Touch Me Not

In TOUCH ME NOT, dem diesjährigen Gewinner des Goldenen Bären bei den Filmfestspielen von Berlin, verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Am Ende bleibt vor allem eine Ratlosigkeit übrig, die sich nicht gut anfühlt. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Darum geht’s

An der Grenze zwischen Realität und Fiktion folgt „Touch Me Not“ der emotionalen Reise von Laura, Tómas und Christian, die ihre Intimität und Sexualität erforschen wollen. Wie kann die Balance zwischen Begehren und der Angst vor Kontrollverlust gelingen? Mit abwechselnd klinisch kühlen, erotischen und zärtlichen Bildern nimmt uns Regisseurin Adina Pintilie mit auf eine intime Expedition, in der sich die Barrieren zwischen Mann und Frau, „normal“ und „anders“ auflösen: eine fundamentale filmische Erfahrung, die niemand unberührt lässt.

Kritik

Im Nachgang der Weltpremiere von Adina Pintilies „Touch Me Not“ auf der diesjährigen Berlinale sorgte die sehr offen mit sexuellen Tabus umgehende Produktion für ordentlich Gesprächsstoff. Zum einen, weil die rumänische Regisseurin und Autorin in ihrer Arbeit keine offensichtliche Grenze zwischen Dokumentation und Fiktionalität zieht und sich einem als Zuschauer permanent die Frage stellt, wie er das Gezeigte da gerade zu werten hat. Und zum anderen, weil es für viele immer noch unangenehm ist, über die in „Touch Me Not“ verhandelten Themen zu sprechen. Es geht um körperliche Liebe in all ihren Ausprägungen, vor allem aber um die Menschen, die mit ihren Makeln, Anomalien und Lebensweisen bei all jenen anecken, die eine ganz klare Vorstellung davon haben, was Sexualität „darf“ und was nicht. Wer einigermaßen aufgeschlossen der Idee (die natürlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte) gegenüber steht, dass die menschliche Natur genauso mannigfaltig ist wie das Verlangen nach körperlicher Nähe, der wird an „Touch Me Not“ also erstmal gar nichts Verwerfliches finden. Und verwerflich (und damit in irgendeiner Weise skandalös) ist an Pintilies Werk, das auf der Berlinale übrigens den Goldenen Bären gewann, auch gar nichts; im Gegenteil: Die Regisseurin appelliert daran, falsche Schamgrenzen zu überwinden und das klassische Bild davon, dass nur Mann und Frau vor laufender Kamera miteinander intim sein können, ohne dass sich irgendjemand pikiert abwendet, zu überdenken. Diese Intention ist dem Film jederzeit anzumerken. Doch Adina Pintilie begeht bei ihrer Arbeit einen schweren Fehler: Sie lässt ihre verschiedenen Protagonisten völlig allein, was auf der einen Seite den Vorteil hat, dass sich ihr Wesen vollkommen losgelöst von Regieanweisungen entfalten kann. Doch ausgerechnet damit reduziert sie sie vollkommen auf ihre Körperlichkeit. Was wir auf der Leinwand zu sehen bekommen, ist damit im klassischen Wortsinne eine Zur-Schau-Stellung.

Bei einer Paarthrapieübung berührt sein Gegenüber den gelähmten Christian Bayerlein von Kopf bis Fuß und soll danach seine Eindrücke schildern.

Den folgenden Zeilen sei etwas sehr Wichtiges vorweggenommen: Gerade weil in „Touch Me Not“ im Kern eine sehr sensible Grundidee steckt, soll es hier in erster Linie darum gehen, wie der Film wirkt. Denn dass er auf uns den Eindruck einer modernen Freakshow erweckt hat, bedeutet noch lange nicht, dass ihn auch die das Werk längst abgesegneten Protagonistinnen und Protagonisten so empfunden haben. Dass diese sich vor der Kamera wohlfühlen und sich voller Selbstbewusstsein der Öffentlichkeit präsentieren, ist ein Aspekt, der an „Touch Me Not“ einen Film mit bemerkenswerter Ausdruckskraft macht. Am Ende verlässt man den Kinosaal schon ein wenig mit dem Gedanken, dass doch bitte jeder endlich erkennen möge, dass alles, wovon die Gesellschaft behauptet, es würde „von der Norm abweichen“, doch bitte ab sofort genauso selbstverständlich in Filmen berücksichtigt wird, wie hier. Denn nicht bloß die im Fokus stehenden Hauptfiguren strahlen dieses Selbstverständnis aus, sondern auch die Regisseurin, die sich für ihren Film auch selbst irgendwann vor die Kamera begibt. Andina Pintilie ist regelrecht vernarrt in ihre Charaktere. Zum Beispiel in Laura (Laura Benson), die mit ihren fünfzig Jahren Angst vor Berührungen hat. In die Transfrau Hanna (Hanna Hofmann), die erst im hohen Alter angefangen hat, zu sich und ihrem Geschlecht zu stehen. Und in Christian (Christian Bayerlein), der trotz seines fast vollständig gelähmten Körpers (er leidet an spinaler Muskelatrophie) nicht auf ein aktives Sexleben verzichten will.

Anhand dieser drei Beispiele lässt sich aber auch ganz gut das Problem beschreiben, das beim Zuschauer während des Sehens mehr Unbehagen hervorruft, als es eigentlich angebracht wäre. Sämtliche Charaktere in „Touch Me Not“ haben bemerkenswerte Lebenswege hinter sich. Jedem von ihnen würde ein eigener Film gebühren, der sich ausführlich damit auseinandersetzt, was sie abseits von ihren Körpern und ihrer Sexualität so interessant macht. Doch an all dem ist Andina Pintilie nicht interessiert. Dass dieser Christian Bayerlein beispielsweise ein renommierter Informatiker ist, erfährt man erst, wenn man sich nach dem Film selbst noch daran macht, ein wenig zu recherchieren. Auf der einen Seite gehört es zum Konzept des Films, dass die Filmemacherin ihre Protagonisten – im wahrsten Sinne des Wortes – entblößt. Er handelt nun mal von Körperlichkeit. Auf der anderen Seite lässt sie sie aber gerade dadurch auch immer wieder ins offene Messer laufen. Sie alle reden über ihre (sexuellen) Empfindungen, ihre tiefsten Sehnsüchte und Ängste. Die Regisseurin lässt die Kamera dazu oft einfach nur stillstehen und die Monologe für sich sprechen. Sie greift nie ein; ganz so, als wüsste sie genau, dass die Protagonisten für ihre Aussagen selbst verantwortlich sind (so ist es ja letztlich auch). Natürlich erzeugt das auf der einen Seite eine immense Authentizität; am Ende weiß der Zuschauer alles über jeden Einzelnen von ihnen. Auf der anderen Seite befeuern gewisse Aussagen aber auch klischeehafte Assoziationen, von denen die Regisseurin mit ihrem „Touch Me Not“ ja eigentlich wegrücken will. Damit wirkt sie der Ausgangslage des Films entgegen und ihr Film wird zu einer Art Rohrschachtest, der einen mehr über sich selbst als über die Aussage des Films nachdenken lässt.

Hanna Hofmann erzählt Laura von ihren Erfahrungen als Transfrau.

So werden die einen in „Touch Me Not“ genau das sehen, was wir im zweiten Absatz gelobt haben – und sich fragen, wo denn nun eigentlich die Kontroverse herkam. Allen anderen bleibt durch den völlig freien Umgang mit den Figuren die Möglichkeit, den ganzen Film als Freakshow wahrzunehmen. Wenn Hanna, Christian und Laura keine Menschen mit Charakter und Hintergrundgeschichte sind, bleibt eben nur noch das Äußerliche; und dadurch, dass Andina Pintilie dieses so vehement betont, zeigt sich, dass es für sie eben doch alles andere als selbstverständlich ist, sondern besonders, dass sich „solche Menschen“ nackt der Öffentlichkeit präsentieren. Darüber hinaus laden eigentlich so intime Szenen wie jene, in der Hannah darüber spricht, wie sie sich als im Körper eines Mannes geborene Frau selbst befriedigt, für ein Publikum mit fehlender Intelligenz Aufgeschlossenheit dazu ein, über sie zu lachen, anstatt sich ernsthaft mit ihnen beschäftigen zu wollen. Doch letztlich findet jeder, der will, einen Grund, sich abschätzig über seine Mitmenschen zu äußern (manchmal reicht dazu schon eine Rolex am Handgelenk). Daher blicken wir zum Schluss nochmal auf das, was „Touch Me Not“ inszenatorisch so besonders macht; nämlich dass man während der 123 Minuten nie so recht weiß, was hier nun eigentlich echt und was gestellt ist. Der Film folgt einer künstlichen Dramaturgie, die Figuren im Film agieren jedoch alle unter ihrem echten Namen und geben vorwiegend Interviews, während sie nur hin und wieder in Alltagssituationen zu sehen sind. Wie konstruiert diese sind, scheint allerdings nie durch. Es ist ein Spiel mit den Sehgewohnheiten, das Andina Pintilie hier vollzieht. Und immerhin als das ist „Touch Me Not“ dann noch halbwegs gelungen.

Fazit: „Touch Me Not“ ist ein filmisches Experiment, das auf der einen Seite glückt: Die Regisseurin Andina Pintilie lässt Dokumentation und Fiktionalität nämlich sehr gekonnt miteinander verschmelzen. Die eigentliche Aussage ihres Films führt sie leider ad absurdum und macht ihn dadurch zu einer Freakshow, obwohl sie eigentlich genau das Gegenteil bezwecken will.

„Touch Me Not“ ist ab dem 1. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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