Chaos im Netz

In Disneys 3D-animiertem Abenteuer „Ralph reichts“ erkundete eine Computerspielfigur auf eigene Faust die Welt der Arcade-Games. Im Jahr 2018 hat genau diese Welt einen Internetzugang spendiert bekommen und Titelheld Ralph begibt sich mit seiner besten Freundin Vanellope von Schweetz auf in die endlosen Weiten des World Wide Web. Ob CHAOS IM NETZ mit dem Vorgänger mithalten kann, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Seit sich Ralph und Vanellope vor einigen Jahren im knallbunten Rennspiel „Candy Crush“ kennengelernt haben, sind der zerstörerische Riese und der Glitch mit dem losen Mundwerk beste Freunde. Als sich eines Tages ankündigt, dass Vanellopes Spielstation aufgrund eines fehlenden Ersatzteils für immer abgebaut werden soll, zögert Ralph nicht lange und begibt sich auf eigene Faust ins Internet. Dort soll alles möglich sein, hat er gehört – und tatsächlich finden er und die ihn spontan begleitende Vanellope ebenjenes Ersatzteil bei einer Online-Auktion. Doch unbedarft wie sie sind, bieten sie plötzlich eine horrende Summe, die sie nach dem Zuschlag auch bezahlen müssen. Um an das notwendige Geld zu gelangen, wird aus Ralph ein Internetmeme. Nicht mehr lange und das Internet ist voll von Ralph-Videos und -Bildern, die sich rund um den Erdball großer Beliebtheit erfreuen. Derweil lernt Vanellope online die gefährliche Welt des „Slaughter Race“ kennen. Eine Art „Candy Crush“ für Erwachsene – und hier fühlt sich die junge Rennfahrerin plötzlich ganz schön wohl…
Kritik
Man kann zu Disneys Sequel- und Remake-Manie stehen, wie man möchte: In aller Regel feiert der Mäusekonzern mit seinen Fortsetzungen und Neuauflagen riesige Erfolge. Da wundert es nicht, dass mit „Ralph reichts“ nun auch einer der Filme fortgesetzt wird, der als einer der letzten kein Franchise bildete. Darin verspürte eine Computerspiel-Schurkenfigur den großen Wunsch, endlich einmal nicht der Böse zu sein und stiftete auf seiner Suche nach einer Heldenmedaille mächtig Chaos in der Welt der Computerspiele. Sechs Jahre später ist die erzählerische Verlagerung ins World Wide Web unumgänglich. Einen Abstecher in die Welt der Smartphones (und damit zwangsläufig auch ins Internet) gab es mit dem hundsmiserablen „Emoji – Der Film“ sogar schon einmal – nur eben auf qualitativ deutlich niedrigerem Niveau. Denn anders als die Konkurrenz von Sony erzählen die Macher in ihrem einmal mehr herausragend animierten Sequel „Chaos im Netz“ nicht einfach nur irgendeine beliebige Geschichte und stülpen ihr die WWW-Kulisse über, sondern spinnen aus den bisweilen auch ein wenig klischeehaften Surfgewohnheiten von Internetnutzern eine lebhafte und eigenständige Geschichte. Dadurch werden sich die älteren Zuschauer nicht bloß selbst hier und da wiedererkennen, gerade die Jüngeren bekommen dank „Chaos im Netz“ ein Gespür dafür, in was für einem virtuellen Raum sie sich da eigentlich jeden Tag bewegen.
Auch wenn sich gerade die Disney- und Pixar-Filme nie ausschließlich an eine Zielgruppe richten, sondern mit ihren Abenteuern grundsätzlich jeden Zuschauer, vom Kleinkind bis zum Senior, abzuholen versuchen, besteht ein nicht unerheblicher Teil ihres Publikums nun mal aus Heranwachsenden. Dies hat zur Folge, dass sich „Chaos im Netz“ natürlich nicht mit allen Facetten des Internets auseinandersetzt, auch wenn es sicherlich spannend gewesen wäre, zu ergründen, wie ein Konzern wie Disney die Abgründe der Internetpornographie (der immerhin den größten Teil der Online-Inhalte ausmacht) oder des „echte“ Darknet auf die Leinwand bringt. Nein, hier ist alles knallbunt und unterliegt sehr simplen Veranschaulichungen. Und die Abgründe der Online-Welt gibt es zwar, aber so richtig gefährlich sind die auch nicht. Das ist auch alles völlig in Ordnung, denn gerade durch die hier dargestellten, sehr einfachen Zusammenhänge bekommt man ein Gespür für die Dimensionen, die „Chaos im Netz“ während seiner knappen zwei Stunden abreißt. Soziale Netzwerke, Pop-Ups, Online-Auktionshäuser, die Suchmaschine, Internetspiele und so weiter und so fort – ging es in „Emoji – Der Film“ noch aus billigen Werbezwecken darum, möglichst viele Markennamen von Apps und Programmen auf einmal zu nennen und im selben Atemzug deren Vorzüge anzupreisen, steht in „Chaos im Netz“ nicht im Fokus, weshalb all diese Internetseiten so toll sind, sondern was sich erzählerisch mit ihnen anstellen lässt. Von der aller ersten Anfrage im Google-Suchfenster (einer Art allwissenden Bibliothek) bis hin zum Finale, in dem ein Antivirenprogramm eine wichtige Rolle spielt, ist „Chaos im Netz“ durchzogen von Querverweisen auf die kunterbunte Onlinewelt und Dinge, mit denen jeder Zuschauer selbst mindestens schon einmal in Berührung kam.
Die in „Chaos im Netz“ gemachten Beobachtungen würden endlose Seiten füllen und sind vor allem dann unheimlich amüsant, wenn ihre Entdeckung ohne jedes Vorwissen erfolgt. Daher gehen wir an dieser Stelle auch gar nicht weiter darauf ein und widmen uns stattdessen den beiden Hauptfiguren. Die beiden Regisseure Phil Johnston (Drehbuch für „Zoomania“) und Rich Moore (Regie bei „Zoomania“) sowie die Drehbuchautorin Pamela Ribon („Vaiana“) sind nämlich nicht an plumpem Name-Dropping interessiert, sondern erzählen obendrein eine liebevolle, reife Geschichte über Freundschaft, die, an Disney-Verhältnissen gemessen, eine überraschend herbe Note aufweist, die bis zum Schluss konsequent beibehalten wird. Überhaupt hat man nach „Chaos im Netz“ den Eindruck, dieser Film markiere eine neue Ära innerhalb der Animationsfilmschmiede. Nicht nur, dass der Milliardenkonzern hier erstmals Kritik an sich selbst zulässt (in einer bereits vielzitierten Szene trifft Vanellope auf sämtliche Disney-Prinzessinnen, die an ihrem klischeehaften Status kaum ein gutes Haar lassen), auch mit ihrem nicht voll umfangreichen und daher umso realistischen Happy End, in dem sich Ralph und Vanellepo auf Zeit auf Wiedersehen sagen müssen, distanzieren sich die Verantwortlichen ein wenig vom Rundum-Wohlfühl-Familienfilmerlebnis, sodass letztendlich immer noch alle Altersklassen glücklich sein werden, jedoch umso mehr eine Lektion fürs Leben gelernt haben: Wer liebt, muss auch loslassen können!
Ein allumfassender Imagewandel ist das natürlich noch lange nicht. Darüber hinaus war es für Disney schlicht und ergreifend an der Zeit, die bisweilen anachronistischen Wertevorstellungen, unter anderem von der „Jungfrau in Nöten“, aufzugeben. In besagter Prinzessinnenszene geschieht daher nichts ohne Kalkül; doch die Art und Weise, wie hier kritisch mit dem eigenen Bild nach außen umgegangen wird, ist trotzdem ungemein unterhaltsam. Überhaupt ist der knapp 15-minütige Besuch auf einer Disney-Fanpage, in der sich einfach mal alles tummelt, was in Disney-Kreisen Rang und Namen hat, das ganz große Highlight von „Chaos im Netz“, der einer Dramaturgie folgt, die man vor allem aus Roadmovies kennt. Ralph und Vanellope klappern auf ihrer Suche nach Geld verschiedene Stationen (also Websiten) ab. Davon sind einige mehr, andere weniger gelungen. Neben dem Abstecher auf die Disney-Fanpage gefällt vor allem Ralphs versehentlicher Blick auf Onlinekommentare, ebenso wie der unheilvolle Besuch des Darknets, wo die beiden – ganz stilecht – hingelangen, weil sie die Dienste eines aufdringlichen Popups in Anspruch nehmen. Gleichzeitig vermisst man ein wenig die Kreativität, wenn ein ganz entscheidender Teil von „Chaos im Netz“ einmal mehr in einem Rennspiel stattfindet (genauso verhielt es sich schon in „Ralph reicht’s“). Dafür findet genau hier wenig später eine spektakuläre „‚La La Land‘ trifft ‚Mad Max‘„-Musicalsequenz ab, der es aufgrund ihres inszenatorischen Kontrasts fast schon im Alleingang gelingt, auch für das wenig originelle, da einmal mehr ausschließlich auf Eskapismus setzende Krawallfinale zu entschädigen, für das sich die Macher zudem vollständig von ihrer inneren filmischen Logik verabschieden. Immerhin: Wer bislang daran gezweifelt hat, dass der gutmütige Randale Ralph tatsächlich richtig furchteinflößend sein kann, wird hier endgültig eines Besseren belehrt.
Fazit: „Chaos im Netz“ ist kreativer und reifer als der Vorgänger „Ralph reicht’s“ und schäumt vor kreativen Ideen nur so über. Erzählerisch folgt der Film dagegen einer Roadmoviestruktur, in der einzelne Stationen abgehakt werden. Und die sind mal mehr, mal weniger gelungen.
„Chaos im Netz“ ist ab dem 24. Januar bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen – auch in 3D!