Pokémon Meisterdetektiv Pikachu

Ein junger Mann mit Vaterkomplex und ein Pikachu ohne Gedächtnis, aber mit Deerstalkermütze, lösen einen kniffligen Fall. Ob POKÉMON MEISTERDETEKTIV PIKACHU mit dieser Prämisse zu begeistern weiß, verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Tim (Justice Smith) führt ein langweiliges Leben als Versicherungsangestellter, der im Gegensatz zu den meisten Menschen in seinem Umfeld kein Pokémon hat, das ihn überallhin begleitet. Als das Landei erfährt, dass sein Vater Harry spurlos verschwunden ist und als verstorben gilt, macht er sich auf in die futuristisch angehauchte Metropole Ryme City. Dort war Tims Vater, von dem er sich in Kindstagen entfremdet hat, beruflich tätig.  Als Tim im Appartement seines Vaters versucht, emotional Abschied zu nehmen, begegnet er dem Pokémon-Partner seines alten Herren, einem flauschigen Pikachu mit Deerstalker-Mütze. Als dieses den Mund aufmacht, glaubt Tim, den Verstand verloren zu haben: Es spricht wie ein Mensch (im Original mit der Stimme von Ryan Reynolds), statt wie jedes andere Pokémon nur Geräusche und seinen Namen von sich zu geben. Mit dieser ebenso knuffigen wie unerwarteten Unterstützung begibt sich Tim in ein halsbrecherisches Abenteuer um das vertrackte Mysterium über den Verbleib seines Vaters zu lüften, der laut Pikachu noch am Leben sein muss. Weitere Hilfe könnten ihm womöglich die neugierige Journalistin Lucy Stevens (Kathryn Newton) und ihr Enton geben …

Kritik

Sie sind seit über 20 Jahren ein Phänomen, dem schwer zu entgehen ist: Die Pokémon. Wer sie nicht schon einmal auf dem Game Boy oder dem Nintendo DS gesucht, gesammelt und in Duelle geschickt hat, spielte womöglich bereits eines der zahlreichen Spin-off-Games wie die kultige Fotosafari „Pokémon Snap“ auf dem Nintendo 64. Konsolenmuffel kamen womöglich schon mit den Pokémon-Sammelkarten in Berührung. Oder den Mangas rund um die (nicht immer) kleinen Tierchen. Oder mit der über 1.000 Episoden umfassenden Animeserie. Oder mit der Trickfilmreihe, die bereits über 20 Teile zählt. Oder mit den Tonnen an Merchandise-Produkten. Oder mit der Mega-App „Pokémon Go“, die für einige Monate diverse Straßenzüge weltweit von ruhigen Plätzchen in überfüllte Tummelplätze verwandelte. Oder wenigstens mit einem der diversen Skandale und Skandälchen rund um die Pokémon – von der Epilepsieanfälle verursachenden Animefolge bis hin zu den zahlreichen Unfällen, in die unachtsame „Pokémon Go“-User involviert waren.

Pikachu (Ryan Reynolds) hat zwar sein Gedächtnis verloren, weiß aber, dass er ein Weltklassedetektiv ist, der seinem Freund Tim helfen will.

Ein Puzzlestein der Pokémon-Manie, der trotz respektabler Verkaufszahlen bislang nur wenig popkulturelle Beachtung erhielt, ist der Nintendo-3DS-Titel „Meisterdetektiv Pikachu“, ein mit Rätseln bespicktes Abenteuerspiel, in dem ein der menschlichen Sprache fähiges Pikachu und der seinen Vater suchende Tim Goodman Verbrechen lösen. Als im April 2016 mitgeteilt wurde, dass ausgerechnet dieses Game als Vorlage für den ersten Pokémon-Realfilm herhalten soll und Ryan „Deadpool“ Reynolds den Zuschlag für die Titelrolle erhielt, waren das Staunen und Rätselraten groß: Sowohl Pokémon- als auch Filmfans stellten zuhauf in Frage, ob das funktionieren kann. Nun, etwa drei Jahre später, gestattet der fertige Film „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ die Antwort auf diese Frage. Die fällt jedoch nicht all zu leicht aus. Fangen wir mit dem grundlegenden Aspekt an: Ja, die Prämisse von „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ eignet sich erstaunlich gut für die Einführung der (zumeist) niedlichen Monster ins Realfilmkino: Durch das sich von den klassischen Spielen und der Animeserie abhebende Konzept, dass ein junger Erwachsener mit einem Pokémon einer Verschwörung nachgeht, wird eine episodenhafte „Taschenmonster suchen, sammeln, kämpfen lassen“-Narrative vermieden, die für Pokémon-Novizen schnell ermüdend werden könnte und Fans nichts Neues zu bieten hätte. Darüber hinaus gestattet die Suche nach Tims Vater dem Film einen emotional geerdeten roten Faden, der zugänglicher sein dürfte als ein Gros der Plots aus der Anime-Filmreihe, und dennoch eine filmtaugliche Dringlichkeit mit sich bringt.

In der Umsetzung punktet „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ darüber hinaus mit der visuellen Gestaltung des zentralen Schauplatzes Ryme City: Während frühe Szenen in Tims ländlicher Heimatstadt etwas von der Unbeholfenheit mancher Fanfilme haben, ist Ryme City eine futuristisch angehauchte, pulsierende Metropole, die Regisseur Rob Letterman („Gänsehaut – Der Film“) und Kameramann John Mathieson („Logan“) insbesondere in den Nachtszenen in vitalen, kontrastreichen Farben einfangen. Aber auch in den Tagszenen, in denen keine Neonbeleuchtung die Straßenschluchten anschimmert, zeigt sich Ryme City als hübsch gestalteter und gefilmter Ort, in dem Menschen und Pokémon eng zusammen leben. Einer der größten Clous von „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ ist, dass er auf 35mm-Film gedreht wurde, wodurch diese von CG-Figuren bevölkerte Großstadt einen haptischen Anstrich erhält; eine griffige Feinkörnigkeit, die zudem visuelle Assoziationen mit Noir-Krimis gestattet.

Tim (Justice Smith), Pikachu und Lucy Stevens (Kathryn Newton) kommen einer Verschwörung auf die Spur.

Erzählerisch jedoch sind die Parallelen zum Film noir sehr rar, womit wir zum größten Schwachpunkt dieser Big-Budget-Produktion kommen: Der zentrale Kriminalfall dieser Geschichte ist nachlässig (und durchschaubar) geschrieben. Wäre dem nicht schon genug, lässt das Drehbuch von Dan Hernandez, Benji Samit, Rob Letterman und Derek Connolly sein ungleiches Ermittlerteam kaum Spurensuche betreiben: Tim und Pikachu laufen (teils wortwörtlich) im Kreis herum und bekommen mehrmals wichtige Hinweise auf dem Silbertablett serviert – etwa von der eifrigen, aber wenig geschätzten Jungjournalistin Lucy Stevens, die vornehmlich im Off massive Fortschritte macht. Weder lässt sich da mitknobeln, noch lädt es zum Mitfiebern ein. Für einen Film, der stellenweise wie ein Pokémon-Mix aus „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ und „Zoomania“ abläuft, ist dies eine große Enttäuschung – mit einem versierter geschriebenen Kriminalfall und weniger Planlosigkeit in den Ermittlungsszenen wäre „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ deutlich spannender geraten. Doch so bedauerlich das lasche Storytelling sein mag, ist es schwer, „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ böse zu sein. Denn Rob Lettermans bislang größte Regiearbeit vollführt eine Knuffigkeitsdauerattacke auf ihr Publikum: Wie die Pokémon in die reale Welt übertragen wurden, ist schlicht herausragend.

Die Figuren behalten ihre cartoonigen Züge bei, werden aber mit einer quasi-fotorealistischen Textur versehen, so dass sie übertrieben süß bleiben und sich dennoch (nicht zuletzt dank perfektem Compositing und Shading) nahtlos ins Realfilmmaterial fügen. Bonuspunkte gibt es dafür, dass jedes Pokémon seine eigene Behandlung erhalten hat, um „real“ zu werden. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Pikachu ist superflauschig mit dichtem, kurzem Fell, Bisasam hat hingegen die Oberflächenstruktur eines mit Tau benetzten Blattes und Enton ist mit seinem feinen, gelben Federkleid, seinen großen, schielenden Augen und seinem klobigen Schnabel ein liebenswert-schräger Anblick. Während „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ inhaltlich gegen Schluss jegliche Bodenhaftung verliert, bleibt er musikalisch durchweg voll in der Spur: Komponist Henry Jackman, der schon „Ralph reicht’s“ und „Chaos im Netz“ musikalisch untermalt hat, trifft auch hier eine überzeugende Balance zwischen Videospielnostalgie, kühlen Elektroklängen und zarten orchestralen Parts. Oft bleibt es auch an ihm, die Emotionalität eines Moments zu tragen, denn Hauptdarsteller Justice Smith ringt seiner Rolle kaum mehr als Nervosität ab, während Kathryn Newton als quirlige, fähige, aber auch tapsige Journalistin glatt die reizendere Hauptfigur gewesen wäre, so aber vom Skript zu oft an den Rand gedrängt wird. Aber wenigstens Pikachu ist äußerst ausdrucksstark.

Szenendieb von „Detektive Pikachu“ ist ganz klar das Pokémon Enton.

Fazit: Animationstechnisch ist „Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ formidabel und lässt mit seinen knuffigen Wesen das Herz höher schlagen. Erzählerisch ist diese Detektivgeschichte hingegen wenig mitreißend geraten und lässt zu sehr zu, dass seine den Plot emotional tragende, menschliche Hauptfigur vom flauschigen Treiben um sie herum an den Rand gedrängt wird.

„Pokémon Meisterdetektiv Pikachu“ ist ab dem 9. Mai 2019 in den deutschen Kinos zu sehen.

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