Egal was kommt

Ein Fernsehjournalist lässt seine Arbeit nieder und fährt mit einem Motorrad um die Welt. Ob die dabei entstandene Dokumentation EGAL WAS KOMMT Reiselust weckt oder wenigstens informativ ist, das erfahrt ihr in unserer Kritik zum Film.

Darum geht’s

Der Journalist Christian Vogel ist 34 Jahre alt, als er sich seinen Herzenswunsch erfüllt und ein Jahr frei nimmt, um einmal die Erde auf dem  Motorrad zu umrunden. Dabei ist er doch gerade erst frisch verliebt, dann auch noch in eine Motorradfahrerin. Trotzdem nimmt er Abschied und kurvt alleine um den Globus. Auf dem Weg lernt er Land und Leute kennen, sowie die hohen Kosten von Motorradersatzteilen und Sprit in einigen Ländern.

Kritik

„Drei von Sinnen“, „Pedal the World“, „Expedition Happiness“ und so weiter: Fast möchte man glauben, dass niemand mehr eine größere Reise unternimmt, ohne gleich eine Dokumentation darüber zu drehen. Auch Fernsehjournalist Christian Vogel springt auf diesen Trend auf und nahm Kameraequipment mit, als er sich auf ein Motorrad (genauer gesagt: Eine BMW GS 1200 ADV) schwang, um damit einmal die Welt zu umrunden. Nun soll ihm das allein nicht angekreidet werden. Es gibt scharenweise Actionfilme mit ähnlicher Prämisse, zahlreiche Romantikkomödien, die einem ähnlichen Konzept nachgehen, da darf es auch mehrere „Hey, ihr dürft mich bei meiner Reise begleiten!“-Dokumentationen geben. Die Frage, die sich aber bei einer Reisedokumentation zwangsweise irgendwann stellt, ist: Warum sollte ich mir das anschauen? Eine Komödie bringt ihr Publikum (im Idealfall) zum Lachen, ein gelungenes Musical bezaubert mit mitreißenden und/oder emotionalen Liedern, ein guter Horrorfilm lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Eine Reisedokumentation kann wiederum entweder durch reale Situationskomik amüsieren oder Reiselust weckende Bilder ferner Orte bieten. Oder sie informiert – sei es über die/den Reisende(n) oder die angesteuerten Reiseziele.

Nur mit einem Motorrad „bewaffnet“ begibt sich Christian Vogel auf Reisen…

In seinen knapp über zwei Stunden Laufzeit kann sich „Egal was kommt“ derweil nicht so wirklich entscheiden, wo der Schwerpunkt dieser Dokumentation liegen soll. Eingangs betont Protagonist und Erzähler Christian Vogel, kaum Ahnung von Motorrädern zu haben – obwohl er die Welt auf genau solch einem motorisierten Zweirad umrunden möchte. Es folgt eine kurze Zusammenfassung seiner Vorbereitungen auf den Trip, fragmentartig sehen wir, wie er in die Kunst des Motorradreparierens eingeweiht wird oder übt, typische Motorradunfallnarben zuzunähen.Als lehrreiche Dokumentation für Leute, denen es ähnlich wie Christian Vogel geht, taugt „Egal was kommt“ allerdings nicht: Seine Lektionen werden so knapp angerissen, dass sich der Film nicht einmal als Schritt eins in einer Motorradweltreiseschulung empfiehlt. Kaum beginnt Vogels Reise, rafft der auch als Regisseur des Films fungierende Weltreisende die ersten Etappen seiner Tour so rasch zusammen, dass es keinem im Publikum zu verdenken wäre, wenn sie oder er denkt: „Wieso schaue ich mir diese stichwortartige Reisezusammenfassung an und nicht etwa eine Reisevlog-Reihe, in der ich mehr von den bereisten Orten mitbekomme?“ Aus Vogels Nordamerika Durchkreuzung bleibt nur ein Besuch bei einem anderen Motorradnarren hängen, der sich als Ko-Erfinder des Joysticks herausstellt.  „Egal was kommt“ findet erst dann so langsam seinen Groove, sobald Vogel in Russland ankommt: In dieser Passage des Films ergänzt der Journalist seine grieseligen Bilder (gefilmt wurde mit einer Gopro und einer Panasonic GH4 sowie zuweilen mit Passantenhandys) nämlich mit kurzweilig-informativen Eindrücken über die Motorrad-Subkultur Russlands.

Obwohl sich Vogel mit seinen Besuchen bei Motorrad-Clubs und Einzelpersonen, die gerne Reisende bei sich aufnehmen, ein reizvoller Schwerpunkt seines Films angeboten hätte, schlägt er jedoch nur gelegentlich in diese thematische Kerbe. Neben den trinkfreundlichen Russen lernt Vogel etwa Menschen aus dem Nahen Osten kennen, die ihre Träume von der weiten Welt erfüllen, indem sie Fremden bei ihren Reisen unterstützen. Oft genug bleibt Vogel aber einfach an der Oberfläche: Wenn ein homosexueller Türke mit ihm ins Gespräch kommt und sich mit ihm über Ängste und Gewaltandrohungen austauscht, dauert diese Szene nur unwesentlich länger als es Zeit benötigt, diesen Satz zu lesen. Stattdessen melkt Vogel mit Hilfe der gelegentlich in die Doku eingestreuten Zeichnungen von Momenten, bei denen keine Kamera zugegen war, die Situation auf altbacken-komödiantische Weise, indem er die Flirtversuche seines Gastgebers als ulkigen Riesenschock nacherzählt. Nein, wir wollen Vogel hier keinesfalls Homophobie unterstellen, dennoch ist es sehr frustrierend, wenn ein ehrlicher, zwischenmenschlicher Moment kaum Laufzeit zugerechnet bekommt, um Raum für einen Gag wie aus einer 80er-Sitcom zu schaffen: „Huch, ich bin doch nicht schwul …“ Dieses Gefühl des „Moment, wieso hältst du dich damit auf, wenn du eben über etwas Tiefgehendes hinweggedüst bist?“ wiederholt sich leider immer wieder in dieser Dokumentation.

Zumindest die Landschaften wirken teilweise imposant.

In Indien erfährt Vogel, als er sich völlig erschöpft auf einem unter freiem Himmel stehenden Bett niederlässt, von einem Mann, dass er auf diesem Bett geboren wurde und noch immer dort lebt. Ein kurzer Erzählkommentar Vogels, Ende. Dafür gehen mehrere Filmminuten verloren, während Vogel überlegt, ob er sein aufgrund teurer Reparaturen knapp gewordenes Reisebudget überziehen soll, um in Europa einen Schlenker zu unternehmen. Da fand im Schneideraum wohl jemand seine eigenen Sorgen spannender als die anderer Leute – was nicht so beschämend wäre, würde sich Vogel in seiner Dokumentation auch wirklich öffnen. Aber selbst wenn „Egal was kommt“ zu einem großen Teil von Vogel handelt, verlässt man den Kinosaal ohne bleibenden Eindruck des Journalisten: Wieso träumt er von einer Weltreise, weswegen wählt er ein Gefährt, das er kaum beherrscht und weshalb unternimmt er die Reise alleine, obwohl seine Freundin liebend gern mitgekommen wäre? Das bleibt teils vollkommen unbeantwortet oder aber weitestgehend im Unklaren. „Egal was kommt“ ist dann am spannendsten, wenn die Reisedokumentation zur Zwangsstoppdokumentation wird und Vogel notgedrungen Zeit in Indien vertrödeln muss. Die Bilder, die er dabei einfängt, sprechen oft Bände – da steht der blitzeblanke BMW-Protzbau auch mal mitten im von Obdachlosenlagern befüllten Nirgendwo. Und selbst wenn sich Vogel wenigstens in dieser Doku nicht als Meisterinterviewer zeigt, hebt die bloße Fülle an Gesprächen mit Zufallsbegegnungen die Informationsdichte von „Egal was kommt“, so lange das Motorrad still steht. Die Frage bleibt dennoch: Was, wenn jemand Anderes die 600 Stunden Material ausgewertet hätte, die Vogel unterwegs gefilmt hat?

Fazit: „Egal was kommt“ haftet zu sehr an seinem Regisseur und Protagonisten, der zugleich zu sehr davor zurückscheut, sich vor der Kamera seelisch zu entblößen, um emotional zu fesseln oder mit seiner Informativität zu bestechen. Einzelne Passagen sind aber aussagekräftig genug, als dass die etwas mehr als zwei Stunden Filmzeit völlige Verschwendung wären.

„Egal was kommt“ ist ab dem 2. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

8 Kommentare

  • Ich kann diesen Verriss nicht im Ansatz nachvollziehen. Ich habe von den eingangs aufgezählten Dokus alle gesehen, dazu noch einige mehr – und keine ist mir so nahe gegangen, wie diese. Der Film hat mich berührt, zum lachen, zum weinen, zum nachdenken und zum träumen gebracht.

  • Ich kann die Kritik nachvollziehen und teile sie über weite Strecken. Habe den Film gesehen und den Protagonisten erlebt und selbst darüber gebloggt unter http://textur-buero.de/egal-was-kommt/

    • Auch wenn sich der Kritiker viel Mühe und Gedanken gemacht hat – „Egal was kommt“ habe ich völlig anders gesehen: Endlich mal kein „Hochglanz-schöne-Welt-Reisefilm“ und auch kein „Einsamer-Held-besteht-Abenteuer-Epos“. In „Egal was kommt“ habe ich Christian Vogels Reise miterleben und teilhaben können an seiner Erfahrung, dass wir ohne die Anderen, die uns helfen, unterstützen und beistehen, nichts sind – egal wo auf der Welt – und wie wichtig es ist zu vertrauen. In diesen Zeiten wirklich bedenkenswerte Erkenntnisse! Auch ist dieser Film anders, weil es zwei starke Frauen sind – seine Mutter und seine Freundin Miriam – ohne die es diese Reise so nicht gegeben hätte.

  • Auch wenn der Kritiker viel Mühe und Text auf diesen Film verwendet – ich habe ihn völlig anders gesehen: „Egal was kommt“ ist endlich einmal kein „Hochglanz-alles-wunderbare-Welt-Reisefilm“ und auch kein „Allein-um-die-Welt-Männer-Helden-Abenteuer-Epos“. Es ist ein Film, der mich hat miterleben lassen, wie es ist, eine solche Reise zu unternehmen, um dann festzustellen, dass wir allein nichts und nur im Miteinander stark sind. Vogel führt vor Augen, dass es – egal wo auf der Welt – Menschen braucht, die einander helfen, die einander vertrauen und füreinander da sind. In Zeiten wie diesen ein mehr als bedenkenswertes Statement! Und sein Film ist auch deswegen so anders, weil deutlich wird, dass es seine Reise ohne zwei starke Frauen, seine Mutter und seine Freundin Miriam, so nie gegeben hätte.

  • Auch wenn sich der Kritiker viel Mühe und Gedanken gemacht hat – „Egal was kommt“ habe ich völlig anders gesehen: Endlich mal kein „Hochglanz-schöne-Welt-Reisefilm“ und auch kein „Einsamer-Held-besteht-Abenteuer-Epos“. In „Egal was kommt“ habe ich Christian Vogels Reise miterleben und teilhaben können an seiner Erfahrung, dass wir ohne die Anderen, die uns helfen, unterstützen und beistehen, nichts sind – egal wo auf der Welt – und wie wichtig es ist zu vertrauen. In diesen Zeiten wirklich bedenkenswerte Erkenntnisse! Auch ist dieser Film anders, weil es zwei starke Frauen sind – seine Mutter und seine Freundin Miriam – ohne die es diese Reise so nicht gegeben hätte.

  • Ich finde die Kritik wird dem Film nicht gerecht.
    Ja, auch ich habe etwas völlig anderes erwartet als ich die Karten gekauft habe, war aber von dem was ich gesehen habe bei weitem nicht enttäuscht. „Egal was kommt“ beschreibt für mich sehr gut was es heißt seinen Traum zu verwirklichen, nicht aufzugeben und sich immer wieder selbst zu überwinden. Doku´s mit spektakulären Landschaften und beeindruckenden Katastrophen gibt es zu Hauf. Was Christian Vogel aber beeindruckend beschreibt ist, dass es immer weiter geht, das Menschen noch uneigennützig helfen und wie wertvoll der Rückhalt von Freunden und Familie ist. Egoistisch wäre das letzte Wort, das mir bei der Beschreibung seiner Person einfällt. Ja, es ist ein Film über ihn und seine Reise. Ich schätze wie so oft hätte der Film auch noch drei Stunden länger sein können.
    Sicher lässt sich der Film besser verstehen wenn man schon mal ähnlich gereist ist. Aus innerer Überzeugung oder Passion. Es gibt eine Welt abseits von Pauschalreisen mit Vollpension. Und…..ohne Kamerateam und Werksattwagen !
    Mich hat der Film begeistert, emotional berührt und vor allem: er hat mich mitgenommen.

    (Sozialkritische Problembewältigung war mit Sicherheit nicht das Ziel dieses Films und findet anderweitig Plattformen genug)

  • Ich finde die Kritik trifft es auf den Punkt. Sehr oberflächig erzählt, man bekommt überhaupt keinen Draht zu dem Hauptprotagonisten Vogel – ich dachte es geht um Erfahrungen, bleibende Erlebnisse und Geschichten – aber nein. Nichts von dem erlebten bleibt wirklich hängen oder wird vertieft, fast kommt es einem vor als ginge es um ein Rennen um die Welt… Die Mutter hat mich noch am meisten berührt. 2 von 5 Sternen wenn ich das bewerten darf

  • Nachtrag:
    Die Reisedoku „ Love Around The World“ ist um ein vielfaches gelungener und berührt wirklich

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