Alles außer gewöhnlich

Die beiden „Ziemlich besten Freunde“-Regisseure Eric Toledano und Olivier Nakache konnten ihren Wahnsinnserfolg in Deutschland nicht wiederholen. Und auch ihr neuester Film ALLES AUSSER GEWÖHNLICH dürfte daran nichts ändern. Warum, das verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Bei ihrer Arbeit mit autistischen jungen Menschen und ihren Betreuern vollbringen der aufopferungsvolle Bruno (Vincent Cassel) und sein Kollege Malik (Reda Kateb) tagtäglich kleine Wunder: Mit viel Engagement, Feingefühl und Humor versuchen sie, aus vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten eine Gemeinschaft zu formen, in der jeder Einzelne die Chance bekommt, über sich hinaus zu wachsen. Doch dieses Vorhaben droht, zu scheitern. Das Problem: Offiziell besitzt die von den beiden Männern betriebene Einrichtung für geistig behinderte Menschen keine Zulassung. Nun soll sich die zuständige Abteilung des Gesundheitsministeriums der Sache annehmen. Doch sollte man die Einrichtung schließen, würde das bedeuten, dass von heute auf morgen knapp 40 Jugendliche und Erwachsene mit schwerem Autismus auf der Straße sitzen würden. Bruno und Malik geben alles, um für ihre Schützlinge zu kämpfen.

Kritik

Eric Toledano und Olivier Nakache ist mit der Tragikomödie „Ziemlich beste Freunde“ nicht nur in ihrem Heimatland Frankreich ein Megahit gelungen, sondern auch in Deutschland. 2012 lockte die Tragikomödie über einen querschnittsgelähmten Millionär und seinen aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Pfleger über neun Millionen Besucher in die hiesigen Kinos; der letzte große Sleeperhit jüngerer Kinogeschichte. Anschließend blieb sich das Regieduo nicht nur bei der gemeinsamen Zusammenarbeit treu, sondern auch bei dem inszenatorischen Stoff. Komödiantisch-tragische Studien über das Leben; von „Heute bin ich Samba“ (sogar ebenfalls mit „Ziemlich beste Freunde“-Star Omar Sy in der Hauptrolle) über „Das Leben ist ein Fest“ bis hin zum US-Remake von „Ziemlich beste Freunde“ mit dem Titel „Mein Bester & ich“: Die Drehbuch- und Regiearbeiten der beiden Männer ähneln sich zwar, konnten jedoch nie mehr an den Erfolg ihres 2012er-Überraschungshits anknüpfen, obwohl man immer fleißig damit warb, dass es sich bei den Filmen doch um solche „von den Machern von  ‘Ziemlich beste Freunde‘“ handeln würde. In Frankreich dagegen genießen die Regisseure Star-Status, die Filme werden regelmäßig zu Publikumsmageten. So auch im Falle von „Alles außer gewöhnlich“, der auf den ersten Blick erneut diverse Gemeinsamkeiten mit letztgenannten Werken aufweist. Und vielleicht ist genau das das Problem, denn der eigentlich äußerst ernste Stoff ist in den Händen von Nakache und Toledano spürbar nicht gut aufgehoben. Erst mit einer finalen, minutenlangen Bildmontage holen die Filmemacher auf, was ihnen in den Stunden zuvor scheinbar unwichtig war.

Bruno (Vincent Cassel) mit einem seiner Schützlinge.

Das von Toledano und Nakache – beide sowohl für die Regieführung als auch das Drehbuch verantwortlich – angepackte Thema eignet sich auf den ersten Blick kaum für einen Film, der sich auch nur ansatzweise im Bereich der Komödie verorten lässt. Die beiden erzählen basierend auf wahren Schicksalen von einer nicht-staatlichen (und offiziell nicht zugelassenen) Pflegeeinrichtung in Frankreich, in der Jugendliche und junge Erwachsene mit schwerem Autismus Betreuung erfahren, die ihnen über staatliche Wege nicht möglich wäre. Der Grund: Je schwerer ein Patient erkrankt, desto schwieriger wird es, eine Einrichtung wie etwa einen Platz in einer Psychiatrie für ihn zu finden. In Frankreich hat sich daher über Jahre eine Art Zweitsystem abseits des offiziellen Gesundheitssystems entwickelt, das auch davon am Leben erhalten wird, dass gewisse medizinische Bezeichnungen in der Betreuung und Pflege nicht geregelt sind und sich mit einer gewissen Schulung jeder der Patienten annehmen und ihnen einen Betreuungsplatz bereitstellen kann. Genau in so einer Einrichtung spielt „Alles außer gewöhnlich“; im Fokus stehen allerdings weniger die Patienten als vielmehr die Betreuer, die sich aufopferungsvoll um ihre Schützlinge kümmern, während sie parallel dazu versuchen, die Pflegestelle aufrechtzuerhalten. Das Problem: So richtig viel über die Motivation der beiden erfährt man nicht – und obwohl insbesondere Maik immer wieder betont, dass die Einrichtung kurz vor der Schließung steht, sich Nachbarn beschweren und die Prüfstelle des Gesundheitsministeriums buchstäblich vor der Tür steht, bekommt man nie ein Gespür dafür, wie ernst die Lage wirklich ist. Vielleicht auch, weil der dauerhaft am Smartphone hängende Bruno sein lapidares Mantra vom „Das klappt schon irgendwie“ einfach ein paarmal zu oft wiederholt.

Tatsächlich gewinnt man im Laufe des mit 113 Minuten nicht gerade kurzen Films irgendwann den Eindruck, so sehr das hier präsentierte Betreuungssystem doch auf Glück und Improvisation basiert, würde eben am Ende doch alles irgendwie klappen; im Kontext zu den realen Pflegeumständen in Frankreich wirkt das fast schon wie ein trotzigen Verschließen der Augen vor der Realität. Diese von den Machern sicher nicht unbeabsichtigte (und irgendwie ja auch ehrenwerte) Zuversicht hat ihre Auswirkungen: So schlimm und tragisch die Schicksale der einzelnen Patienten auch sind, so wenig sollten sie einen zur (Selbst-)Aufgabe führen – eine absolut solide, aber in diesem Fall die Schwere der Lage einfach ein Stück weit unterschätzende Botschaft. In der thematisch ähnlich gelagerten Komödie „Die Goldfische“, die ebenfalls in diesem Jahr in die Kinos kam, nutzte Regie-Debütant Alireza Golafshan eine ganz ähnlich lebensfrohe Botschaft, um anhand seines Films eine aufrichtige Liebeserklärung an den Menschen in all seiner fehlenden Perfektion zu erzählen; und machte Menschen mit geistiger Behinderung darin zum ganz selbstverständlichen Dreh- und Angelpunkt. „Alles außer gewöhnlich“ strahlt zwar streckenweise eine ganz ähnliche Heiterkeit aus, die den erzählerischen Details der Geschichte jedoch mitunter zuwiderläuft. Randnotizen wie die schwere Selbstverletzung einiger Patienten oder die Todessehnsüchte von verzweifelten Angehörigen bleiben genau das: Randnotizen. Ganz so, als wüssten Toledano und Nakache nicht, wie sie derart herbe Thematiken in einem Film unterbringen sollen, der ja eigentlich Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen soll.

Bei der Arbeit mit den Patienten kommen auch Pferde zum Einsatz.

Auch die Krankheitsbilder der verschiedenen Autismuspatienten lassen sich mitunter so klar auf eine bestimmte Angewohnheit reduzieren, dass man über so viel erzählerische Grobmotorik nur den Kopf schütteln kann. Wenn einer der Männer beispielsweise jeden Zug, in dem er fährt, über die Notbremse stoppen muss, dann hat das in der permanent wiederaufgegriffenen Inszenierung den Charakter eines Running Gags. Über die Person hinter dem Spleen erfährt man dagegen kaum etwas. Die Patienten in „Alles außer gewöhnlich“ kommen über den Status des Patienten nie hinaus, dürfen nie Mensch sein, sondern bleiben auf ihre Funktion innerhalb des Films beschränkt. Diese liegt darin, die mit Sicherheit ehrwürdige Absicht der Filmemacher – nämlich auf den Missstand in diesem Teil des französischen Gesundheitssystems – zu unterstreichen und das Krankheitsbild des Autismus in all seinen Facetten aufzuzeigen. Doch erst wenn Toledano und Nakache in der letzten Viertelstunde auch wirklich bereit sind, das gebetsmühlenartig wiederholte „Alles wird gut!“-Mantra über Bord zu werfen und den Finger in die Wunde zu legen, dass eben nicht alles wieder gut wird, wenn man nur lang genug dran glaubt (oder es eben oft genug sagt), nimmt man dem Film sein Anliegen auch wirklich ab. Zuvor wandelt „Alles außer gewöhnlich“ zu ungelenk auf den Spuren des bisherigen Schaffens der „Ziemlich beste Freunde“-Macher, die offenbar partout nicht wahrhaben wollen, dass man gewisse Geschichten auch mal ganz ohne Humor erzählen kann.

Fazit: „Alles außer gewöhnlich“ geht nicht ernst genug mit seinem sich selbst auferlegten Thema um und nutzt Humor mitunter zu ungelenk, um ein authentisches Hoffnungsgefühl auszustrahlen. Damit fällt der neueste Film der „Ziemlich beste Freunde“-Macher zwischen die Stühle eines zu seichten Dramas und einer zu unlustigen Komödie.

„Alles außer gewöhnlich“ ist ab dem 5. Dezember in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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