull geworfen.

Die bereits erwähnte Ehrfurcht vor Mann kommt in dieser Adaption letztlich am sonnigsten zur Geltung, wenn sich Buck den nicht-heteronormativen Zügen der Vorlage nähert: Er belässt es beim Duktus des Romans, als dass er die Dinge bei aller Unmissverständlichkeit unausgesprochen lässt. Aber die hingebungsvoll-melancholische Darstellung des Lord Kilmarnock, der Parallelen zu Mann aufweist, wird in dieser Adaption zu einem geradezu rührenden Tribut vor dem Autoren. Und wie Buck es inszeniert, dass Felix Krull und Zaza Vorspiel und Einübung eines Kniffs, mit dem Krull der Einberufung ins Militär entgehen will, verschmelzen lassen, ist förmlich zum Zunge schnalzen: In Männerklamotten und mit angemaltem Schnurrbart, erspielt sich Zaza vorübergehend das alleinige Sagen in ihrer Beziehung zu Felix, und verdreht ihm im androgynen Look völlig den Kopf. Die schauspielerischen Funken fliegen förmlich zwischen Fries und Niewöhner; Buck sowie sein „Bibi & Tina“-Kameramann Marc Achenbach filmen diese neckische Szene als genüsslichen Spaß zwischen zwei Liebenden. Zwar fällt gelegentlich ein anerkennender Blick auf deren Körper, doch vor allem stehen ihre ausdrucksstarken, aufeinander reagierenden und lüsternen Gesichter im Fokus. Das gilt für den gesamten Film: Achenbach und Buck lassen den gebannten Kross, den genussvoll tricksenden Niewöhner und die liebevoll-listige Fries den Film stemmen, lassen die Geschichte vor allem dadurch wirken, dass wir jede noch so kleine Nuance in ihrem Spiel erkennen. Dennoch lassen sie genug Raum, um das kulissenhafte Paris, das prächtige Hotel und die schmuckvollen Kostüme zur Geltung zu bringen, statt Klaustrophobie zu erzeugen. Das wäre eines stets mehr wollenden Felix Krull auch gar nicht ebenbürtig.

„Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich stellt in ihrem Film eine stets präsente Sorge dar, und selbst wenn manche Romanpassagen im Film weniger Schärfe aufweisen, gleicht die Verfilmung es durch einen böseren Stanko aus.“

Fazit: Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist eine beschwingt-galante, eloquent-verschmitzte Adaption der amüsanten Thomas-Mann-Vorlage, die das Flair der Vorlage beibehält, aber den Roman zugleich behutsam-fokussiert für das moderne Kino beschleunigt.

„Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist ab dem 2. September 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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