Sommerhäuser

In ihrem Regiedebüt SOMMERHÄUSER lässt Sonja Kröner ganz langsam ein Idyll vergiften, bis die unsichtbare Bedrohung zum Greifen nah ist. Ein faszinierender Film jenseits gängiger Konventionen – mehr dazu verrate ich in meiner Kritik.

Der Plot

Im heiß-schwülen Jahrhundertsommer des Jahres 1976 kommen drei Generationen einer Münchener Großfamilie anlässlich der Beerdigung von Oma Sophie zusammen, um die freie Zeit im idyllischen Gemeinschaftsgarten zu verbringen. Die Erwachsenen diskutieren über den Verbleib des Grundstücks – während die Einen verkaufen wollen, wollen die Anderen, dass es im familiären Besitz bleibt. Tante Ilse (Ursula Werner) freundet sich mit ihrer sympathischen Nachbarin Frau Fischer (Grischa Huber) an, während die Kinder Jana (Emilia Pieske), Lorenz (Elliot Schulte) und Inga (Anne-Marie Weisz) sich auf Wespenjagd begeben oder im selbstgebauten Baumhaus abhängen. Als das Radio Nachrichten über ein vermisstes Mädchen überträgt, legt sich die Ungewissheit über das sommerliche Idyll. Ob der unheimliche Mann vom Nachbargrundstück etwas damit zu tun hat?

Kritik

Jeder kennt das Gefühl des „Hier stimmt was nicht!“ – diese nicht greifbare Spannung, deren Herkunft man sich zunächst nicht erklären kann, die sich jedoch wie lähmend über eine eigentlich harmlose Szenerie zu legen vermag. Rückblickend ergibt dann meist alles einen Sinn, haben die eiernden Zahnräder schließlich das ganze System zum Erliegen gebracht. So auch in „Sommerhäuser“, dem faszinierenden Spielfilmdebüt von Sonja Kröner, die uns darin in den Jahrhundertsommer 1976 entführt. Geprägt von der latenten Bedrohung einer sukzessive um sich greifenden Wespenplage, erschüttert von den Morden des sogenannten „Kannibalen von Duisburg“, der 1976 zwischen acht und 14 Menschen ermordete und anschließend aß, und nicht zuletzt angetrieben von den persönlichen Spannungen innerhalb der hier im Mittelpunkt stehenden Großfamilie, ist die vermeintliche Idylle in dem Münchener Gartenparadies von „Sommerhäuser“ nur Fassade. Am Ende mag man in Kröners Film vielleicht einen sich anschleichenden Albtraum erkennen; dann nämlich, wenn man weiß, worauf diese weitestgehend ohne eine Standarddramaturgie auskommende Geschichte hinaus will. Im Moment des Erlebens hat das Publikum allerdings unmittelbar Teil am ganz besonderen Flair der späten Siebzigerjahre, sitzt gespannt vor diesem brodelnden Schnellkochtopf, der jeden Moment hochzugehen droht und kann gleichermaßen genießen, in Erinnerungen schwelgen und sich im Anbetracht der teils banalen Streitigkeiten sogar richtig amüsieren.

Die Sommerhäuser bilden das Feriendomizil für drei verschiedene Generationen einer Familie.

„Sommerhäuser“ ist kein autobiographischer Film. Das ginge auch gar nicht. Zum Zeitpunkt des Jahrhundertsommers 1976 war die erst drei Jahre später geborene Regisseurin schließlich noch gar nicht auf der Welt. Trotzdem lebt ihr Film von Beobachtungen, die so nur aus dem Leben gegriffen sein können; ein Drehbuch, eine Inszenierung, einen Plan – all das mag es gegeben haben, doch im Falle von „Sommerhäuser“ ist das – im besten Sinne – nicht erkennbar. In Sonja Kröners Film dürfen Figuren so sprechen, wie echte Menschen nun mal sprechen, die Regisseurin lässt sie ganz normale Dinge tun und ist akribisch genau in der Inszenierung kleiner, alltäglicher Details. Das beginnt bei der Darstellung davon, wie Kinder ihren Kuchen essen, wie sich die Älteren mit den Jüngeren kabbeln, findet sich in einer herrlich subtil gezeichneten, aufkeimenden Frauenfreundschaft und geht schließlich über in die authentische Nachzeichnung aufbrechender Konflikte. Doch anders als es etwa ein auf Ähnliches spezialisierter Michael Haneke („Happy End“) sonst gern handhabt, kommt bei Sonja Kröner immer wieder zum Vorschein, dass hinter all dem keine Boshaftigkeit steckt. „Sommerhäuser“ spielt zwar mit der vorgegaukelten Harmonie, mit deren Hilfe die drei Generationen Familie hier weitestgehend friedlich zusammen den Sommer verbringen wollen, gleichwohl steckt dahinter nicht das Kalkül, all das später möglichst wirkungsvoll in sich zusammenbrechen zu lassen. Kröner fokussiert weder eine persönliche Demaskierung, noch einen emotionalen Knalleffekt (letzteren gibt es zwar, ereignet sich aber ganz anders, als es das bedrohliche Szenario vermuten lässt). Stattdessen beobachtet sie eingefahrene Marotten von gestellter Höflichkeit und unterdrückter Aggression und ist dabei stets interessiert daran, wie ihre Figuren damit umgehen.

Damit das gelingt, begibt sich Kröner ganz nah an ihre Figuren heran und lässt viele Szenen einfach unkommentiert für sich stehen, um ihren Charakteren komplexe Profile zu verleihen. In ihrem Umgang miteinander erkennt man meist schon die Spleens und Eigenheiten sämtlicher Familienmitglieder, ohne dass sie von ihnen selbst oder Außenstehenden zusätzlich ausformuliert werden müssen. „Sommerhäuser“ fließt wie intuitiv von Szene zu Szene; keine von ihnen ließe sich im Nachhinein als besonders prägnant hervorheben, da sie sich allesamt so perfekt ins Gesamtkonstrukt des Films einfügen. Wirkt zunächst noch der Fund eines Wespennestes wie der Höhepunkt dieses ansonsten so besonnen erzählten Films, da hier auf einmal alle Charaktere in einer Szene zusammen zu sehen sind und noch dazu hysterisch von A nach B rennen, erkennt man erst im Nachhinein, dass auch sie bloß Teil eines großen Ganzen ist. Wie die Familie das Wespennest entdeckt und beseitigt, ist letztlich genauso wichtig, wie ein bemüht intimer Moment zwischen der alleinerziehenden Mutter Gitti (Mavie Hörbiger) und ihrer Tochter Inga, als diese verzweifelt versucht, ihren Schützling in einem Anflug aus Fürsorge die Nägel zu lackieren. In jeder Sekunde dieses familiären Kaleidoskops aus Spannungen, Zusammengehörigkeitsgefühl und ehrlicher Harmonie stecken Unsummen an Beobachtungen, aus denen sich die Faszination dieses Familiengefüges nach und nach entschlüsselt – nur nicht, woher da Gefühl kommt, dass hier noch etwas Großes passieren wird.

Gitti (Mavie Hörbiger) versucht ihrer Tochter Inga (Anne-Marie Weisz) zu erklären, dass ihr Vater kein Interesse an ihr hat.

Dass dieses Etwas mit den Kindern zu tun hat, bereitet die auch für das Skript verantwortliche Sonja Kröner häppchenweise vor, indem sie subtile Andeutungen von Gefahr streut: Die Hängebrücke zwischen Baum und Baumhaus hat nur ein provisorisches Geländer, die Wespen mögen für die Kleinen noch so faszinierend sein, doch gerade in Scharen werden sie schnell zur Gefahr und über allem schwebt das Wissen darum, dass in der Nachbarschaft ein Mädchen verschwunden ist. Dass dann auch noch ein einsiedlerischer Künstler im Nachbarsgarten wohnt, der sein Grundstück mit Puppenteilen dekoriert hat, beflügelt nicht bloß die Fantasie der Kinder, die in dieser unverschämt schönen Gartenkulisse eigenständig auf Gaunerjagd gehen – ganz stilecht mit Walkie Talkie und Wasserpistolen. Während sich die Eltern einerseits auf eine Auszeit freuen und ihre Kinder gern in dieser Idylle spielen lassen, braucht es nur wenige Minuten ohne ein Geräusch der Kleinen und Unsicherheit macht sich breit; ganz so, als dürfte man sich selbst in seinem eigenen Garten niemals sicher sein. Bis zur bitter-zynischen Auflösung der Szenerie, die das Geschehen rückblickend in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt, erhält der Zuschauer aber in erster Linie Gelegenheit, trotz dieser nicht greifbaren Gefahr Teil einer Zeit zu sein, die man in ihrer Unbeschwertheit vermisst. Wasserschlachten, Plantschen im Pool, selbst gebaute Wasserrutschen und Kuchenessen im Garten, ohne den Druck, all das bei Twitter und Facebook posten zu müssen – der außerdem wunderschön intim gefilmte (Kamera: Julia Daschner) „Sommerhäuser“ ist ein wahrhaft nostalgischer Film.

Fazit: Ein Paradies mit Widerhaken: Mit ihrem fabelhaften Regiedebüt „Sommerhäuser“ gelingt Sonja Kröner ein flirrend-romantisches Nostalgiedrama mit diffusen bedrohlichen Untertönen, das sich in den letzten zehn Minuten all seiner aufgebauten Spannung entlädt wie ein schwüler Sommertag, der in ein krachendes Sommergewitter mündet.

„Sommerhäuser“ ist ab dem 26. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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