Sechzehn Stunden Ewigkeit

… und täglich grüßt der Zeitschleifenfilm?! Ian Samuels‘ SECHZEHN STUNDEN EWIGKEIT mag ein bekanntes Konzept verfolgen, ist aber so herzlich und liebenswert, dass das kein Stück stört. Mehr zum Film verraten wir in unserer Kritik!

OT: The Map of Tiny Perfect Things (USA 2021)

Der Plot

Der Teenager Mark (Kyle Allen) hat eine hochkomplizierte Morgenroutine, die er wie im Schlaf meistert. Marks perfekt sitzende Choreografie kommt nicht von ungefähr: Er hängt schon länger in einer Zeitschleife fest und macht sich einen Spaß daraus, seine Routine immer punktgenauer umzusetzen. Doch er hat auch ein noch zu meisterndes Ziel: Endlich mit einem Mädchen aus dem Schwimmbad ins Gespräch kommen.  Als eines Tages Marks einstudierte Ereigniskette (und der damit einhergehende Kennenlernversuch) von der mysteriösen und sehr direkten Margaret (Kathryn Newton) gestört wird, ist er völlig verwundert: Wieso fügt sie sich nicht dem üblichen Gang der Dinge? Erlebt sie die Zeitschleife etwa genauso wie er? Mark nimmt sich vor, mehr über Margaret zu erfahren – ahnt aber nicht, wie sehr ihn die Begegnung mit ihr verändern sollte. Geschweige denn, dass Margarets Erfahrungen mit der Zeitschleife deutlich profunder sind als seine…

Kritik

Die wenigsten würden zu Beginn einer RomCom oder eines Actionfilms über Einsatzkräfte, die eine Gefahr abwenden, aufschreien: „Oh, das hatten wir doch schon!“ Die Rezeption von Zeitschleifenfilmen hingegen operiert derzeit nach anderen Regeln: Harold Ramis‘ „… und täglich grüßt das Murmeltier“ hat die Idee einer Person, die immer wieder denselben Tag durchlebt, nicht erfunden. Doch der melancholisch-romantische Komödienklassiker mit Bill Murray und Andie MacDowell hat dieses Konzept derart popularisiert und nachhaltig geprägt, dass Kreative weiterhin den Drang verspüren, innerhalb ihres Films darauf zu verweisen, dass „…und täglich grüßt das Murmeltier“ ihnen zuvorgekommen ist. „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ steht nicht nur im Schatten dieses Evergreens von 1993, sondern muss gleich zu Beginn obendrein dem dominanten Nachhall eines weiteren Films standhalten. Zumindest für Teile des Publikums. Denn die deutsche Veröffentlichungspolitik sorgt für ein kleines Beinahe-Paradoxon: Die Eröffnungsszene von „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ (im Original: „The Map of Tiny Perfect Things“) erinnert frappierend daran, wie ein US-Streaminghit und Fantasy-Filmfest-Publikumsrenner aus dem Jahr 2020 eröffnet. Ein gut aufgelegter Protagonist tänzelt so makellos choreografiert durch den Tag, dass rasch klar wird: „Oh, wir sind in einem Zeitschleifenfilm – der entgegen der ‚Murmeltier‘-Formel einsetzt, lange, nachdem die Hauptfigur in der Schleife angekommen ist.“ Selbst einige der routinierten Angewohnheiten der Protagonisten ähneln sich. Aber da der deutsche Heimkinostart von „Palm Springs“ vom ursprünglichen Januar-Termin auf April 2021 verschoben wurde, werden hierzulande viele wohl den „Vorgänger“ für den „Kopierer“ halten.

Mark (Kyle Allen) lernt eines Tages die smarte Margaret (Kathryn Newton) kennen.

Vielleicht wird es „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ helfen, da nun mehr oder minder zufällig über ihn stolpernde Interessenten nicht prompt mit zu vielen „Das ist aber unoriginell!“-Gedanken konfrontiert werden. Jedoch kann es auch einen reizvollen Effekt haben, „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ mit diesem Ballast an filmischen Vorwissen zu begegnen. Versetzt es uns doch zwangsweise in eine ähnliche Lage wie den Protagonisten Mark: „Alles schon dagewesen!“, lautet die Grundstimmung, also bleibt sonst nichts, als zu schauen, was sich Reizvolles aus dem alten Trott rausholen lässt. Wenn Mark also während des Auftakts von „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ Handgriffe ausübt und kleine Kommentare gegenüber Verwandten und Fremden abgibt, als wäre es seine zweite Natur, erzeugt dies einen befremdlichen Gefühlsspagat zwischen Komfortgefühl und Ödnis: Mark genießt den Mangel an Herausforderung geradezu – und dass Regisseur Ian Samuels („Sierra Burgess is a Loser“) jede Kleinigkeit, die er höchst akkurat umsetzt, wie kleine, spitze Pointen umsetzt, weiß zu erfreuen. Gleichwohl lässt sich die Monotonie in Marks Zeitschleifenleben nicht verleugnen – und selbst geneigte Filmliebhabende werden sich zwangsweise denken: „Na gut, was hast du Neues zu bieten, du x-ter ‚Murmeltier-Film‘ innerhalb weniger Jahre?!“

„Wenn Mark während des Auftakts von „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ Handgriffe ausübt und kleine Kommentare gegenüber Verwandten und Fremden abgibt, als wäre es seine zweite Natur, erzeugt dies einen befremdlichen Gefühlsspagat zwischen Komfortgefühl und Ödnis.“

Nach einer komödiantischen Montage, während der Mark versucht, endlich die „Schrittfolge“ einzustudieren, die ihm ein ausführliches Gespräch mit der Schwimmbadbesucherin ermöglicht, auf die er ein Auge geworfen hat, kommt es daher einer kleinen Offenbarung gleich, wenn  Margaret den monotonen Ablauf von Marks Flirtversuch-Ouvertüre durcheinanderbringt. Wie Mark blicken wir verdattert dieser gelockthaarigen Blondine hinterher, die mit zügig-bestimmten Schritten durch ein sonst immer gleiches Szenario latscht. Wer ist sie, wieso kann sie sich frei vom „vorbestimmten“ Ablauf bewegen, was hat sie vor? Ab diesem Moment setzt die Magie von „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ ein, denn Drehbuchautor Lev Grossman, der hiermit seine gleichnamige Kurzgeschichte adaptiert, weicht auf herzerwärmende Weise in winzig kleinen Schritten vom vermeintlich offensichtlichen Pfad ab. Marks Faszination wird sofort vom Schwimmbadmädel auf Margaret gelenkt, und seine verträumten Kommentare über ihr Aussehen, mit denen er seinen besten Freund überhäuft, verdeutlichen: Ja, es spielt für Mark ein guter Schuss reiner Verliebtheit in Äußerlichkeiten mit. Doch Hauptdarsteller Kyle Allen legt obendrein eine tiefer reichende Neugier in Marks Stimme, die Hoffnung ausdrückt, eine Schicksalsgenossin gefunden zu haben, und so der Langeweile in der Zeitschleife entkommen zu können.

Was macht man mit seiner freien Zeit, wenn sich der Tag immer und immer wiederholt?

Fortan rückt Mark schleichend von seiner Freude am Leben ohne Konsequenzen ab und rückt hin zu einer Sehnsucht nach Neuerungen. Er sehnt sich nach Veränderung, die zwar durch romantische Bewunderung für Margaret befeuert wird, sich allerdings nicht allein dadurch nährt. Mark wird auch von einem Wissens- und Erlebnisdurst getrieben: Wenn er und Margaret durch ihre Heimatstadt stromern, lauscht er interessiert den Erzählungen seines belesenen Gegenübers und lernt dazu. Außerdem erfüllt ihn die gemeinsam gesetzte Herausforderung, alle wunderschönen, kleinen Vorkommnisse an diesem sich wiederholenden Tag ausfindig zu machen, mit einer empathischen Wärme, die seine an eine High-Score-Jagd erinnernde Routine zuvor nicht in sich trug. Zynische Stimmen könnten „Sechzehn Stunden Ewigkeit“ (nicht zuletzt angesichts des Originaltitels) vielleicht vorwerfen, dass die Passagen über die unzähligen kleinen Momente der Perfektion die Wirkung eines Murmeltier-Films sehr dreist zuspitzen: Zeitschleifenerzählungen sind schließlich oftmals Metaphern für das Leben, wie bereits Essayist Patrick H. Willems erläuterte: Wir wachen auf, gehen unserem Tagwerk nach, schlafen ein, stehen wieder auf, und ewig geht es so weiter – die Unterschiede zwischen den einzelnen Tagen sind oftmals marginal. Egal, ob die zentrale Aussage eines Zeitschleifenfilms nun ist, dass erst die Lektion der Bescheidenheit innere Erlösung gestattet („… und täglich grüßt das Murmeltier“), dass nur das Eingestehen, wie sehr unser Handeln Konsequenzen hat, seelische Befreiung erlaubt („Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“) oder dass erst das Finden einer beidseitig gelebten Bindung auf Augenhöhe das Manövrieren durch diesen seltsamen Mix von Monotonie und Ungewissheit erträglich macht: Ein konstanter Beigeschmack des Murmeltier-Plots ist, dass man zwar das grundlegende Wesen unserer Existenz nicht verändern kann – wohl aber den Blickwinkel darauf, ob es an uns liegt, die Details voller Schönheit im mondänen Stumpfsinn zu entdecken. Oder simpler: Carpe diem!

 

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