Der Spitzenkandidat

In dem auf wahren Ereignissen beruhenden Politthriller DER SPITZENKANDIDAT sehen wir den Aufstieg und Fall eines aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten, wie er nur in den USA stattfinden kann. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Im Jahr 1988 ist Senator Gary Hart (Hugh Jackman) der große Hoffnungsträger für junge Wähler der Demokraten und gilt damit als Spitzenkandidat bei der Präsidentschaftsvorwahl. Er ist klug, charismatisch und interessiert sich für die Sorgen und Wünsche seiner Mitmenschen. Doch dann bringt ihn ausgerechnet eine außereheliche Affäre mit der jungen Donna Rice (Sara Paxton) ins Wanken und seine Wahlkampagne steht vor dem Aus. Zum ersten Mal in der US-amerikanischen Politik verschmelzen Boulevardjournalismus und politischer Journalismus miteinander – und Senator Hart droht dabei, nicht nur das Rennen um den Präsidentenposten zu verlieren, sondern auch seine Ehefrau Lee (Vera Farmiga), die von zuhause aus über die Medien mit ansehen muss, wie ihr Ehemann der Presse zum Fraß vorgeworfen wird…

Kritik

Heutzutage ist es selbstverständlich, dass Politiker und damit auch die berichterstattende Presse alles in die Waagschale werfen, um sich im Duell mit dem Gegenüber entweder in ein besseres Licht zu rücken, oder wahlweise die Anzahl der Leser respektive Zuschauer zu erhöhen. Das war nicht immer so. Lange Zeit gab es eine strikte Trennung zwischen Boulevard- und Politikjournalismus, wodurch gewährleistet wurde, dass nur das an die Öffentlichkeit gerät, was für diese überhaupt relevant ist. Persönliche Schlammschlachten gab es damals einfach nicht. Das änderte sich schlagartig im Rahmen des US-Wahlkampfes 1988, als der von vielen als Favorit gehandelte Gary Hart über einen privaten Skandal stolperte. Seine Liebschaft mit einer jungen Mitarbeiterin seiner eigenen Entourage wurde von einem bei privaten Fragen zuvor abgeblitzten Journalisten an die Öffentlichkeit gebracht und ausgeschlachtet, sodass wenige Wochen genügten, um aus dem ehemaligen Spitzenkandidaten eine gescheiterte, politische Persönlichkeit zu machen. Regisseur Jason Reitman („Tully“) erzählt diese Geschichte nun auf dem schmalen Grat zwischen Intimität und Distanziertheit; während er seinem Zuschauer die Wertung über diese Ereignisse in Gänze allein überlässt, widmet er sich dem Geschehen aus möglichst vielfältiger Perspektive. Dadurch wird Gary Hart jetzt schon zu einer der vielschichtigsten und komplexesten Filmfiguren 2019 und stößt den Zuschauer auf eine Art und Weise vor den Kopf, die gar nicht wehtun muss, um sich trotzdem lange im Gedächtnis festzusetzen.

Der Präsidentschaftskandidat Gary Hart (Hugh Jackman) wird vor seinem Haus von zwei Journalisten gestellt.

Einerseits sezieren Jason Reitman und seine Co-Autoren Matt Bai und Jay Carson (schrieben beide bereits Episoden der gefeierten Politserie „House of Cards“) ihren titelgebenden Spitzenkandidaten mit einem genauen Blick für menschliche Abgründe – und zwar sowohl auf Seiten der Hauptfigur, als auch auf jener der berichterstattenden Presse. Andererseits nimmt Reitmans Thrillerdrama zu keinem Zeitpunkt die emotionale Schwere vergleichbarer Genrefilme an. Kurzum: „Der Spitzenkandidat“ ist vor allem eines: extrem unterhaltsam. Dies ist in erster Linie dem komplexen Charakter des, je nach Auslegung Pro- respektive Antagonisten und seines Darstellers zu verdanken. Hugh Jackman („Greatest Showman“) verkörpert den über alle Maße charismatischen Präsidentschaftskandidaten mit unverwechselbarem Charme. Kaum einer bietet sich für die Rolle des Gary Hart mehr an als der vor Esprit nur so sprühende Australier. Denn erst wenn er die Favoritenposition des aufgrund seiner Ausstrahlung gefühlt sicheren Siegers perfekt ausfüllt, kann „Der Spitzenkandidat“ seine hohe emotionale Fallhöhe so richtig ausspielen. Als Harts Techtelmechtel mit seiner Mitarbeiterin ans Licht kommt, bleibt er schließlich immer noch der smarte Vorzeigepolitiker. Inwiefern sein privater Fehltritt auch Einfluss auf die Gesamtwahrnehmung seiner Person hat, zeigt sich letztlich nicht nur anhand seines Figurenumfeldes auf der Leinwand, sondern auch bei jedem Zuschauer selbst.

Ist Gary Hart nun ein bemitleidenswertes Presseopfer, oder geschieht ihm der Absturz seiner Karriere aufgrund des Seitensprungs doch eigentlich ganz recht? Um der Beantwortung dieser Frage näherzukommen, steht in „Der Spitzenkandidat“ nicht zwingend der Politzirkus im Fokus. Stattdessen konzentriert sich das Skript hauptsächlich auf das direkte Umfeld Harts, zu dem eben nicht bloß seine Berater und Mitarbeiter gehören (die sich für sie ergebenden Folgen aus Harts Handeln werden im weiteren Verlauf leider nur oberflächlich angerissen), sondern vor allem seine Familie. Dafür, wie Harts Tochter Andrea (Kaitlyn Dever, „Detroit“) fortan in ihrem Alltag zur Gejagten wird, obwohl sie mit dem Verschulden ihres Vaters ja eigentlich gar nichts zu tun hat, findet Reitman zwar keine neuen Motive, dafür ist es vor allem die sehr behutsame Beleuchtung der Ehe zwischen Gary und Lee, für die der Regisseur sein ganzes Fingerspitzengefühl für zwischenmenschliche Schattierungen spielen lässt. So drängt er die gehörnte Ehefrau nie in eine Opferposition, während er das Handeln des fremdgehenden Ehemannes gleichermaßen zu keinem Zeitpunkt zu verteidigen versucht. Stattdessen zeichnet er sowohl Lee Hart als auch Gary als ganz normale Eheleute, deren Streit durch die Umstände ungewollt nach außen getragen wird. Dadurch haben beide nicht nur um das private Glück zu fürchten, sondern auch um ihr Ansehen, was dem Ganzen eine spannende Dimension verleiht. Und so ganz ohne die Inszenierung als hysterischer Rosenkrieg gewinnt „Der Spitzenkandidat“ zusätzlich an Emotionalität, weil es einfach mal ganz angenehm ist, zwei absolut rational handelnden Menschen dabei zuzusehen, wie sie auch weiterhin krampfhaft daran festzuhalten versuchen, ebenjene Rationalität aufrecht zu erhalten.

Hart stellt sich auf einer Pressekonferenz den Fragen und Antworten der anwesenden Journalisten.

Mit ihrem zurückhaltenden, jedoch nicht minder starken Spiel prägt „Conjuring“-Star Vera Farmiga „Der Spitzenkandidat“ genauso wie die namhaften Nebendarsteller. Hier sei an erster Stelle J.K. Simmons („Whiplash“) zu nennen, denn mit seiner ehrlich-forschen, in seiner Wortwahl hier und da über die Strenge schlagenden Art spricht er immer wieder offen Dinge aus, die hinter vorgehaltener Hand ohnehin jeder vermutet. Dadurch kollidiert der Schock über diese zuvor nie dagewesenen Ereignisse mit einer Komik, die nicht auf Pointen oder gezielt geschriebene Gags, geschweige denn Slapstick setzt, als vielmehr auf eine zurückhaltende Form der Situationskomik. Letztlich wohnt Jason Reitman, dessen Skript zudem auf dem gefeierten Tatsachenroman vom ebenfalls am Drehbuch beteiligten Matt Bai basiert, hier lediglich einem kurzen Zeitraum sich überschlagender Manöver bei. Und dass sich diese kaum auf eine einzige Emotion festlegen lassen, versteht sich von selbst. Im letzten Drittel kommt schließlich noch ein ordentlicher Thrillereinschlag hinzu. Harts Bemühungen darum, sein eigenes Gesicht zu wahren und sich aktiv für sich zu behaupten und gegen die Presse aufzubegehren, ist gerade dann besonders spannend, wenn man den Ausgang der Ereignisse nicht kennt. Die weitestgehend unspektakuläre Inszenierung stellt sich dabei ganz in den Dienst des Films. Kameramann Eric Steelberg („Up in the Air“) und Komponist Rob Simonsen („Love, Simon“) bereiten ihrem Spitzenkandidaten eine unspektakuläre Bühne, auf der Hugh Jackman ohne viel Aufwand um sich herum glänzen kann.

Fazit: „Der Spitzenkandidat“ beleuchtet gleichermaßen spannend wie emotional den ersten Fall in der US-amerikanischen Politik, in dem ein Senator durch einen privaten Fehltritt von der Presse zerfleischt wurde. Dabei nimmt Regisseur Jason Reitman bewusst die nüchterne Position des Betrachters ein. Urteilen muss der Zuschauer selbst.

„Der Spitzenkandidat“ ist ab dem 17. Januar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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