Schwarz Weiss Bunt

Der österreichische Coming-of-Age-Film SCHWARZ WEISS BUNT zeigt Newcomer und Laien beim Improvisieren. Ob daraus ein Film mit Aussage und emotionaler Wirkung entstand, verraten wir in unserer Kritik.

OT: Schwarz Weiss Bunt (AT 2020)

Der Plot

Matilda (Clara Diemling) ist jung und unsicher: Sie wird allmählich erwachsen und daher wiederholt mit dem Verlust ihrer jugendlichen Leichtigkeit konfrontiert. Und zugleich ist sie noch immer jugendlich-sinnsuchend gestimmt. Bei dieser Suche nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens realisiert sie in Folge einiger Begegnungen die Notwendigkeit, tiefer zu gehen und sich selbst zu hinterfragen. Innerhalb weniger Tage lernt Matilda, Widersprüchen jeglichen Wortsinnes mit neuer Offenheit zu begegnen und starre Selbstverständnisse zu hinterfragen – auch starre, vermeintliche Selbsterkenntnisse. Und so werden Bekanntschaften zu Freundschaften und fremde Begegnungen  zwingen sie dazu, ihren Horizont zu öffnen…

Kritik

Die österreichische Coming-of-Age-Geschichte „Schwarz Weiss Bunt“ ist das Langfilmdebüt des Autoren und Regisseurs David Moser, der es mit seinem nicht einmal 90 Minuten langen, weitestgehend improvisierten Film unter anderem in die offizielle Auswahl des Richmond International Film Festivals, des Blow-Up in Chicago und des International Queer Film Festivals in Merlinka geschafft hat. Auch eine Nominierung beim Rome Independent Cinema Festival war „Schwarz Weiss Bunt“ vergönnt. In Mosers eigenen Worten dreht sich „Schwarz Weiss Bunt“ darum,  wie es ist, eine „eigene Stimme und ein klares Selbstbild zu entwickeln“. „Selbstfindung und in weiterer Folge Selbstliebe sind wesentliche Bestandteile für das Wohlbefinden von uns allen – persönlich und als Gesellschaft. Um uns selbst zu akzeptieren, müssen wir uns zuerst hinterfragen und kennenlernen“, heißt es in einem kurzen, einordnenden Statement des Filmemachers.

Matilda (Clara Diemling) steht ein aufregender Sommer bevor.

Dieses thematische Element kommt insbesondere in der zweiten Filmhälfte zum Tragen – und angesichts der Präsenz von „Schwarz Weiss Bunt“ auf dem International Queer Film Festival ist es wohl nicht zu viel verraten, dass eine dieser Selbsterkenntnisse Matildas sexuelle Orientierung ist: In Folge eines sonnigen Nachmittags mit ihrer Studienkollegin Aurora (Elisabeth Kariettis) stellt sich die Protagonistin dieses Dramas die Frage, ob sie sich womöglich (auch) zu Frauen hingezogen fühlt. Gleichzeitig muss hier aber auch vermerkt werden, dass es Sinn ergibt, weshalb „Schwarz Weiss Bunt“ als Coming-of-Age-Film über das Finden eines klaren Selbstbilds positioniert wird – und nicht etwa als Coming-out-Drama. Denn Matildas Gedanken rund um und Gefühle für Aurora sind nur ein Puzzleteil von vielen, aus denen sich das in „Schwarz Weiss Bunt“ skizzierte Wochenende voller Überlegungen zusammenstellt. Matilda gerät nach einer Begegnung mit einem neugierigen, charismatischen YouTuber (Sebastian Klemm-Lorenz), der für seinen Kanal Wildfremden tiefgreifende Fragen stellt, in einen ständig neben ihrem vermeintlich alltäglichen Wochenende laufenden Gedankenprozess über ihre Identität, ihren Charakter und ihre Zukunft. Sie sinniert beispielsweise darüber, ob der Berufszweig Erzieherin etwas für sie wäre, sowie darüber, was sie sich von ihrem Leben verspricht.

„Matilda gerät nach einer Begegnung mit einem charismatischen YouTuber, der für seinen Kanal Wildfremden tiefgreifende Fragen stellt, in einen ständig neben ihrem vermeintlich alltäglichen Wochenende laufenden Gedankenprozess über ihre Identität, ihren Charakter und ihre Zukunft.“

Doch ein weiteres Motiv von „Schwarz Weiss Bunt“ ist die wiederholt implizierte Beobachtung dessen, wie skurril und unvorhersehbar es ist, welchen Menschen wir uns wann in welcher Situation öffnen: „Schwarz Weiss Bunt“ ist eine Reihe an Sequenzen, in denen Personen sich unerwarteterweise öffnen, still und schulterzuckend einen Augenblick verstreichen lassen, in dem sie sich hätten öffnen können, oder bei situativem Smalltalk in ein vielsagendes Statement schlittern. Womöglich ist diese Struktur der Dialoge in „Schwarz Weiss Bunt“ (ebenso wie der zuweilen matschige Ton) teils Nebenprodukt des Improvisation hochleben lassenden Produktionsprozesses – ein improvisierter Film in dem nie auch nur eine einzige Figur etwas Neues über sich enthüllt wäre schließlich arg monoton.

„Schwarz Weiss Bunt“ lebt von den improvisierten Dialogen und dem intuitiven Spiel der Darsteller:innen.

Doch ganz gleich, ob dieses Motiv unvermeidlicherweise in den Film gesickert ist oder sehr wohl (unterbewusst) von Regie und Cast in ihn hineingelegt wurde: Es ist ein sehr reizvolles, zum Nachdenken anregendes Element. Denn die ebenso natürlich vom Cast geführten wie lebensnah ablaufenden Gespräche in „Schwarz Weiss Bunt“ ergeben in ihrer Gesamtheit eine entlarvende Erkenntnis: Wenn Matilda einem Fremden ein offenes Gespräch verspricht und später mehr über einen Jungen erfährt, indem sie sich seinen YouTube-Kanal anschaut, als durch ein Auge-in-Auge-Gespräch mit ihm… Und wenn sie sich ihre Gefühle für Aurora erst so richtig eingesteht, wenn ihre Freundinnen sie mit kichernder Positivität durchbohren, ob sie „attracted“ ist… Dann ergibt sich das Bild, dass (Halb-)Anonymität und der Überraschungseffekt mehr Wahrheit entlocken als lang gehegte, wohl etablierte zwischenmenschliche Beziehungen. Statt dies aber als Grundlage für Medienpessimismus der Marke „Wieso sagen wir einer Kamera freiwillig mehr als unseren besten Freunden?“ zu nutzen, behält „Schwarz Weiss Bunt“ einen (perfekt zur Protagonistin passenden) vorsichtigen Grundoptimismus bei: Matilda mag etwas orientierungslos sein, doch sie hat auch ein sonniges Gemüt und nimmt den Moment so, wie er kommt. Und getreu der von Clara Diemling munter gespielten, dennoch meistens nur reagierenden, statt agierenden Junggesellin, anhand derer Erfahrungen und Begegnungen sich der ganze Film aufzieht, strahlt auch ihre Geschichte ein „Lebe den Augenblick“-Gefühl aus. Das gelingt fank einer lockeren Regieführung, einer mit den Figuren mitgehenden, nah an sie heranrückenden, trotzdem niemals rau-auffällig werdenden Kamera und einer natürlichen, einladenden Lichtsetzung.

„Es ist ein sehr reizvolles, zum Nachdenken anregendes Element. Denn die ebenso natürlich vom Cast geführten wie lebensnah ablaufenden Gespräche in „Schwarz Weiss Bunt“ ergeben in ihrer Gesamtheit eine entlarvende Erkenntnis.“

Somit gibt diese Coming-of-Age-Story charmant-beiläufig, ohne je die Moral dieses Stoffes klobig auszuformulieren, einen Antwortvorschlag auf seine lebenssinnsuchenden Fragen. Und darüber hinaus macht dieser improvisierte, dennoch Struktur und Kontur aufweisende Film neugierig darauf, was Moser und Diemling als nächstes tun werden.

Fazit: Sei dir selbst treu, sei ehrlich zu dir, und genieße den Moment – „Schwarz Weiss Bunt“ ist ein improvisiertes, leichtfüßiges Coming-of-Age-Drama, das uns an einem vermeintlich normalen, und doch so bewegenden Wochenende einer Sich- und Sinnsuchenden teilhaben lässt.

„Schwarz weiss bunt“ soll voraussichtlich 2021 in die deutschen Kinos kommen.

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