Krystal

William H. Macy beginnt seinen neuen Film KRYSTAL als Geschichte über einen todkranken Jungen, doch im weiteren Verlauf werden die angerissenen Themen und Ideen immer abstruser, bis es nur noch lächerlich wird. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Taylor Ogburn (Nick Robinson) hat Angst, dass ihm seine Herzerkrankung zum Verhängnis wird, sollte er sein Leben wie andere in seinem Alter in vollen Zügen genießen. Seine Eltern (William H. Macy und Felicity Huffman) sind überfürsorglich und halten ihn davon ab, ins Kino zu gehen, Sport zu treiben und sich zu verlieben. Alles was Spaß macht, aber natürlich auch Stress bedeutet, ist tunlichst zu vermeiden. Er ist Zuschauer seines eigenen Lebens. Aber als Taylor Krystal (Rosario Dawson) zum ersten Mal sieht, ist es Liebe auf den ersten Blick und er beschließt, dass es sich lohnt, für diese Frau sein Leben zu opfern. Die Tatsache, dass Krystal zwanzig Jahre älter, ein ehemaliges Escort-Girl und noch eine Süchtige auf Entzug ist, hält Taylor von diesem Entschluss genauso wenig ab, wie, dass Krystal einen Sohn (Jacob Latimore) in seinem Alter hat.

Kritik

Spätestens seit dem Überraschungserfolg „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ erscheinen jährlich unzählige Filme über vom Leben gebeutelte Teenager. Auch William H. Macys romantische Tragikomödie „Krystal“ scheint in dieselbe Kerbe zu schlagen. Zumal mit Nick Robinson ein Nachwuchsdarsteller die Hauptrolle spielt, der dank „Love, Simon“ und „Du neben mir“ bestens mit diesem Metier vertraut ist. Doch ein todkranker Junge im Fokus einer Lovestory mit einer über zwanzig Jahre älteren Frau schien Drehbuchautor Will Aldis („Black Cadillac“) zu wenig gewesen zu sein. Denn nicht bloß die Angebetete des Jugendlichen Taylor hat mit einem Sohn im Rollstuhl, einer Vergangenheit als Escort-Girl, einem gewaltbereiten Stalker und einer Drogenvergangenheit Probleme für drei Filme auf einmal. Durch Taylors Umfeld zieht sich sowas wie eine emotionale Schneise der Verwüstung mitsamt einer krebskranken Freundin, einem freigeistigen Bruder und buchstäblichen Dämonen (in Zeichentrickoptik), die ihn verfolgen. Und als wäre das noch nicht genug, sind seine Eltern natürlich auch nicht frei von absurden Spleens und Vergangenheiten, die zum Teil sogar mit Krystal selbst zu tun haben. Das ist ganz schön viel Stoff auf einmal, den Regisseur Macy nicht bloß zu keinem Zeitpunkt unter einen Hut bekommt. Obendrein scheint er während der Postproduktion mehrmals aus einer Laune heraus das Genre gewechselt zu haben, sodass es vielen Szenen an ihrer notwendigen Ernsthaftigkeit fehlt, während er andere Momenten wiederum gern ein Augenzwinkern hätte zugestehen dürfen.

Taylor (Nick Robinson) und Krystal (Rosario Dawson) kommen sich langsam näher…

Zu Beginn von „Krystal“ wirkt Regisseur William H. Macy („Mister Before Sister“) noch halbwegs fokussiert in seiner Inszenierung. Wir lernen den durchaus sympathischen Taylor als zwar lebensfrohen, aber auch zurückhaltenden jungen Mann kennen, der durch seinen Herzfehler dazu verdammt ist, jedwede Aufregung zu vermeiden – keine leichte Aufgabe für einen pubertierenden Teenager. Macy veranschaulicht Taylors innere Dämonen mithilfe von Zeichentrickfiguren, die ihren Ursprung in einem Erotikheftchen haben; eine nette Idee, die sich konsequent über die gesamte Laufzeit des Films erstreckt und in passenden Momenten immer wieder aufgegriffen wird. Dass William seine Zurückhaltetaktik überdenken muss, als er die umwerfende Krystal kennenlernt, erinnert schließlich an Filme wie „Du neben mir“ oder „Midnight Sun“ – ein junger Mensch setzt sich seinem Partner zuliebe seiner größten gesundheitlichen Gefahr aus, was für Taylor bedeutet, Gefühle zuzulassen. Das spielt gerade während des Kennenlernens auch noch eine Rolle (beim Anblick der schönen Frau zerreißt es Taylor im wahrsten Sinne des Wortes fast das Herz, sodass es ihn an der Seite von Krystal direkt ins Krankenhaus führt), doch dann legen die Macher die Krankheitsthematik erst einmal zu den Akten und das Kennenlernen zwischen Taylor und Krystal steht im Mittelpunkt. Und hier wird es erstmals so richtig haarig. Denn auch wenn es einem pubertierenden Jungen noch zu verzeihen ist, dass sich dieser auf den ersten Blick natürlich in das Äußere einer Frau verliebt (was Kameramann Adam Silver („Heathers“) mit seinen in Ansätzen voyeuristischen Bildern unterstreicht), gleicht das Folgende weniger amourösen Annäherungen als vielmehr waschechten Stalkertendenzen.

Der Grat zwischen „um Jemanden kämpfen“ und „die Grenzen des anderen nicht akzeptieren“ ist sehr, sehr schmal. Autor Will Aldis versteht seinen Film offensichtlich als eine Geschichte darüber, wie sich ein junger Mann verzweifelt um eine Frau bemüht und dem dafür jedes Mittel recht ist. Das nimmt recht schnell vollkommen hanebüchene Züge an, wenn Taylor sich mit seinen 18 Jahren ein mit verstellt-rauchiger Stimme sprechendes Lederjacken-Ich zulegt, mit dessen aufgesetzt wirkenden Weisheiten er Krystal am Ende sogar rumbekommt. Doch bevor „Krystal“ an dieser Stelle ohnehin jedwede Glaubwürdigkeit verliert, sorgt Taylors Art, seiner Angebeteten immer wieder aufzulauern, sie trotz einer Abweisung permanent vollzutexten und später sogar ungefragt in ihr Auto zu steigen, vor allem für Unbehagen. Auch das ließe sich zeitweise vielleicht verschmerzen, da das Skript hier und da durchblicken lässt, dass die Taylor in jeder Hinsicht haushoch überlegende Krystal ihren Stalker ohnehin nicht für voll nimmt. Doch zum einen lässt das Drehbuch den jungen Mann am Ende ja doch „gewinnen“ und zum anderen gibt es im Film gleich mehrere Szenen, in denen deutlich wird, dass hier gerade etwas ziemlich Dramatisches stattfindet, was William H. Macy aber lieber nutzt, um daraus völlig unpassend etwas Lustiges zu kreieren. Da wird aus einer dramatischen Verfolgungsjagd mit Krystals bewaffnetem (!) Ex-Mann auch schon mal purer Slapstick zu dem „Benny Hill Theme“ ähnlicher Musik, die das Leinwandgeschehen in pure Lächerlichkeit abdriften lässt.

Die Beziehung zwischen Krystals Sohn Bobby (Jacob Latimore) und Taylor wird, wie so vieles andere in „Krystal“, nur angerissen.

Doch „Krystal“ erzählt ja nicht bloß von dieser merkwürdigen Liebe, die auch deshalb so absurd wirkt, weil man Rosario Dawson („Trance – Gefährliche Erinnerung“) und Nick Robinson die Zuneigung zueinander nicht in einer Sekunde abkauft. Es geht darüber hinaus ja auch noch um viele andere Themen, die William H. Macy aber teilweise nur für wenige Szenen anreißt, ohne dass irgendwas davon eine ausführlichere Bedeutung hätte. Dass eine Freundin von Taylor an Krebs leidet, ist den Machern nur eine einzige Erwähnung wert, genauso wie ein von William Fichtner („Operation: 12 Strong“) gespielter Arzt als bei seiner Arbeit rauchender Stümper ohne Interesse an seinen Patienten eingeführt wird; nur dass sich hieraus weder gute Gags, noch irgendein anderer Mehrwert für die Story ergeben würden. Dasselbe gilt für Taylors Familie, in der es immer mal wieder wie aus dem Nichts kracht. Und die merkwürdige Beziehung zwischen Krystal und ihrem gewalttätigen Ex-Freund wäre eigentlich ein sehr dramatisches Detail in dieser unübersichtlichen Figurenkonstellation, zumal sie zeitweise immerhin ein wenig Substanz in die allesamt oberflächlichen Charakterisierungen bringen; irgendwann sieht sich Krystal nämlich gezwungen, sich zwischen ihrem Ex und ihrem Sohn zu entscheiden. Doch nicht einen der vielen angerissenen Subplots denken die Verantwortlichen zu Ende. Am Ende liefern sie ein unübersichtliches Sammelsurium an Ideen ab, von der man nicht eine einzige ernst nehmen kann und bei dem man sich sogar hin und wieder fragt, wie viel davon nur unüberlegt und wie viel schon fragwürdig ist.

Fazit: William H. Macys Tragikomödie „Krystal“ als unausgegoren zu bezeichnen, wäre noch eine Untertreibung. Im Laufe der 100 Filmminuten wechselt der Regisseur so oft Tonart und Thema, dass man am Ende überhaupt nicht weiß, was der Film erzählen soll. Und das, was er erzählt, ist zum Großteil hanebüchen.

„Krystal“ ist ab dem 18. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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