The Reckoning

„The Descent“-Regisseur Neil Marshall müht sich nach seiner fehlgeschlagenen „Hellboy“-Neuauflage an einem um historischen Kontext bemühten Historienhorror ab, doch das wahre Grauen resultiert in THE RECKONING ganz woanders her. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: The Reckoning (UK 2020)

Der Plot

Es ist das Jahr 1665 und die Pest wütet in England: Nachdem ihr Mann dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen ist, ist die junge Mutter Grace (Charlotte Kirk) ganz auf sich allein gestellt. Als ein schmieriger Gutsherr versucht, sich der vermeintlich hilflosen Witwe aufzuzwingen, weist sie ihn mit Gewalt zurück. Rasend vor Wut verbreitet er im Ort finstere Gerüchte über sie. Die Dorfbewohner sind schnell davon überzeugt, dass die junge Frau eine Hexe ist. Bei Nacht zieht eine Schar von ihnen zu ihrem Hof, nimmt Grace in ihre Gewalt und führt die Unschuldige dem sadistischen Inquisitor Moorcroft vor. Ein erbarmungsloser Prozess mit schier endloser Folter beginnt…

Kritik

Es gibt nicht viel Gutes, was sich über Neil Marshalls Hexenhorrorfilm „The Reckoning“, der seine Deutschlandpremiere bereits im vergangenen Jahr auf dem Fantasy Filmfest feierte, sagen lässt. Aber zumindest die Entstehungsgeschichte dazu ist nicht ganz unspannend. Insbesondere gewisse Details im Hinblick auf die Hauptdarstellerin Charlotte Kirk („How to be Single“), ihres Zeichens auch gleichzeitig die Verlobte des durch „The Descent“ bekannt gewordenen Regisseurs. Im Zuge der Weltpremiere auf dem Fantasia Filmfest in Kanada wurde ein lange im Voraus geplanter Interviewtalk mit Neil Mashall und seiner Hauptdarstellerin abgesagt, nachdem bekannt wurde, dass sich der damalige NBC-Universal-Vize Ron Meyer im Zuge einiger Gerüchte von seinem Amt verabschiedet hatte. Ihr Inhalt: Nach einer mehrere Jahre zurückliegenden (und seiner Aussage nach einvernehmlichen) Affäre mit Charlotte Kirk, soll diese versucht haben, ihn mit Falschinformationen zu erpressen, um dadurch grünes Licht für mehrere ihrer Filmprojekte und der ihres Verlobten zu bekommen. Es ist nicht das erste Mal, das Charlotte Kirk mit derartigen Anschuldigungen in Verbindung gebracht wird. Auch der ehemalige Warner-Boss Kevin Tsujjhara legte sein Amt einst nieder, nachdem geleakte Textnachrichten den Eindruck erweckten, Kirk hätte sich durch eine sexuelle Beziehung mit ihm berufliche Vorteile verschafft. Beide Männer haben ihre Romanzen mit der Schauspielerin nie geleugnet, das Niederlegen ihrer Jobs solle in vorauseilendem Gehorsam stattgefunden haben. Auch von Schweigegeld ist die Rede. Was genau an diesen Geschichten dran ist, wer hier wem schaden will und warum, das wissen wir nicht. Aber es verleiht Kirks Performance in „The Reckoning“ einen interessanten Beigeschmack, wenn diese sich in den knapp 100 Filmminuten als eiserngesichtige Kämpferin gegen das Patriarchat ausgibt.

Mittelalter? Regen? Folter? Das Haar sitzt!

Und zwar als eine solche, die permanent so aussieht, als hätte man sie frisch vom Laufsteg weggecastet. Denn auch wenn Neil Marshall mithilfe von Texttafeln vor und nach dem Film auf die historische Bewandtnis seines Films aufmerksam macht, ist „The Reckoning“ beileibe kein geschichtlich akkurater Film. Das beginnt bereits bei der Ausstattung der Sets und Darsteller:innen. Selbst nach vielen Tagen der grausamen Folter, wobei die Protagonistin alle menschenmöglichen Qualen – vom Auspeitschen bis hin zur gewaltsamen Penetration mit einer Folterbirne – über sich ergehen lassen musste, sitzen Frisur und Make-Up akkurat. Und auch ihr Körpergefühl scheint noch völlig intakt, wenn sie eines Nachts im Verließ von ihrem verstorbenen Ehemann fantasiert und dabei Masturbationsgesten macht, nur Stunden nachdem ihr massive Schmerzen zugefügt wurden. Wann immer Grace zu sehen ist, scheint es Kameramann Luke Bryant („Black Mirror“) nicht etwa darum zu gehen, das Ausmaß ihrer Qualen abzulichten. Stattdessen rückt er die junge Frau selbst in den unangenehmsten Momenten in ein möglichst ansehnliches Licht. Ganz so, als ginge es Neil Marshall letztlich bloß darum, seine eigene Verlobte möglichst ästhetisch abzubilden, aber das ist natürlich nur reine Vermutung… Die Gewaltakte als solches – davon zeugt schon die FSK-Freigabe ab 16 Jahren – finden darüber hinaus ausschließlich im Off statt. Nach der Andeutung einer Foltermethode folgt zumeist der Umschnitt auf das Ergebnis. Auf blutverschmierte Tücher und Laken, woraus man sich zusammenreimen kann, was da in den letzten Stunden wohl passiert sein mag. Natürlich muss es nicht per se schlecht sein, in einem (Horror-)Film auf die Abbildung allzu krasser Gewalt zu verzichten. Gleichsam ist „The Reckoning“ strukturell zu jedem Zeitpunkt ein „Folterfilm“. Von den knapp 100 Minuten folgen über die Hälfte davon dem immer gleichen Ablauf aus „Tag X“-Einblendung, Vorstellung einer neuen Foltermethode, Folter und zu guter Letzt betritt Grace wieder ihre Zelle und wartet darauf, dass es am nächsten Tag so weitergeht. Wer da die Erwartungen hat, der Filmemacher wäre – gerade im Anbetracht seines Vorwerkes „Hellboy – Call of Darkness“ – immerhin einigermaßen hart, der wird hier enttäuscht.

„Selbst nach vielen Tagen der grausamen Folter, wobei die Protagonistin alle menschenmöglichen Qualen – vom Auspeitschen bis hin zur gewaltsamen Penetration mit einer Folterbirne – über sich ergehen lassen musste, sitzen Frisur und Make-Up akkurat.“

Darüber hinaus langweilt „The Reckoning“ nicht nur erzählerisch (sofern man das bei dieser dünnen Handlung überhaupt so nennen kann), sondern auch inszenatorisch. Die von Neil Marshall platzierten Jumpscares, die sich fast ausschließlich aus Graces reißerischen Traumfantasien mit einem sie verführenden Teufel ergeben, sind allzu schnell durchschaut und plump. Alsbald lässt sich schon aus dem Tempo eines Kameraschwenks ablesen, wann die Musik denn wohl als nächstes aufdreht, damit sich das Publikum erschrickt. Apropos Musik: Mit der meint es Komponist Christopher Drake („Tusk“) über weite Strecken sowieso viel zu gut. Seine arg theatralischen Choräle und Instrumentalklänge wären aussagekräftig genug, um zehn Stummfilme auf einmal zu untermalen. Darüber hinaus besitzen die Verantwortlichen hinter der Soundmischung keinerlei Gespür für Lautstärke. Schon während der Eröffnungssequenz, in der wir in Zeitlupe direkt an einem barbarischen Akt der Hexenverfolgung teilhaben, überrennt einen der viel zu laute Score. Keine Ausnahme: Die Dialoge sind außerdem permanent zu leise abgemischt und werden von der aufdringlichen Musik übertönt. Ein bisweilen kaum verständlicher Tonmatsch entsteht. Immerhin verraten einem die Untertitel: Allzu viel versäumt man dadurch ohnehin nicht. Das auf dem Roman „Red Hex“ von Antony Jones und Edward Evers-Swindell basierende Skript, an dem nicht nur Neil Marshall und Charlotte Kirk mitwirkten, sondern auch der Buchautor Evers-Swindell selbst, legen ihren Figuren allenfalls Soap-taugliche Gesprächsfetzen in den Mund, die wahlweise Graces Betonung, sich auf keinen Fall brechen zu lassen, beinhalten, oder das Dagegenhalten der hier allesamt als gewalttätig und bestialisch gezeichneten Männer.

Ein dreckiges Verließ im Mittelalter hatten wir uns irgendwie versiffter vorgestellt…

Da scheinen gewisse historische Vorgaben auch schlicht egal, sofern sie nicht ins filmische Bild passen. So beinhaltet „The Reckoning“ etwa eine Szene, in der Grace von einigen Pestheilern aus ihrer Wohnhütte gezerrt und in Gefangenschaft gesteckt wird. Offenbar schien den Machern der Fakt ausgereicht zu haben, dass ebenjene Doktoren nun mal eine gruselig ausschauende Maske getragen haben, um sie automatisch zur rechten Hand des Teufels zu machen. Medizinische Handlungen sieht man sie jedenfalls nie ausführen. Genauso wenig wie irgendeine andere Person in „The Reckoning“, der aber eigentlich genau während dieser Zeit spielen soll. Sogar in der einführenden Texttafel findet das Thema Pest Erwähnung, doch die Seuche scheint Marshall nicht einmal ein die Atmosphäre unterstützendes Hintergrundrauschen wert gewesen zu sein. Nur sehr vereinzelt sehen wir Pestleichen in den bemerkenswert aufgeräumten Dorfgassen herumliegen und Berührungsängste scheint obendrein auch keiner mit ihnen zu haben. Nein, Neil Marshall kann noch so oft betonen, dass es ihm in seinem Film darum geht, auf das Leid der Frauen zu Zeiten der Hexenverfolgung aufmerksam machen zu wollen. Sein „The Reckoning“ besitzt zu keinem Zeitpunkt einen ernsthaft historischen Anspruch. Und sollte ihn Marshall doch gehabt haben, ist sein Bestreben, ihn filmisch mit einer Horror- und Folterfilmstruktur zu verbinden, grandios nach hinten losgegangen. Letztlich ginge „The Reckoning“ wohl noch am ehesten als eine Art „Mittelalter-Rape-and-Revenge“-Film durch, schließlich erhält die Protagonistin irgendwann doch noch ihre Gelegenheit, sich für ihre Qualen zu rächen. Leider verpasst es Charlotte Kirk jedoch bis dato, Sympathien für ihre leidende Figur schüren. Eineinhalb Stunden lang mit versteinerter (oder besser: mit Make-Up überpinselter) Miene darauf zu verweisen, dass man stärker ist als sein eigener Peiniger, ist selbst für eine Horrorfilmfigur eine allzu schwache Charakterisierung.

„Nein, Neil Marshall kann noch so oft betonen, dass es ihm in seinem Film darum geht, auf das Leid der Frauen zu Zeiten der Hexenverfolgung aufmerksam machen zu wollen. Sein „The Reckoning“ besitzt zu keinem Zeitpunkt einen ernsthaft historischen Anspruch.“

Einen recht ansehnlichen Splattereffekt kann „The Reckoning“ allerdings doch vorweisen. Eingebettet in einen für die restliche Filmhandlung irrelevanten Erzählstrang rund um eine Freundin von Grace sowie ihren gewalttätigen Ehemann, sieht man irgendwann, wie die Visage eines Mannes von einem Kutschrad zermalmt wird. Diese Szene sieht gut aus, der haptische Effekt erinnert an die Hochphase des Splatterkinos der frühen Achtzigerjahre. Und doch sticht dieser Moment derart deutlich aus dem Film heraus, weil er die Widersinnigkeit sämtlicher Komponente in „The Reckoning“ betont. Hier geht es nicht darum, eine durchdachte Geschichte entsprechend zu bebildern, Neil Marshall hatte nicht im Sinn, etwas zu erzählen. Stattdessen wirkt sein Film wie eine Aneinanderreihung von Bildern, die er einfach irgendwann einmal drehen wollte, ganz gleich, ob sie überhaupt in einen einzigen Film passen, oder ob ein solcher Wust lieber doch ungedreht geblieben wäre.

Fazit: Neil Marshalls inhaltlich und tonal fehlgeleiteter Hexenhorror „The Reckoning“ hat nicht bloß eine unsympathische Vorgeschichte, sondern ist noch dazu ein im schlechtesten Sinne ungemütlicher Film, der aus ästhetischer Sicht kaum von laienhaftem Kostümtheater zu unterscheiden ist.

„The Reckoning“ ist ab dem 28. Mai auf DVD, Blu-ray und als VOD erhältlich.

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