Christopher Robin

Disney schickt nach Produktionen wie „Cinderella“ und „Die Schöne und das Biest“ einen weiteren Realfilm auf die Leinwand, der sich um bereits in Zeichentrickform bekannte Figuren dreht. Ob CHRISTOPHER ROBIN die „Winnie Puuh“-Geschichten liebevoll weitererzählt oder zynisch kalkuliert ist? Das verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Der in der englischen Provinz lebende Junge Christopher Robin muss Abschied von seinen Freunden aus dem Hundert-Morgen-Wald nehmen: Die Zeit des sorgenlosen Spielens mit seinen Stofftieren Winnie Puuh, Tigger, Ferkel, I-Ah, Känga und Ruh sowie den Waldtieren Eule und Rabbit ist vorbei, der erste Tag auf dem Internat wartet. Obwohl Christopher Robin dem besorgten Winnie Puuh verspricht, ihn niemals zu vergessen, holt den Jungen schon bald die Realität ein. Wie im Fluge vergehen die Jahre; mehrere Ereignisse, manche davon traurig, einige wenige von ihnen schön, zwingen Christopher Robin dazu, eilig sowie durch und durch erwachsen zu werden. Ehe er es sich versieht, ist Christopher Robin ein verheirateter Mann (Ewan McGregor), der gemeinsam mit seiner Frau, der Architektin Evelyn (Hayley Atwell), eine Tochter namens Madeline (Bronte Carmichael) hat, die sich bereits im Schulalter befindet. Gegen Evelyns Einschätzung will Christopher Robin das eifrig lernende Kind aufs Internat schicken – und dann fällt auch noch aufgrund dringender beruflicher Verpflichtungen ein gemeinsames Wochenende auf dem Land flach. Aber kaum ist Christopher Robin allein zu Hause, kämpfen sich seine Erinnerungen an eine ruhigere, verspieltere Zeit hoch…

Kritik

Wenn Kindheitsfavoriten „in unsere Welt“ geraten oder anderweitig aus ihrem ursprünglichen, zeitlichen und örtlichen Setting gerissen werden, ist durchaus Vorsicht geboten. Denn dieser nicht selten genutzte Filmplot führte schon öfter zu Produktionen, bei denen vieles von dem auf der Strecke liegen bleibt, das diese beliebten Figuren überhaupt erst zu Ikonen gemacht hat. Seien es die beiden „Die Schlümpfe“-Komödien, in denen die blauen Winzlinge das heutige New York unsicher machen und plötzlich derb-flippigen Humor erlernen und sich Popkulturreferenzen hingeben. Oder seien es die frenetischen Realfilme mit computeranimierten Titelfiguren rund um die früheren Zeichentrickhelden„Yogi Bär“, „Garfield“ sowie „Alvin und die Chipmunks“. Und selbst der Realfilm und Zeichentrick vermischende 90er-Jahre-Kult „Space Jam“ hat so seine Kritiker, weil er Bugs Bunny und Konsorten in ihren Augen auf zu bemühte Art und Weise hip und cool darstellt. Um es direkt vorwegzunehmen: Disneys „Winnie Puuh“-Realfilm „Christopher Robin“ lässt sich nicht in dieselbe Schublade stecken wie die genannten Beispiele. Die freundlichen Gesellen aus dem Hundert-Morgen-Wald verlassen zwar im Laufe der Handlung ihre altbekannte Heimat und werden dabei auch aus dem zeitlosen Kontext befördert, mit dem sie üblicherweise assoziiert werden, um durch einen konkreten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte zu stolpern. Jedoch verzichten die Autoren Tom McCarthy („Spotlight“) und Alex Ross Perry („Nostalgia“) sowie Autorin Allison Schroeder („Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen“) tunlichst darauf, diese Geschichte auf Kulturschocks hinzubürsten.

Christopher Robin (Ewan McGregor) mit seinem besten Freund Winnie Puuh.

Nein. Der „dumme, alte Bär“ Winnie Puuh, eines der wonnigsten Beispiele für ein freundlich-simples Gemüt, droppt in diesem Film keine fetten Rhymes, und das ängstliche Ferkel schaut sich nicht heimlich einen Horrorfilm an, um letztlich seine Panik zu überkommen und den Rest des Films seine Freunde damit zu nerven, unentwegt Zitate aus dem Slasherstreifen in Unterhaltungen unterzubringen. In „Christopher Robin“ kommt es zu einem behutsamen Settingwechsel, der sich sogar grob an der Wirklichkeit orientiert: Die ersten „Winnie Puuh“-Erzählungen wurden nach dem Ersten Weltkrieg von A. A. Milne in Anlehnung an die Stofftiere und Spielgeschichten seines Sohnes Christopher Robin Milne verfasst (davon erzählte erst kürzlich das dramatische Biopic „Goodbye Christopher Robin“). Als Christopher Robin Milne im Alter von zehn Jahren aufs Internat ging, waren seine Kindheitsfreunde (beziehungsweise ihre literarischen Pendants) bereits weltberühmt, als junger Erwachsener zog es ihn in den Zweiten Weltkrieg. „Christopher Robin“ lehnt sich an diesen realen, zeitlichen Ablauf an und erzählt von einem erwachsenen Christopher Robin im sich allmählich der Normalität zuwendenden England der Nachkriegszeit. Somit ist diese schleichende „Modernisierung“ der Hundert-Morgen-Wald-Figuren für uns als Zuschauerinnen und Zuschauer noch immer ein Blick in eine immer ferner werdende Vergangenheit.

„Christopher Robin“ nimmt nicht bloß von der Versuchung Abstand, altbekannte und beliebte Figuren in eine grell-alberne Kulturschockkomödie zu schubsen, sondern auch von einem modernen Trend im Disney-Filmpantheon: Obwohl auch dieser von Brigham Taylor und Kristin Burr produzierte Film Figuren nimmt, die bereits als Disney-Zeichentrickhelden bekannt sind, und sie in eine Realfilmgeschichte steckt, ist sie nicht mit diversen Disney-Filmen der vergangenen Jahre zu vergleichen. „Maleficent – Die dunkle Fee“, Kenneth Branaghs „Cinderella“, „The Jungle Book“, „Elliot, der Drache“ und „Die Schöne und das Biest“ sind allesamt Remakes, die sich ihrem beliebten Original nähern, und es mit einem bestimmten Fokus nacherzählen, um mal mehr, mal minder relevante Kritikpunkten an ihm zu beantworten. Was, wenn der Schurke in Wahrheit ein gutes Motiv hatte? Kann man die Geschichte nicht emanzipatorischer aufziehen? Müsste so ein Waise mit einem Drachenfreund nicht ganz anders handeln? Hat das effizient erzählte Märchenmusical nicht allerhand Logiklöcher? „Christopher Robin“ ist weder eine Neuerzählung, noch zu irgendeinem Grad eine metafiktionale Reaktion auf Disney-Kritiker oder spitzfindige Filmkommentare. „World War Z“-Regisseur Marc Forster hat stattdessen eine konsequente, herbsüße Weitererzählung von „Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh“ und dem 2011 ungerechtfertigt untergegangenen „Winnie Puuh“ herbeigezaubert, die wiederkehrende Figuren mit höchstem Respekt behandelt und den tonalen Fokus liebevoll-behutsam verschiebt, um so dem Stoff aller Feinfühligkeit zum Trotz Neues abgewinnen zu können.

Madeline Robin (Bronte Carmichael), Christopher Robin, Evelyn Robin (Hayley Atwell) mit ihren Freunden I-Ah, Ferkel und Tigger.

Einmal krude verallgemeinert gesprochen, war es bislang so, dass die gelungensten Disney-Produktionen rund um Winnie Puuh, Tigger und Konsorten kinderfreundliche Geschichten sind, die aufgrund ihrer pfiffigen Umsetzung und der halb-verborgenen Cleverness ihrer Skripts auch Ältere zu verzaubern wissen. Und dann gab es zwischendurch diese Phase, in welcher der Disney-Konzern die Marke Puuh durch rein kindliche Produktionen verwässert hat. „Christopher Robin“ ist nun ein zärtliches Gegengewicht: Es ist nicht die Art Familienfilm, in den die Kinder „ihre“ Erwachsenen mitziehen, sondern die Art Familienfilm, zu dem Erwachsene Kinder mitschleppen. Soll heißen: Der Schwerpunkt der Erzählung hat sich, analog zum Wechsel der Titelfigur, verschoben. Hier geht es nicht weiter um Stoff- und Waldtiere, die mit ihrem menschlichen Freund spielen. In „Christopher Robin“ geht es darum, dass die Titelfigur keine Zeit mehr für die freudigen Dinge des Lebens hat. Als Kriegsveteran, Familienvater und höherer Angestellter in einer finanziell schwächelnden Firma, der seiner Tochter alles ermöglichen will und daher übertrieben stark um ihren Bildungsstand besorgt ist, ist unser von Ewan McGregor („T2: Trainspotting“) gespielte Protagonist jemand, der einfach dringend eine Pause bräuchte. Jedoch hat er sich so sehr in Verantwortungen verstrickt, dass er sie sich partout nicht leistenwill.

Nicht zuletzt dank McGregors sprödem Charme und seinem Talent, selbst bei völliger Überarbeitung und Ignoranz dessen, was sich seine Tochter gerade wünscht, noch immer sorgend zu wirken, vermeidet diese fantasievolle Dramödie das „Hook“-Problem: Christopher Robin wird sogar im tristen Einstieg, der wohl viele erwachsene Publikumsmitglieder durch allerhand Identifikationspotential emotional niederschmettern wird, nicht als emotionsloser Mistkerl oder sturer Workaholic dargestellt, der selbst an seinen Problemen schuld ist. Damit ist der Einstieg, so sehr er die harten Realitäten des Erwachsenenlebens anschneiden mag, fürs junge Publikum noch immer freundlicher als der Beginn des viel diskutierten Steven-Spielberg-Klassikers über einen Peter Pan, der erwachsen, freudlos und langweilig geworden ist.

Ferkel und Ruh feiern eine Party.

Aber die anfängliche Lage Christopher Robins ist nicht nur dazu gut, um die volle Schwere der dramatischen Filmelemente über die Köpfe der Kinder hinwegzuheben und sie direkt mit ganzer Wucht auf den Älteren abzuladen. Dadurch, dass McCarthy, Perry sowie Schroeder in ihrem Drehbuch und Forster in seiner Inszenierung von diesem Punkt ausgehend Christopher Robins interne sowie externe Konflikte Schritt für Schritt stimmig ausarbeiten, vermeiden sie eine weitere potentielle Falle dieses Filmstoffes.

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