Christopher Robin

Obwohl Zyniker sich den Film wahrscheinlich mit einiger Mühe so zurechtbiegen könnten, ist „Christopher Robin“ keine seelenlose Disney-Marketingmaschine, die ihrem Publikum entgegen schreit, wir sollten doch alle für immer Kinder bleiben und uns nicht weiter um Erwachsenensorgen kümmern, so dass wir mehr Produkte des Mäusekonzernes konsumieren. Darum geht es in Marc Forsters paradoxerweise ebenso melancholischem wie lebensfrohem Film wahrlich nicht – Disney-Referenzen tätigt er nur behutsam und respektvoll (Disney-Fans sollten daher dringend im Abspann sitzen bleiben, um neues Material einer lebenden Legende zu genießen!). Und die Grundbotschaft des Films orientiert sich zwar daran, dass es hilft, sein inneres Kind lebendig zu halten, ist allerdings längst nicht so weltfern wie manch andere Dramödien übers Jungbleiben: Christopher Robin muss in dieser Geschichte nicht um jeden Preis wieder zu genau dem Kind werden, das er einst war – viel mehr handelt der Film davon, dass auch Erwachsene, die glauben, sie hätten sich in ein tiefes, tiefes Loch der unmöglich einzuhaltenden Verantwortungen gegraben, durchschnaufen müssen. Nur, wer einen Schritt zurück aus seinem Sorgenwust macht, um auch wieder den Blick für die freudigen Dinge des Lebens zu gewinnen, kann es letztlich aus seiner Zwickmühle schaffen. Diese schlichte, und dennoch so gern vergessene, Erkenntnis übermittelt Forster auf bezaubernde und unaufgeregte Weise.

Christopher Robin entdeckt langsam seine Freude am Leben wieder.

In etwas mehr als 100, nie gehetzten, doch genauso wenig vor sich hinplätschernden, Minuten wird Christopher Robin mit seinem verdrängten, kindlichen Optimismus und seinen vergessenen Kindheitsfreunden konfrontiert, widersetzt sich dem kuriosen Wiedersehen mit Winnie Puuh, taut allmählich auf und steuert auf einen angenehm kleinen, privaten, dennoch wichtigen Finalkonflikt hinzu. Hier geht es nicht um die Rettung des Hundert-Morgen-Waldes, geschweige denn der Welt, sondern um dringende Entscheidungen, die Christopher Robin familiär und beruflich treffen muss – womit Forster und das für’s Drehbuch verantwortliche Trio erneut das jüngste, nur für Puuh-Spaß ins Kino gekommene Publikum von den dramatischen Spitzen fernhalten, während sich die Älteren bestens mit dem Titelhelden identifizieren dürften. So liebenswürdig McGregors Schauspielleistung sein mag, und so plausibel er die Entwicklung von erschöpft zu verwundert zu begeistert vermitteln mag, würde „Christopher Robin“ wohl in sich zusammenfallen, wären die Freunde aus dem Hundert-Morgen-Wald nicht durch und durch perfekt getroffen. Und das in jeglichem Wortsinne, denn die Figuren sind vollauf integer geschrieben und animiert – und meisterlich in die Realfilmszenerie integriert! Zu keinem einzigen Zeitpunkt ist überdeutlich, dass das reale Ensemble mit digitalen Kreaturen interagiert. Stets gelingt es dem Effektteam dank perfektem Shading und Compositing, die Trickfiguren so ins Geschehen einzupflegen, dass man glauben könnte, es handle sich gar nicht um CG-Wesen, sondern um die am besten artikulierten, praktischen Trickpuppen, die man sich vorstellen kann. Und eben diese fantastisch ins Geschehen integrierten Figuren sind sich so treu geblieben, dass es eine Freude ist:

Ob Tigger, Winnie Puuh, I-Ah oder einer der anderen Kindheitsfavoriten, sie alle bewegen sich auch in ihrer computeranimierten Form so, wie wir sie aus Disneys Zeichentrickklassiker kennen und sie benehmen sich in jeder Situation vollauf konform zu ihrer bekannten Charakterisierung. Diese charakterliche Integrität kommt beispielsweise zur Geltung, wenn Winnie Puuh erstmals Christoper Robins Frau sieht. Über die von Hayley Atwell („Captain America – The First Avenger“) gespielte Architektin, die stets den Anschein erweckt als würde sie Berufs- und Familienleben besser ausbalancieren als ihr Gatte, sagt der freundliche Bär in der englischen Originalfassung: „Oh, she looks kind.“ Es ist ein kurzer Augenblick im Film, doch einer, der Bände spricht. Nicht bloß, dass der nur wenig vom Leben verlangende, von seinem steten Hunger abgesehen, grundzufriedende Stoffbär Oberflächlichkeiten außer Acht lässt, statt Evelyn als hübsch oder gar heiß zu deklarieren. Er lobt, dass sie einen gütigen Eindruck erweckt, was einerseits in einer Linie mit dem steht, wie Winnie Puuh sonst charakterisiert wird – es ist aber andererseits zudem eine kurze, knappe, trotzdem einprägsame Besinnung auf das, was wirklich zählt.

Christopher und Puuh schwören sich ein weiteres Mal, sich nie aus den Augen zu verlieren.

Und eben dies wiederholt sich in „Christopher Robin“ in Form von kleinen Scherzlein, magischen Situationen und gewitzt-charmanten Wortwechseln immer wieder, was wiederum die Handlung vorantreibt, indem dies alles Christopher Robin aus seiner vertrackten, verkopften Ausgangslage bringt. Die Freunde aus dem Hundert-Morgen-Wald bleiben ihrer archetypischen Art treu, und eben diese markanten Persönlichkeiten locken Christopher Robin auf glaubwürdige, nachvollziehbare und kurzweilige Weise aus seinem Kokon der Trostlosigkeit hervor. Dabei bleibt die von Kameramann Matthias Koenigswieser ganz nostalgisch und haptisch auf Film festgehaltene, in sanften Erdtönen getauchte Erzählung nahezu komplett frei von einer moralinsauren, belehrenden Dialektik. Nur einen einzelnen Monolog, der explizit eine der Lektionen dieser Geschichte zusammenfasst, konnten sich die Filmschaffenden wohl nicht verkneifen. Jedoch ist dieser, anders als ähnlich geartete Moralhammer aus Filmen wie „Wonder Woman“, „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ oder „Guardians of the Galaxy Vol. 2“, inhaltlich gut begründet: Der Film hält nicht für das Ausformulieren seiner Botschaft an – in solch einer Situation würde es auch im wahren Leben einen belehrenden Monolog geben, bloß dass er wohl kaum so filmisch-überartikuliert ausfiele.

Von den ungleichen Komponisten Geoff Zanelli („Pirates of the Caribbean – Salazars Rache“) und Jon Brion („Vergiss mein nicht!“) mit zarten, simpel-verspielten, eingängigen Melodien untermalt, die auch mehrmals klassische „Winnie Puuh“-Ohrwürmer in einer zurückhaltenderen Form verarbeiten, mausert sich dieser von magischem Realismus durchzogene Selbstfindungsplot zu einem Disney-Kleinod: Der naturalistische Look, der scheinbar mühelose Balanceakt zwischen betrüblich und vergnüglich und die zahlreichen, rührend-gewitzten Wortwechsel zwischen Christopher Robin und seinen wiederkehrenden Kindheitsfreunden machen Marc Forsters Mid-Budget-Produktion zu genau der frischen, sanften Brise im Familienkino, die bei weitem nicht nur der überarbeitete Titelheld braucht.

Ferkel, Puuh, Rabbit, Ruh, Känga, Tigger und I-Ah.

Fazit: Ein deutlich entspannterer „Wo die wilden Kerle wohnen“, ein humorvollerer „Wenn Träume fliegen lernen“, ein gemütlicherer „Paddington“? Vielleicht, aber vor allem ist „Christopher Robin“ sein eigenes Ding – ein bezaubernder, melancholisch-froher Familienfilm für Erwachsene, die behutsam von ihren Sorgen abgelenkt werden wollen, und für Kinder, die ihre Freunde aus dem Hundert-Morgen-Wald mal in einer realen Umgebung erleben möchten.

„Christopher Robin“ ist ab dem 9. August 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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