Happiness

Nach „Mr. Long“ kommt mit HAPPINESS in diesem Jahr bereits der zweite Film des japanischen Star-Regisseurs in die deutschen Kinos und stellt damit sogleich seine Vielseitigkeit unter Beweis. Mehr zu dem schwer einzuordnenden Genremix verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Ein Mann namens Kanzaki (Masatoshi Nagase) kommt mit einer großen Box in eine Kleinstadt. In einem heruntergekommenen Laden holt er einen seltsamen Helm heraus und setzt ihn einer alten teilnahmslos wirkenden Frau auf. Nach einem kurzen Moment kehrt Freude in ihr Gesicht zurück. Glückliche Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. Kanzakis einzigartige Erfindung macht die Runde, auch der Bürgermeister ist von der mysteriösen Kraft des Helms begeistert und bittet Kanzaki für eine Weile in der Stadt zu bleiben, um hoffnungslose Einwohner zu ermutigen. Kanzaki nimmt die Einladung an, aber niemand ahnt etwas von der geheimen Absicht, weshalb der Seelentröster diese Stadt gewählt hat.

Kritik

Es ist noch gar nicht lange her, da kam der Liebhaber asiatischer Cineastik hierzulande in den Genuss von SABUs melancholischer Todesballade „Mr Long“. Zuvor hatte es nicht jeder Film des 53-jährigen Vielfilmers (18 Filme in 21 Jahren) in die deutschen Lichtspielhäuser geschafft, obwohl der mehrfach preisgekrönte Regisseur unter Filmfreunden einen hervorragenden Ruf genießt. Nicht selten erzählen seine Geschichten – SABU schreibt die Drehbücher zu seinen Arbeiten meist selbst – von Einsiedlern und Außenseitern. So auch in „Mr Long“, dem fiktiven Porträt eines geflüchteten Auftragskillers, der sich in der japanischen Einöde notgedrungen ein zweites Standbein als Suppenkochs aufbaut und ganz nebenbei eine von der Gesellschaft ausgestoßene Prostituierte wieder zurück ins Leben führt. Der Protagonist in „Happiness“, der in Deutschland zwar nach „Mr Long“ ins Kino kommt, jedoch vor diesem gedreht wurde, ist ebenfalls einsam und entgegen des Titels alles andere als glücklich. Gleichwohl ist er der Fähigkeiten des menschlichen Gehirns kundig und hat einen Helm entwickelt, mit dem er bei seinen Mitmenschen gezielt einzelne Erinnerungen hervorrufen kann. Im Hinblick auf sein augenscheinlich ausnahmslos depressives Umfeld wäre solch eine Erfindung hervorragend geeignet, um ihm endlich wieder zu Freude und Zuversicht zu verhelfen. Doch was sich zunächst wie eine Geschichte über einen bewundernswerten Samariter ankündigt, entwickelt sich kontinuierlich zu einer Erzählung über Rache und Genugtuung.

Kanzaki (Masatoshi Nagase) verhilft einem kleinen Mädchen zu schönen Erinnerungen.

Wie man es von SABUs bisherigen Filmen kennt, tritt er auch im Falle von „Happiness“ von Anfang an gezielt auf die Bremse. Die eigentliche Handlung wäre ebenso gut innerhalb der Hälfte der ohnehin übersichtlichen Zeit von gerade einmal 84 Minuten erzählt, wird allerdings bis hin ins mitunter Zähe gestreckt. Diese Temporeduktion hat dabei nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass der Charakter von Hauptfigur Kanzaki besonders ausdifferenziert wäre; im Gegenteil: Trotz der zunächst augenscheinlich so selbstlosen Absicht, mithilfe seines Helms für Glückseligkeit zu sorgen, ahnt man früh, dass hinter dem Verhalten ein ganz anderes Ziel steckt und abseits seines Vorhabens, das sich nach und nach über Rückblenden erschließt, erfährt man über diesen Eigenbrötler ohnehin kaum etwas. Es ist stattdessen vor allem die Atmosphäre innerhalb des Städtchens, die SABU in den langen, kommentarlosen Sequenzen für sich sprechen lässt. Die minimalistische Kameraarbeit, die eine fast schon hypnotische Wirkung entfaltet, gibt einen Einblick in die lethargische Dorfgemeinschaft. Jeder, dem Kanzaki hier über den Weg läuft, scheint von Traurigkeit befallen, die sich einzig und allein mithilfe seines Helmes durchbrechen lässt. Entsprechend krass erscheint da auch der schauspielerische Wechsel von der missmutig-stummen Zurückhaltung hin zum euphorischen Ausbruch.

Leider gelingt es den vielen Nebendarstellern nur bedingt, dieses emotionale Wechselspiel glaubhaft zu transportieren. Dadurch erscheint „Happiness“ mitunter fast karikaturesk und slapstickhaft; etwa wenn Kanzaki in einer zeremonieähnlichen Präsentation den Bewohnern das Aufsetzen des Helmes ermöglicht und die Leute daraufhin zu tanzen beginnen, oder sich plötzlich ihren scheinbar vergessenen Kindern aufdrängen. Das ist so überzeichnet und darstellerisch grobmotorisch, dass es zeitweise unfreiwillig komisch wirkt. Im Hinblick auf die in der zweiten Hälfte deutlich ernsteren Verwicklungen, kommt „Happiness“ so zu einem zweifelhaften Rhythmus, genauso wie der Spagat zwischen den verschiedenen Genres und Tonfällen vor allem aufgesetzt, nie jedoch wahrhaftig wirkt. SABU verhebt sich sichtbar an den großen Ambitionen einer – im wahrsten Sinne des Wortes – multiemotionalen Erzählung und stößt den Betrachter auch deshalb immer wieder vor den Kopf, da er viele Umstände nicht erklärt, sondern sie dem Zuschauer als „gegeben“ vorsetzt. Hinterfragen sollte man all das also nicht, sofern man sich nicht an diversen Ungereimtheiten und wenig nachvollziehbaren Entscheidungen stören möchte.

In Rückblenden erfährt der Zuschauer, was Kanzaki in dieses Dorf trieb.

Die zweite Hälfte von „Happiness“ ist da nicht bloß weitaus dynamischer, sondern durch die Konzentration auf Masatoshi Nagase („Radiance“) und sein nuanciertes Spiel ist in ihrer Beobachtung auch deutlich subtiler. Das trifft nicht unbedingt auf die Auflösung zu, denn letztlich steckt hinter Kanzakis Plan lediglich der Wunsch nach Vergeltung. Gleichermaßen springt Nagase zwischen dem Schildern des Status Quo sowie den direkten emotionalen Folgen von Kanzakis Tat hin und her und begibt sich so – anders als etwa Fatih Akin in seinem Rachedrama „Aus dem Nichts“ – auf Abstand zum Verhalten seiner Figur. Darüber hinaus bezieht er das Verhalten eines weiteren Charakters mit ein, der für den Ausgang der Geschichte von hoher Wichtigkeit ist. SABU lässt es hierfür sogar richtig blutig werden und verhilft „Happiness“ dadurch zu einer gerechtfertigten FSK-Freigabe ab 16, was vor allem daran liegen dürfte, das Gewalt hier völlig unmittelbar und ohne jedwede Form der stilistischen Überhöhung stattfindet. Interessant ist das vor allem im Anbetracht der Tatsache, dass SABU stets vorgibt, seine Geschichte spiele in einer absoluten Realität; sogar die Erklärungen dazu, wie Kanzakis Helm funktioniert, klingen nicht etwa weit hergeholt, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend. Das Fantastische an „Happiness“ wird dem Zuschauer somit im Vorbeigehen untergeschoben; ein interessanter, wenn auch in seiner Drastik durchaus beklemmender Ansatz.

Fazit: „Happiness“ kommt schwer in die Gänge und macht es dem Zuschauer in seiner betont behäbigen Inszenierung nicht leicht, den Ereignissen zu folgen. Für die zweite Hälfte dringt Regisseur SABU in deutlich dynamischere Gefilde vor, doch sowohl der verschlossene Protagonist, als auch die unnatürlich aufspielenden Nebendarsteller halten das Publikum trotz der interessanten Grundidee konsequent auf emotionalem Abstand.

„Happiness“ ist ab dem 30. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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