Die beste aller Welten

Das österreichische Drama DIE BESTE ALLER WELTEN wurde in diesem Jahr auf der Berlinale uraufgeführt. Darin geht es um das Leben eines Jungen, der gemeinsam mit seiner Mutter im Drogenmilieu aufwächst. Ein harter, aber umso sehenswerterer Film. Mehr dazu in meiner Kritik.

Der Plot

Lagerfeuer, Feuerwerkskracher, Abenteuergeschichten: Der siebenjährige Adrian (Jeremy Miliker) erlebt eine auf den ersten Blick harmonische Kindheit im außergewöhnlichen Milieu einer Drogenszene am Rand einer österreichischen Stadt, und mit seiner liebenswerten Mutter Helga (Verena Altenberger) zwischen Fürsorglichkeit und Drogenrausch. Wenn er groß ist, möchte er unbedingt Abenteurer werden. Trotz aller Schwierigkeiten ist es für ihn eine behütete Kindheit, die beste aller Welten. Er ist kein unglückliches Kind, Helga ist eine liebevolle Mutter, spielt mit ihm Fußball, erzählt ihm Zaubermärchen, bestärkt ihn. Bis sich die Außenwelt nicht mehr länger aussperren lässt. Helga weiß, sie muss clean werden, um ihren Sohn nicht für immer zu verlieren.

Kritik

Es gibt einen Moment in „Die beste aller Welten“, in dem wird aus einem herkömmlichen Drogendrama ein niederschmetterndes Zeitdokument: Dann nämlich, wenn nach der vollständigen Handlung der Name des Regisseurs eingeblendet wird. Adrian Goiginger steht da – und damit der Name des Jungen, dessen Kindheit wir in den vergangenen 100 Minuten verfolgt haben. Heute ist er 26 Jahre alt und hat mit „Die beste aller Welten“ sein eigenes Leben verfilmt. Und somit all das durchgemacht, was die phänomenale Schauspiel-Neuentdeckung Jeremy Miliker in seinem Debüt (!) hier hat durchleiden müssen. Für Goiginger ist dieses Projekt jedoch kein einmaliger Ausflug in die Filmwelt. Nach seiner Kindheit in der österreichischen Drogenszene studierte er Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg und gründete gemeinsam mit Freunden eine Filmproduktionsfirma in Salzburg. Trotzdem ist „Die beste aller Welten“ Goigingers Herzensprojekt, angetrieben durch den Tod seiner schwer drogenabhängigen Mutter, die ihm allen schwierigen Voraussetzungen zum Trotz eine weitestgehend unbeschwerte Kindheit ermöglichte. Goigingers Liebe und Respekt für seine Mutter ist dem Film anzumerken. „Die beste aller Welten“ ist gleichermaßen hartes, Augen öffnendes Dramakino und eine bittersüße Liebeserklärung an die Frau, die ihn aufgezogen hat. Das Endergebnis ist ebenso radikal wie tottraurig, jedoch nie hoffnungslos.

Zwischen Helga (Verena Altenberger) und Adrian (Jeremy Miliker) passt kein Blatt Papier.

Die Thematik ist eigentlich eindeutig – und wird in vielen Filmen dieser Couleur entsprechend einseitig behandelt. Denn (harten!) Drogen, deren Beschaffung und Verbrauch sind abseits harmloser Kiffer-Komödien eben selten etwas Positives abzugewinnen. Ob „Requiem for a Dream“, „Trainspotting“ oder, um ein deutsches Beispiel zu nennen, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ – sie alle thematisieren in erster Linie die Abwärtsspirale aus Sucht und Konsum, die den Konsumenten nach und nach zerstört. Und das ist auch gut so, denn Nachahmung zu riskieren, kann schließlich kaum im Sinne der Verantwortlichen sein. Dasselbe gilt zwar auch für „Die beste aller Welten“, doch anders als letztgenannte Beispiele ist das österreichische Drama ein Film voller Widersprüche, der sich dieser Tatsache zum einen bewusst ist und sie auf der anderen Seite für sich arbeiten lässt. Das gelingt, indem hier die Figur des kleinen Adrian im Mittelpunkt steht, aus dessen Sicht wir das missverständliche Verhalten der Erwachsenen erleben. So erleben wir auf der einen Seite ganz naiv (und ohne es zu reflektieren) mit, wie sich der Drogenkonsum auf Adrians Mutter Helga auswirkt und sind als Zuschauer auf der anderen Seite zu Reflexion sehr wohl in der Lage. „Die beste aller Welten“ wird so zum Wechselspiel zwischen bitterer Realität und dem schönen Schein vermeintlich heilbringender Rauschmittel – ein erzählerischer wie inszenatorischer Kniff, durch den sich die dramatische Fallhöhe in schier unerträgliche Höhen schraubt.

So kann man als Zuschauer Szenen einer ausgelassenen Familienfeier, eines prächtigen Feuerwerks oder eines gemeinsamen Abstechers in die heimische Küche ehrlichen Optimismus abgewinnen – schließlich erleben wir aus Adrians Augen, was Mutter Helga alles unternimmt, um ihren Sohn gleichermaßen von der harten Realität abzuschirmen, ebenso wie sie all ihre Kräfte zusammensammelt, um ihn in seiner eigenen kleinen Welt – der besten von allen – eine wohlbehütete Kindheit zu ermöglichen. Für Adrian ist das kein Spiel, sondern Realität; der Drogenkonsum findet hinter für ihn verschlossenen Türen statt und wenn Helga ihrem Sohn sagt, dass er aus der einen Flasche im Kühlschrank nicht trinken dürfe, weil hier Medizin für die Erwachsenen drin sei, stellt Adrian auch das nicht infrage – warum sollte er? Doch dann sind da jene Szenen, in denen der erwachsene Zuschauer den tragischen Zynismus hinter der Fassade bemerkt. Und in diesen Momenten ist „Die beste aller Welten“ fast unerträglich. Von halbherzigen Entzügen über den Versuch, Adrian im Rahmen einer zweifelhaften Mutprobe zum Drogenentzug zu überreden bis hin zu den fahrigen Erklärungen Helgas vor dem Betreuer des Jugendamts: Hier wünscht man den kleinen Jungen allen positiven Erziehungsansätzen zum Trotz in die Obhut einer Pflegefamilie und erlebt die Zerrissenheit seiner Mutter am eigenen Leib. Dass diese ihn liebt, steht zu keinem Zeitpunkt außer Frage. Doch der Film wirft die Frage auf, ob Liebe zu jeder Zeit alles entschuldigen kann. Eine Frage, deren Beantwortung sich Adrian Goiginger wohlweislich entzieht, indem er einfach nur das schildert, was war.

Die beste aller Welten gerät aus den Fugen…

Die Geschehnisse in „Die beste aller Welten“ erleben wir als Zuschauer nicht bloß durch die unmittelbare Erzählperspektive hautnah mit, durch die wackelige Handkameraführung (Paul Sprinz, Yoshi Heimrath) gewinnt der Film zusätzlich einen dokumentarischen Anstrich. Auch die Dialoge erscheinen in ihrer Lebensnähe und Improvisation wie aus dem echten Leben gegriffen, was von den ebenso unbefangenen wie leidenschaftlichen Performances von Jeremy Miliker und Verena Altenberger („Die Hölle – Inferno“) unterstrichen wird. Beim internationalen Filmfestival von Moskau gewann Altenberger dafür den Preis für die beste Schauspielerin; ihre Darbietung ist von einer Wucht, die dem Zuschauer in Mark und Bein übergeht. Ihr gelingt es, den inneren Kampf ihres Charakters so komplex auf die Leinwand zu bringen, dass sie ohne Stigmatisierung gleichermaßen Täterin wie Opfer ist. Ihre Helga ist ein Mensch, der sich kaum in eine Schublade einordnen lässt, dem ebenso Bewunderung gebührt, wie Mitgefühl und der vor Vorwürfen dennoch nicht gefeit ist. Um das Gefühlsleben Adrians zusätzlich zu visualisieren, entschieden sich die Macher indes für eine zweifelhafte Idee: Eine Handvoll Szeneneinschübe zeigen ein großes Monster als Veranschaulichung von Adrians inneren Dämonen, was gerade im Finale wichtig ist, um gewisse Entscheidungen seiner Figur greifbarer zu machen. Wirklich gebraucht hätte es das allerdings nicht – ein winziger Wehrmutstropfen in einem ansonsten beispielhaft wahrhaftigen Film.

Fazit: An dem autobiographischen Filmdrama „Die beste aller Welten“ hat man schwer zu knabbern. So authentisch und lebensecht inszeniert Regie-Newcomer Adrian Goiginger seine eigene Kindheit, die dem Zuschauer einen emotionalen, fast traumatisch-intensiven Einblick hinter die Kulissen der österrichischen Drogenszene liefert. Jungdarsteller Jeremy Miliker spielt Weltklasse – genauso wie der Rest.

„Die beste aller Welten“ ist ab dem 28. September in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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