#Female Pleasure

In ihrer Dokumentation #FEMALE PLEASURE spricht Regisseurin Barbara Miller mit fünf Frauen, die alle sexuelle Gewalt und Unterdrückung erfahren mussten. Das Thema ist ehrenwert, doch die Regisseurin verpasst es, allgemeingültige Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Darum geht’s

Fünf mutige, kluge und selbstbestimmte Frauen stehen im Zentrum von Barbara Millers Dokumentarfilm „#Female Pleasure“. Sie brechen das Tabu des Schweigens und der Scham, das ihnen die Gesellschaft oder ihre religiösen Gemeinschaften mit ihren archaischpatriarchalen Strukturen auferlegen. Mit einer unfassbar positiven Energie und aller Kraft setzen sich Deborah Feldman, Leyla Hussein, Rokudenashiko, Doris Wagner und Vithika Yadav für sexuelle Aufklärung und Selbstbestimmung aller Frauen ein, hinweg über jedwede gesellschaftliche sowie religiöse Normen und Schranken. Dafür zahlen sie einen hohen Preis – sie werden öffentlich diffamiert, verfolgt und bedroht, von ihrem ehemaligen Umfeld werden sie verstoßen und von Religionsführern und fanatischen Gläubigen sogar mit dem Tod bedroht. „#Female Pleasure“ ist ein Film, der schildert, wie universell und alle kulturellen und religiösen Grenzen überschreitend die Mechanismen sind, die die Situation der Frau – egal in welcher Gesellschaftsform – bis heute bestimmen. Gleichzeitig zeigen uns die fünf Protagonistinnen, wie man mit Mut, Kraft und Lebensfreude jede Struktur verändern kann.

Kritik

Vielen von uns ist #MeToo erst im vergangenen Jahr ein Begriff geworden. Eigentlich gibt es ihn schon viel länger – er wurde 2006 von der Frauenaktivistin Tarana Burke auf der Onlineplattform MySpace ins Leben gerufen. Doch zum damaligen Zeitpunkt war noch kein Prominenter in die Aktion involviert. Ganz anders 2017, als Medienmogul Harvey Weinstein ins Zentrum eines Missbrauchsskandals geriet, der offen legte, was hinter vorgehaltenen Händen schon längst jeder wusste: Hollywood wird von Männern regiert, die hier nicht bloß deutlich mehr zu sagen haben als Frauen, sondern auch mehr verdienen und die größeren Rollen abbekommen. Neben Weinstein gerieten nach und nach noch mehr Leute (vorzugsweise Männer) ins Visier von ähnlichen Anschuldigungen. Die Liste der geschädigten Frauen wird ebenfalls immer länger; auch Schauspielgrößen wie Reese Witherspoon oder Rosario Dawson gaben bekannt, mit Weinsteins fragwürdigen Arbeitsmethoden in Berührung gekommen zu sein. Doch wenn #MeToo eines erreicht hat, dann das Schaffen einer Sensibilität für Gender-Gleichberechtigung. Filme wie „#Female Pleasure“ oder die artverwandten „Embrace – Du bist schön“ und „Touch Me Not“, in dem es ebenfalls um ein gewisses Selbstverständnis von Körperlichkeit geht, werden uns in Zukunft sicher noch häufiger begegnen.

Deborah Feldman verließ vor einigen Jahren die ultraorthodoxe Gesellschaft der Juden und wird seitdem verfolgt.

Für „#Female Pleasure“ interviewte die von Amnesty International ausgezeichneten Regisseurin Barbara Miller („Forbidden Voices“) fünf Frauen, die als Fallbeispiele dafür dienen, dass in vielen Teilen der Gesellschaft noch heute wie selbstverständlich über den weiblichen Körper verfügt wird. Das geschieht entweder im Namen des Glaubens, aus falsch verstandener Scham oder aus blutrünstigen Traditionen heraus; es hat also immer einen, wenn auch höchst fragwürdigen Grund. All diese Schicksale sind hochdramatisch, die seelischen Narben sind Millers Gesprächspartnerinnen bis heute anzusehen und werden von den Frauen auch nicht verleugnet. Mitunter brechen sie sogar weinend vor der Kamera zusammen. Das hat nichts mit Effekthascherei zu tun. Die Protagonistinnen haben einfach Schreckliches erlebt, sodass es keine zusätzliche Hochstilisierung bedarf. Die Wut, die „#Female Pleasure“ schürt, ist also zu jeder Zeit angebracht und echt. Doch all dieser Emotionalität zum Trotz, lassen sich ihre Schicksale mitunter nur schwer auf die allgegenwärtige Realität beziehen (lediglich in den ersten zehn Minuten sehen wir, wie weiblich-sexualisiert beispielsweise Werbung großer Modehäuser ist). Aus einem Plädoyer für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau wird also eher ein Film gegen Religionen und Traditionen. Das ist zweifelsfrei ebenfalls angebracht. Keine Tradition der Welt rechtfertigt die Verstümmelung der weiblichen Genitalien. Aber es nimmt auf Dauer auch den Fokus vom Wesentlichen.

„#Female Pleasure“ erzählt von einer Frau, die ihre jüdische Community nach der Geburt ihres Sohnes verlassen hat und seitdem verfolgt wird, von einer jungen Japanerin, die sich vor Gericht dafür verantworten musste, einen Gipsabdruck ihrer Genitalien gemacht zu haben, von einer Inderin, die als erstes in ihrer Familie frei über ihren Ehepartner entscheiden durfte und sich seither für die sexuellen Bedürfnisse von Frauen einsetzt. Außerdem erzählt die in London lebende Leyla Hussein davon, wie ihr im Kindesalter die Geschlechtsteile verstümmelt wurden, genauso wie die deutsche Doris Wagner aus ihrer Zeit in einem katholische Kloster berichtet, in der sie mehrmals schwer missbraucht wurde. Wie ernst es sowohl der Regisseurin, als auch den Protagonistinnen mit ihrem Anliegen ist, merkt man an der Offenheit, mit der beide Parteien aufeinander zugehen. Schonungslos berichten die fünf Frauen von ihren Erlebnissen – und Barbara Miller schaut und hört einfach zu. Sie nimmt sich viel Zeit für jede einzelne von ihnen und reduziert sie dadurch nicht bloß auf ihr durchlebtes Leid, sondern betrachtet ihren gesamten Background. Darüber hinaus stützt sie sich auf sich eindeutig für die Frau als schwaches Geschlecht aussprechende Verse aus Bibel, Thora und Koran, Aufnahmen aus sich ausschließlich an das männliche Geschlecht richtenden Sexshops in Japan und indische Gesetzestexte und Urteile, um zu zeigen, wie mannigfaltig weibliche Unterdrückung von Ethnie zu Ethnie sowie von Religion zu Religion sein kann. Doch eine Verknüpfung zu aktuellen Geschehnissen in der Welt bleibt mit Ausnahme der Auftaktszene aus; mehr als ein (wenngleich ohne Zweifel sehr intensives) Frauenporträt ist „#Female Pleasure“ nicht.

Rokudenashiko musste sich für ihre Vagina-Boot-Performance vor Gericht verantworten.

Anders als etwa in der von Nora Tschirner mitproduzierten Doku „Embrace“ verpasst es Barbaras Millers Film, die Ursprünge des Frauenbilds mit dem von heute zu verknüpfen. So fällt höchstens mal in Nebensätzen, inwiefern Vorgaben in religiösen Schriften der Ursprung allen Übels sind, weil sie von den streng Gläubigen bis heute nicht richtig hinterfragt wurden. Das ist einer von vielen Ansätzen, den Miller hätte noch viel weiter ausführen können. Und so entsteht bisweilen tatsächlich der Eindruck, dass Frauen, die weder einer Religion angehören, noch in einem bestimmten Land leben oder das Opfer trauriger Traditionen geworden sind, Glück gehabt haben; sexuelle Unterdrückung brauchen sie jedenfalls nicht zu fürchten. Eine solche „Also betrifft mich das nicht“-Reaktion, so sehr sie den Film auch missdeuten mag, könnte nicht deplatzierter sein. Auch der Titel des Films ist irreführend, denn über die weibliche Lust an der Sexualität geht es hier allenfalls sekundär (und vorwiegend in der Episode um die Inderin Vithika Yadav). Millers Aussage, sie wolle mit „#Female Pleasure“ gegen die Dämonisierung der weiblichen Lust durch Religion und gesellschaftliche Restriktionen aufbegehren, ist also eher in der Theorie, nicht aber im Film selbst erkennbar. Doch eines muss man ihr zugute halten: In ihrer Doku kommen die Opfer selbst zu Wort. Und das ermöglicht den Zuschauern einen besonders berührenden Einblick darin, wie Frauen auch heute noch verfolgt, geächtet oder diffamiert werden. Noch besser wäre es allerdings gewesen, darüber hinaus auch männliche Stimmen  zu Wort kommen zu lassen. Nur so entsteht letztlich überhaupt der anvisierte Austausch über ein Thema, das alle etwas angeht.

Fazit: Barbara Millers „#Female Pleasure“ ist in erster Linie ein Porträt über fünf Frauen, die sexuellen Missbrauch, Unterdrückung und Verfolgung erlebt haben. Der Film schildert ihre Erlebnisse sehr behutsam und völlig frei von Effekthascherei, doch leider bezieht sich die Regisseurin zu sehr auf ihre Schicksale in den jeweiligen Teilen der Gesellschaft und versäumt es, sie mit den aktuellen gesellschaftsstrukturellen Problemen zu verknüpfen.

„#Female Pleasure“ ist ab dem 8. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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