Was wir wollten

Coronabedingt startet Österreichs Oscar-Hoffnung WAS WIR WOLLTEN saußerhalb ihres Heimatlands bei Netflix. Ob diese Entscheidung naheliegend oder schade ist und vor allem, was ihr von dem Drama mit Lavinia Wilson und Elyas M’Barek erwarten könnt, das verraten wir in unserer Kritik.

OT: Was wir wollten (AT 2020)

Der Plot

Über das Liebesglück von Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M’Barek) zieht sich eine Wolke zusammen: Schon seit einiger Zeit planen sie, ein Kind zu bekommen. Nachdem sich abzeichnete, dass es über natürlichen Weg wohl nicht mehr klappen wird, ist das Paar zur künstlichen Befruchtung übergegangen. Aber sogleich mehrere Anläufe sind gescheitert. Um sich von den Strapazen dieser Behandlungen zu erholen und die emotionalen Akkus wieder aufzuladen, beschließen die Beiden, Urlaub auf Sardinien zu machen. Kaum sind sie dort angekommen, wird ihnen jedoch unentwegt vorgehalten, was sie so alles belastet. Andauernd begegnen ihnen glückliche Pärchen mit Kindern, und dann zieht im Ferienhaus nebenan auch noch eine Familie aus Tirol ein, die für all das steht, was Alice und Niklas wollen. Der Haussegen hängt sehr bald schief …

Kritik

Die Corona-Pandemie führt in der Kinowelt nicht nur zu allerlei Leid, sondern auch zu so manchen kuriosen Situationen. So sollte der neue Film von „Wir fliegen“-Regisseurin Ulrike Kofler ursprünglich am 6. November 2020 in den österreichischen Kinos anlaufen. Doch aufgrund der steigenden Infektionszahlen und der folgenden Gegenmaßnahmen wurde der dortige Start von „Was wir wollten“ vorerst auf Ende Dezember 2020 verschoben. Außerhalb Österreichs dagegen können Interessierte das Drama, das als österreichischer Kandidat für den „Bester internationaler Film“-Oscar ausgewählt wurde, ab dem 11. November 2020 bei Netflix streamen. Auf sehr absurde, ironische Weise ahmt also unplanmäßig die Veröffentlichungspolitik die Geschichte des Films nach: So, wie dem Protagonistenpärchen Alice und Niklas ein Kind versagt bleibt, während die Urlaubsnachbarn ein glückliches Leben mit Kindern führen, muss Österreich zunächst neugierig und ungeduldig auf seine Nachbarländer blicken, wo „Was wir wollten“ früher veröffentlicht wird.

Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (Elyas M’Barek) wollen sich im Urlaub von den Strapazen der Familienplanung erholen.

Wobei wir gestehen müssen: Diese lapidare Feststellung wird dem auf der Kurzgeschichte „Der Lauf der Dinge“ von Peter Stamm basierenden Drama nicht gerecht. Denn Regisseurin und Autorin Ulrike Kofler sowie die Autorinnen Sandra Bohle („Maikäfer flieg!“) und Marie Kreutzer („Der Boden unter den Füßen“) bohren wesentlich tiefer als einfach nur die gesamte Filmlaufzeit über auszubreiten „Ach, wie ironisch ist das nur, dass das kinderwollende, kinderlose Paar Urlaub umgeben von Kindern macht?“ Diese bittere Ironie ist zwar das Rückgrat dieses Dramas, allerdings finden Kofler, Bohle und Kreutzer eine feingliedrige Tragik darin, statt sich auf einer Alanis-Morissette-Fehldeutung von „Ironie“ auszuruhen. So mag es zwar zynisch-humorig beginnen, wenn sich Alice und Niklas am sonnigen Strand Sardiniens vom Kummer ablenken wollen, wahrscheinlich keine Kinder zu bekommen, während um sie herum goldig-neugierige Kinder herumtollen. Doch es kommt bereits Bewegung in die Art, wie das Schicksal dem Paar seine Unerfülltheit unter die Nase reibt, wenn sie etwa beim romantischen Dinner unter Sternenhimmel ein schleppendes Gespräch führen, während am Nachbartisch ein Kind am iPad klebt und sich seine Eltern einen feuchten Kehricht um es kümmern. Oder wenn das jüngere Kind der aus dem Tirol angereisten Urlaubsnachbarn beim Toben Alices Sonnenbrille kaputt macht.

„Regisseurin und Autorin Ulrike Kofler sowie die Autorinnen Sandra Bohle und Marie Kreutzerbohren wesentlich tiefer als einfach nur die gesamte Filmlaufzeit über auszubreiten ‚Ach, wie ironisch ist das nur, dass das kinderwollende, kinderlose Paar Urlaub umgeben von Kindern macht?'“

Denn auf dieses Missgeschick folgt kein Schönreden von Alices und Niklas‘ Lage. Kein „Aha, es ist also doch besser so, keine Kinder zu haben!“ Viel mehr nutzt „Was wir wollten“ diese und vergleichbare Situationen, um das Protagonistenpaar in verwinkelte, tiefe Gedankentäler zu stürzen. Lavinia Wilson („Schoßgebete“) und Elyas M’Barek („Fack ju Göhte“) machen die verschachtelten, widersprüchlichen, Alice und Niklas sukzessive herunterziehenden Gedankenkomplexe und Gefühlssackgassen non-verbal greifbar. Sie sind ausdrucksstark, obwohl sie filigran spielen – was nicht nur ein großer Reiz an „Was wir wollten“ ist, da es endlich wieder ein Beziehungsdrama ohne Gekeife ist, sondern auch die Charakterzeichnung dieser Figuren intensiviert. Für große Gesten und ausschweifende Mimik haben die nämlich keine Kraft mehr. Wir begegnen Alice und Niklas nahezu am Ende ihrer emotionalen Reise als Paar mit einem immer unwahrscheinlicher aussehenden Kinderwunsch. Ihre Energien sind schon aufgebraucht, ihre Blicke und ihre Art, miteinander zu sprechen, drückt aus, dass schon alle erdenklichen Gespräche geführt wurden. Und noch einmal geführt. Und noch einmal…

Die zahlreichen Besuche in der Kinderwunschklinik haben ihre Spuren hinterlassen…

Alice und Niklas pflegen einen „verlebten“ Dialog, den Gesprächen in diesem Film ist jederzeit anzumerken, wie durch Satzfragmente oder die ermattete Kadenz eines Arguments vermittelt wird, dass die Figuren ähnliche Streits, Enttäuschungen und Überlegungen hinter sich hatten. Was aber neu für sie ist, ist die hochkonzentrierte Auseinandersetzung damit, wie ein sie nicht kennendes Umfeld auf das Thema Kinderlosigkeit eingeht. Und all diese freundlich gemeinten, aber naiv-schädlichen, ganz und gar unhöflichen oder gar übergriffigen Ratschläge, Aufmunterungen und Ablenkungen ihrer Urlaubsbekanntschaften treiben nun alles auf die Spitze. Konsequenterweise hat dies in Verbindung mit der ganzen Vorgeschichte auch schwerwiegende Folgen auf die Libido von Alice und Niklas. Kofler inszeniert Liebkosungen, Nackt- und Sexszenen in „Was wir wollten“ sehr gekonnt als körperlichen Ausdruck der Befindlichkeit ihrer Figuren. Sei es ein mit mattem Blick kommentiertes Hochrutschen von ihr oder etwa ein langsam, aber emotional schmerzendes Verlangsamen seiner Hüftbewegungen: Sex ist hier nicht sinnlich, sondern die deutlichste Form der Kommunikation – aber zugleich vermeidet Kofler den Fehler, ihn als die einzig wahre zu zeichnen.

„Alice und Niklas pflegen einen „verlebten“ Dialog, den Gesprächen in diesem Film ist jederzeit anzumerken, wie durch Satzfragmente oder die ermattete Kadenz eines Arguments vermittelt wird, dass die Figuren ähnliche Streits, Enttäuschungen und Überlegungen hinter sich hatten.“

Ebenso sehr verkneift sich „Was wir wollten“ es, seinem Publikum eine ultimative Antwort in den Mund zu legen, welchen Wert ein kinderloses Paar hat. „Was wir wollten“ versteht sich in dieser Frage als Einzelfallschilderung, ist aber zugleich einprägsame, universelle Warnung davor, wie verletzend es ist, Frauen, die man nicht gut kennt, über ihren Familienstatus auszuquetschen.

Fazit: „Was wir wollten“ ist ein besonnen inszeniertes, wortkarges Drama über eine Beziehung am Scheideweg, die auslaugende Wirkung eines unerfüllten Kinderwunsches und die Taktlosigkeit jener, die mit kinderlosen Paaren interagieren. M’Barek und vor allem Wilson glänzen unter Ulrike Koflers filigraner Regieführung.

„Was wir wollten“ ist ab dem 11. November bei Netflix streambar.

2 Kommentare

  • Die Kritik ist wirklich gut, weil sie vor dem Werten beschreibt, mir klarmacht, warum das wohl ein guter Film ist. Mein Lieblingssatz:
    …Alice und Niklas sukzessive herunterziehenden Gedankenkomplexe und Gefühlssackgassen non-verbal greifbar. SO geht nämlich Film, die Bilder müssen das Leitmedium sein!

  • Julia E. Birkenberger

    Danke für diesen Film!! Endlich wird einmal dieses schmerzhaft Thema sensibel aufgegriffen und absolut glaubwürdig – von allen Figuren – gezeichnet und dargestellt. Der Film ist nicht „realitätsnah“ sondern ist die!! Realität!
    Er mag für manchen komisch wirken, aber leider wird das Thema in unserer Gesellschaft auch kaum behandelt, der Schmerz bleibt aber trotzdem und bei sehr vielen, vor allem Frauen, unter der Oberfläche, im Inneren vergraben…Schublade zu, Leben geht weiter…Probleme haben die anderen…

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