Work It

Seichte Wohlfühlunterhaltung für Teens und Junggebliebene (beinahe) in Disney-Tradition: Netflix versucht sich mit dem Tanzfilm WORK IT in den Gefilden seines Streaming-Konkurrenten. Ob das gelingt, verraten wir in unserer Kritik zu einer Produktion, die seit Kurzem überraschend die oberen Ränge der Netflix-Top-10 entert. 

OT: Work it (USA 2020)

Der Plot

Quinn Ackermann (Sabrina Carpenter) hat hervorragende Noten, ist in zahlreichen AGs, engagiert sich sozial und weiß genau, auf welche Uni sie will. Doch die will von ihren Bewerberinnen und Bewerbern mehr als die ewig gleichen, perfekten Lebensläufe. Sie wollen Unvorhersehbares. Und Vitalität. Also flunkert Quinn, sie sei im Tanzteam ihrer High School – obwohl das sie nach eines Missgeschicks aus dem Regieraum verbannt hat. Da wäre es undenkbar, dass es Quinn nun sogar auf die Bühne lässt. Also gründet die Teenagerin kurzerhand mit eigenen Kräften eine Dance Crew…

Kritik

Netflix hat sich in den vergangenen Monaten eine kleine, feine virtuelle Videothek an Actiontiteln aufgebaut, wie sie früher im Kino Alltag waren, dann aber allmählich ins Hintertreffen geraten sind, weil sich das Kinopublikum einst Stück für Stück von ihnen verabschiedete. Filme, die früher zu den größten Blockbustern zählten, dann aber aufgrund sinkender DVD-Preise von „Schau ich mir auf der großen Leinwand an!“-Projekten zu „…obwohl, ich kann auch warten, bis mir die DVD hinterher geworfen wird“-Produktionen wurden. Eine Entwicklung, die durch das Aufkommen der Streamingdienste enorm beschleunigt wurde. Wieso als dem Actionkino zugeneigte Person für den mittelgroßen Einzelfilm und den riesigen Franchisefilm, zu dem man eine vorab etablierte emotionale Verbindung hat, ein Kinoticket lösen, wenn man ersteren doch auch mit etwas Geduld gefühlt umsonst (in Wahrheit: zum Abopreis) schauen kann? Anders gesagt: Mit Filmen wie „Triple Frontier“, „Spenser Confidential“, „Tyler Rake: Extraction“, „The Old Guard“ und „Project Power“ hält Netflix die Art Film künstlich am Leben, die der Video-on-Demand-Dienst durch sein Aufkommen im Kino überhaupt erst bedroht hat. Und das Zielpublikum dankt es Netflix: Unzählige Filmfans, die ihre prägenden Jugendjahre in der Blütezeit des flotten, etwas kernigen, mittelgroßen Actionkinos verbrachten, und dann in ein kinoträges Alter kamen, feiern Netflix in den sozialen Netzwerken als das Studio, das „als einziges“ noch „echte Filme“ für sie finanziert.

Quinn (Sabrina Carpenter) und ihr Freund Jake (Jordan Fisher) in „Work it“.

Dieser so erarbeitete Ruhm ist nur die Spitze des Eisberges, sind doch Actioner im Stil der 80er bis frühen 2000er laut Netflix mit großer Verlässlichkeit für Rekordabrufe verantwortlich. Was das nun mit „Work It“ zu tun hat? Ganz einfach: Netflix befindet sich derzeit in der frühen Phase seiner nächsten „Wir retten die Art Film, deren wirtschaftlichen Aussichten wir zuvor geschwächt haben“-Aktion. Es geht um das im Marketing einer die Genderrollen klischeehafter aufteilenden Medienära als frauenzentrisch dargestellte Wohlfühlkino für alle Altersstufen, das auf übernatürliche Elemente verzichtet. Oder anders gesagt: Die Art Film, die Disney früher in hoher Schlagzahl produziert hat, bevor das Mid-Budget-Kino durch das immer preisgünstiger werdende Heimkino zusammenbrach. Filme über Teenager und junge Erwachsene, die einen meistens sportlichen, manchmal künstlerischen, gelegentlich beides verbindenden Traum haben, einen Rückschlag erleiden und dann mit Hilfe quirliger Nebenfiguren, guter Laune und wertvollen Lebenslektionen über sich hinauswachsen – und ganz nebenher noch ihren Traum verwirklichen.

„‚Work it'“ ist die Art Film, die Disney früher in hoher Schlagzahl produziert hat, bevor das Mid-Budget-Kino durch das immer preisgünstiger werdende Heimkino zusammenbrach.“

Vor wenigen Wochen veröffentlichte Netflix bereits „Feel the Beat“ von Elissa Down („The Black Balloon“), in dem eine überehrgeizige Tänzerin nach einem peinlich geendeten Vortanzen in ihre provinzielle Heimatstadt zurückkehrt und eine örtliche Kinder-Chaostruppe trainiert – anfänglich mit der egoistischen Absicht, ihren Ruf aufzupolieren. Doch natürlich lässt sie nach und nach mehr Herzblut in die Sache einfließen. Der Film setzt auf Disney-Channel-Star Sofia Carson in der Hauptrolle und hätte so exakt auch als Disney+-Original laufen können, wäre der Entertainmentgigant einfach zügiger darin, seine Liste an Exklusivtiteln zu verlängern. „Work It“ ist der Schwesterfilm im Geiste von „Feel the Beat“, geht es hier dieses Mal doch um eine nahezu fanatische Streberin, die aus Sehnsucht nach dem Studienplatz ihrer Träume in allen nur erdenklichen Schul-AGs mitmacht – aber daher von ihrer Traum-Uni zunächst abgelehnt wird. Ein zu graues Mäuschen sei sie – also erlügt sie kurzerhand eine Mitgliedschaft in einer Tanztruppe, obwohl sie bisher nur als Licht- und Sound-Crew tätig war und trotz trainierter Figur ein ziemlicher Körperklaus ist. Damit ihre Lüge nicht auffliegt, startet sie wirklich eine Dance Crew. Was als „Naja, ich muss das halt machen“ beginnt, wird zu einer Passion…

Die Crew probt für den großen Auftritt.

Klingt nach Disney-Film einer früheren Disney-Schaffensphase (die Kinofilme der Maus wurden ja in den vergangenen Jahrzehnten immer pompöser, die TV-Filme immer schriller), und ist auch mit einem Disney-Star besetzt – nämlich Carsons „Die Nacht der verrückten Abenteuer“-Ko-Star Sabrina Carpenter. „Work It“ wäre so aber wohl kaum auf Disney+ gelandet – im Dialog kommt einmal das Wort „Sexting“ vor und in einer Tanzszene spielt ein erregtes (verhülltes) Glied eine komödiantische sowie inhaltlich relevante Rolle. Das wäre bei Disney wohl umformuliert worden oder in den 80ern bis 90ern als zahmer Touchstone-Pictures-Film geendet. Die Wirkung bleibt aber gleich: Netflix-Abonnentinnen und -Abonennten einer gewissen Altersspanne und mit einem bestimmten Filmgeschmack werden von „Work It“ (produziert von Alicia Keys!) wohlig an Filme ihrer Kindheit und Jugend erinnert. Und deren Kinder, jüngeren Geschwister, Nichten, Neffen, Patenkinder oder sonstwas dürfen sich bei Gelegenheit anhören: „Oh! Mein! Gott! Sowas habe ich in deinem Alter dauernd geguckt, ist das nicht super?“

„Super“ wäre aber, etwas nüchterner betrachtet, zu euphorisch. Charmant ist das Ganze dennoch: Drehbuchautorin Alison Peck aktualisiert die altgediente Formel behutsam für die 2020er-Jahre, statt entweder einen völlig aus der Zeit gefallenen Film mit Jugendlichen ohne Smartphone zu kreieren oder alternativ verkrampft überall aktuelles Zeitkolorit reinzupacken, und Regisseurin Laura Terruso inszeniert „Work It“  zwar ohne nennenswertes visuelles Flair, wohl aber mit Gespür für die Chemie zwischen den Ensemlemitgliedern. Und, ganz wichtig: Sie filmt die Tanzszenen so, dass sie filmischen Drive haben, jedoch die Choreografien in Ruhe genossen werden können – statt ihren Cutter Andrew Marcus die Tanzpassagen zerhackstückeln zu lassen. Der Soundtrack ist derweil voll mit Chartstürmern, die betagt genug sind, damit die Kernzielgruppe der filmischen Vorbilder nostalgisch jauchzen kann, zur Auffrischung sind aber auch ein paar neuere Nummern strategisch klug eingewoben.

„Drehbuchautorin Alison Peck aktualisiert eine altgediente Formel behutsam für die 2020er-Jahre, statt entweder einen völlig aus der Zeit gefallenen Film mit Jugendlichen ohne Smartphone zu kreieren oder alternativ verkrampft überall aktuelles Zeitkolorit reinzupacken.“

Carpenter spielt die graue Büffelmaus, die das Tanzen für sich entdeckt, mit sympathischer Lockerheit, die hilft, die weltfremde Prämisse (kein College der USA würde ihre Figur aus den im Film erfundenen Gründen ablehnen) freundlich schönzulächeln. Und die Tanzprofis Jordan Fisher (als Trainer unserer Tanzversagerin) sowie Liza Koshy (als beste Freundin und Tanzvorbild) haben nicht nur beeindruckende Moves drauf, sondern spielen auch solide genug, dass man glauben könnte, sie seien mehr als nur Tänzer – und, hey, das heißt im Tanzfilmgenre was.

Fazit: „Work It“ erfindet das Rad keineswegs neu, sondern bringt ein aus der Mode geratenes Modell mit Charme und Lockerheit zurück – „Work It“ ist familiengerechtes, etwas „angerautes” Gute-Laune-Kino über agile Menschen. Dagegen gibt’s nichts zu sagen!

„Work it“ ist beim Streamingdienst Netflix abrufbar.

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