Judas and the Black Messiah

Zwei Golden-Globe-Nominierungen, das Who-is-Who der afroamerikanischen Hollywoodszene und (bislang) kein offizieller Kinostart: In den USA kam JUDAS AND THE BLACK MESSIAH parallel zu seinem limitierten Kinostart direkt zum Streamingdienst HBOMax. Weshalb dem Film eine Auswertung in den hiesigen Lichtspielhäusern zu wünschen ist, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Judas and the Black Messiah (USA 2021)

Der Plot

Der FBI-Informant William O’Neal (LaKeith Stanfield) erhält den Auftrag, den Ortsverband Illinois der Black Panther Party zu infiltrieren und ihren charismatischen Anführer und Vorsitzenden Fred Hampton (Daniel Kaluuya) auszuspionieren. Zunächst findet der Gewohnheitsdieb O’Neal durchaus Gefallen daran, sowohl seine Kameraden als auch seinen Vorgesetzten, Special Agent Roy Mitchell (Jesse Plemons), zu manipulieren. Während Hamptons politischer Einfluss wächst, verliebt er sich in die Revolutionärin Deborah Johnson (Dominique Fishback). Unterdessen tobt ein Kampf um O’Neals Seele: Wird er sich mit den Kräften des Guten verbünden? Oder wird er versuchen, Hampton und die Black Panther mit allen Mitteln zu unterwerfen, so wie es FBI-Direktor J. Edgar Hoover (Martin Sheen) verlangt?

Kritik

Als größte Inspiration für sein Fred-Hampton-Biopic „Judas and the Black Messiah“ nannte Regisseur und Co-Autor Shaka King („Newlyweeds“) das Martin-Scorsese-Meisterwerk „Departed – Unter Feinden“, in dem sich Leonardo DiCaprio als FBI-Agent in einem Gangster-Syndikat einschleust, während eines seiner Mitglieder die Polizei infiltriert. Fred Hampton, hier gespielt von „Get Out“-Star Daniel Kaluuya, war ein US-amerikanischer Bürgerrechtler und Aktivist der Black Panther Party, der im Dezember 1969 bei einem Polizeieinsatz erschossen wurde. Zuvor hatte der Kleikriminelle William O’Neal in seiner Position als FBI-Spitzel den Ermittlern immer wieder Hinweise über die internen Abläufe der Black Panthers geliefert – und so ist bis heute nicht final geklärt, ob die Tötung Fred Hamptons ein (gern in Kauf genommenes) Versehen oder von langer Hand geplant war. Für einen solch radikalen Stoff fällt Shaka Kings Inszenierung von „Judas and the Black Messiah“ verhältnismäßig brav aus. Bei Vergleichen zu thematisch ähnlich gelagerter Kost – wir erinnern beispielsweise an Kathryn Bigelows „Detroit“, in dem sie einen barbarischen Akt von Polizeiwillkür nachzeichnet – fällt auf, dass King die durch die Tat heraufbeschworene Wut eher unterschwellig auf seinen Film wirken lässt, anstatt sie offen zur Schau zu stellen. Dadurch hat sein „Judas and the Black Messiah“ bisweilen etwas Dokumentarisches, was nicht minder intensiv die der Handlung zugrunde liegenden Ereignisse veranschaulicht.

Fred Hampton (Daniel Kaluuya) elektrisiert die Massen.

„Judas and the Black Messiah“ wird zwar in erster Linie als Fred-Hampton-Porträt verstanden, handelt aber eigentlich von zwei verschiedenen Zeitgenossen. Auf der einen Seite bebildert King den Hamptons Lebensweg vom Bürgerrechtler der National Association for the Advancement of Colored People zum Leiter ihrer Jugendabteilung hin zum Black-Panther-Mitglied und Gründer des Chicagoer Ortsverbands, eh er mit gerade einmal zwanzig Jahren zum Vorsitzenden der Black-Panther-Sektion von Illinois ernannt wurde. Eine kometenhafter Aufstieg für den Jurastudenten, den Shaka King seinem Publikum hier näherbringt, indem er einen gewichtigen Teil seines Films Hamptons energiegeladenen Reden widmet. „Judas and the Black Messiah“ zeichnet das Bild eines rhetorisch überragenden Überzeugungskünstlers, über den der FBI-Agent Roy Mitchell während des Films einmal sagt, er könne „einer Schnecke Salz verkaufen“. In Kombination mit einem überragend aufspielenden Daniel Kaluuya, der die zurückhaltende Scheue seiner „Get Out“-Figur vollends abgelegt hat, um sein ganzes Herzblut in feurige Ansprachen an seine Anhänger:innen zu legen, ergibt dies einige der besten Szenen des Films. Wenn der vom körperlichen Erscheinungsbild her kaum auffallende Fred Hampton vor sein Publikum tritt, seine Zuhörer:innen zum Mitsprechen animiert, seine rechte Hand zur Faust ballt und sich in seinen vibrierenden Gesichtszügen eine Mischung aus Rebellion, Wut und Zuversicht abzeichnet, erspielt sich Kaluuya mühelos eine Favoritenposition beim diesjährigen Oscar-Rennen – eine Golden-Globe-Nominierung für seine Rolle hat er bereits.

„‚Judas and the Black Messiah‘ zeichnet das Bild eines rhetorisch überragenden Überzeugungskünstlers, über den der FBI-Agent Roy Mitchell während des Films einmal sagt, er könne „einer Schnecke Salz verkaufen“.“

Die erzählerische Klammer von „Judas and the Black Messiah“ gebührt allerdings jemand anderem: William O’Neal, dem FBI-Informanten, durch dessen Augen die Ermittler ihre Sicht auf die Black Panther Party sowie ihrer inneren Abläufe wahrnehmen – und entsprechend auch ihr bekämpfungswürdiges Bild (das dato geheim gehaltene Ermittlerprogramm COINTELPRO wurde als „staatliches Aufstandsbekämpfungsprogramm“ ins Leben gerufen, um die Störung unerwünschter politischer Gruppierungen, zu der auch die Black Panther Party gehörte, zu unterbinden) festigen. Der Film beginnt mit einer nachgestellten Verhörszene O’Neals und endet mit Ausschnitten aus einem echten Interview, das er 1989 gab und in dem er unter anderem die Frage beantwortet, wie er die Geschehnisse seinen Kindern erklären würde. Auch zwischendurch hält das von Shaka King und Will Berson („Mighty B! Hier kommt Bessie“) verfasste Skript immer mal wieder inne, unterbricht die Ereignisse im Inneren der Black-Panther-Bewegung und widmet sich dem Zusammenspiel zwischen O’Neal und Special Agent Roy Mitchell. Doch während „Judas and the Black Messiah“ ein fast schon akribisches Porträt Fred Hamptons darstellt, das die Stärken und Schwächen des Bürgerrechtlers penibel auslotet, bleibt der Einbezug O’Neals (und damit auch LaKeith Stanfields zweifelsohne beeindruckendes Spiel) eher zweckdienlicher Natur. Dabei wäre es doch gerade spannend gewesen, zu erfahren, was sein Dasein als FBI-Informant mit ihm als Persönlichkeit anstellt. Doch mit Ausnahme einiger weniger geäußerter Zweifel ob der Sinnhaftigkeit seines Handelns steht die genaue Charakterisierung seiner Figur hintenan. Vielleicht, weil die detailgenaue Ausleuchtung von gleich zwei Charakteren den inszenatorischen Rahmen gesprengt hätte..!?

William O’Neal (LaKeith Stanfield) geht einen Deal dem FBI (hier: Jesse Plemons) ein.

Doch auch so ist „Judas and the Black Messiah“ bis oben hin vollgestopft mit geschichtsträchtigen Momenten, die auch weniger themenaffinen Zuschauer:innen die Bedeutung der Black Panther Party sowie deren Streitbarkeit näherbringt (sogar aus den eigenen Reihen wurden immer wieder Zweifel daran laut, wie die Mitglieder ihre Rolle als Rebell:innen verstehen). Dafür greift Shaka King kaum auf bekannte Bilder aktiv ausgeübten Rassismus‘ zurück – er setzt das Wissen um die bis heute weltweit andauernden Missstände selbstbewusst voraus. Stattdessen widmet er sich dem, was ebenjene Unterdrückung mit Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern angestellt hat, die sich daraufhin den Black Panthern anschließen. Es ist vielleicht die größte Stärke von „Judas and the Black Messiah“, dass hier nicht die Täter:innen, sondern die Opfer im Mittelpunkt stehen und sich gleichzeitig nicht mit ihrem Opfer- sondern eben mit ihrem Rebell:innendasein auseinandergesetzt wird – ein erzählerischer Ansatz, der die Handschrift eines selbst von Rassismus betroffenen Filmemachers offenbart. Auch deshalb durchströmt „Judas and the Black Messiah“ zu jedem Zeitpunkt eine unbändige Energie, die nicht bloß aus Hamptons passionierten Reden resultiert, sondern auch aus der Art und Weise, wie King Szenen aufbaut und ihnen seinen ganz eigenen Rhythmus verpasst. Gleich mehrfach erweckt die Anordnung der Männer und Frauen auf engem Raum den Eindruck einer geplanten Choreographie, sodass man jeden Moment mit einer fetzigen Musicaleinlage rechnet. Sogar die Atmung scheinen die Darsteller:innen auf einander abzustimmen, sodass die Spannung immer weiter zunimmt, ihren Katalysator aber eben nicht in einer Tanz- und Gesangsnummer findet, sondern „nur“ mit einem weiteren, flammenden Wortgefecht.

„Es ist vielleicht die größte Stärke von „Judas and the Black Messiah“, dass hier nicht die Täter:innen, sondern die Opfer im Mittelpunkt stehen und sich gleichzeitig nicht mit ihrem Opfer- sondern eben mit ihrem Rebell:innendasein auseinandergesetzt wird.“

Kameramann Sean Bobbitt („Widows – Tödliche Witwen“) kleidet „Judas and the Black Messiah“ in farbsatte, kontrastreiche Bilder, denen eine zeitlose Eleganz innewohnt. Immer wieder filmt er aus der großen Menschenmenge heraus und gibt dem Publikum das Gefühl und die Möglichkeit, im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin zu sein und sich von Fred Hamptons Energie anstecken zu lassen. Darüber hinaus geht er mit seiner Kamera ganz nah an die Gesichter der hier porträtierten Figuren heran und bringt einem dadurch auch das innere Brodeln ebenjener Figuren wie Jesse Plemons‘ Roy Mitchell näher, denen das Skript sonst nicht ganz so viel Beachtung schenkt. Craig Harris und Mark Isham („The Accountant“) sorgen derweil für den dazugehörigen Klangteppich, in dem sich die Schwere des Themas genauso wiederfindet wie Shaka Kings betonte Aufbruchsstimmung.

Fazit: „Judas and the Black Messiah“ ist das energetische Porträt des unter tragischen Umständen verstorbenen Black-Panther-Mitglieds Fred Hampton, das Regisseur und Autor Shaka King mit rebellischer Trotzigkeit vorträgt und den Kampf gegen den Rassismus aus der Opfersicht darlegt, ohne das Opfersein zu betonen. Dadurch hallt sein Film lange nach, auch wenn die Beweggründe des titelgebenden Judas ein wenig unterbeleuchtet bleiben.

„Judas and the Black Messiah“ ist ab dem 1. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.

Ein Kommentar

  • Vielen Dank für die vielen tollen Kritiken. Ich bin auch gegen den Gebrauch illegaler Downloads und den Besuch illegaler Streamingplattformen! Was mich nur wundert, die Nutzung von HBO MAX ist in Deutschland doch ebenfalls legal nicht möglich.

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