Kurz und schmerzlos

Fatih Akins Langfilm-Regiedebüt KURZ UND SCHMERZLOS kehrt in ausgewählte Kinos zurück. Wir verraten euch, wie sich das Drama 22 Jahre nach seiner Erstaufführung schlägt und erklären euch die Faszination des Films in unserer Kritik.

OT: Kurz und schmerzlos (DE 1998)

Der Plot

Die Freunde Gabriel (Mehmet Kurtulus), Costa (Adam Bousdoukos) und Bobby (Aleksandar Jovanovic) sind ein eingeschworenes Team, das sich in Hamburgs Kleinkriminellenszene gegenseitig den Rücken deckt. Und es gibt für sie derzeit mehrfach Grund zum Feiern: Gabriel wird kurz vor der Hochzeit seines Bruders auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen. Er scheint mit der Zeit reifer geworden zu sein und nimmt nun einen redlichen Job als Taxifahrer an. Bobby wiederum ist mit Alice (Regula Grauwiller) zusammen, die mit Gabriels Schwester Ceyda (Idil Üner) einen Juwelierladen betreibt. Ceyda, die Freundin Costas, hält sich derweil noch immer mit kleinen Diebstählen und Gaunereien über Wasser. Als sich Ceyda und Costa trennen, stellt das die Freundschaft des Trios auf eine harte Probe. Und dann will Bobby auch noch in die organisierte Kriminalität einsteigen – und Gabriel und Alice kommen sich näher …

Kritik

Der Hamburger Filmemacher Fatih Akin begann seine Karriere bereits im Alter von 21 Jahren. Nach einer Reihe von Kurzfilmen wagte er 1998 mit 25 den Sprung in die Langform: Mit dem von ihm geschriebenen und inszenierten Kleinkriminellendrama „Kurz und schmerzlos“ entführte Akin 1998 das Publikum nach Hamburg-Altona, genauer gesagt in den Subkosmos dort agierender (Ex-)Kleinkrimineller mit Migrationshintergrund. Im Mittelpunkt von „Kurz und schmerzlos“ stehen der Türke Gabriel, der Serbe Bobby und der Grieche Costa – sowie die Verführung durch die albanische Mafia. Blickt man im Jahr 2020 auf „Kurz und schmerzlos“ zurück, ist Akins Darstellung des Hamburger Kleinkriminellenmilieus und des Subkosmos aus türkischen, griechischen und serbischen Migrantenfamilien zwar gelungen, aber nicht weiter auf herausragende Weise auffällig. Auch wenn vor allem Schauspieltalente mit türkischen Wurzeln heute noch vollkommen zurecht beklagen, viel zu oft als fremd oder kriminell oder fremd und kriminell besetzt zu werden: Die Klischeehaftigkeit, mit der türkdeutsche Menschen im heutigen TV und Kino dargestellt werden, ist längst nicht mehr so plump wie noch in den 1990er-Jahren.

Gabriel (Mehmet Kurtulus) wurde aus dem Gefängnis entlassen.

Aber wenn wir uns kurz zurückversetzen in das deutsche Filmklima, in dem „Kurz und schmerzlos“ erschienen ist, so war Akins Langfilm-Regiedebüt durchaus eine kleine Revolution: Die variierenden kulturellen Einflüsse, die die drei Hauptfiguren geformt haben, sowie ihre Positionen zu unterschiedlichen Traditionen (die sie mal hinnehmen, mal feiern, mal hinterfragen) ersetzen hier keine Charakterisierung. Gabriel, Costa und Bobby sind nicht „Der Türke“, „Der Grieche“ und „Der Serbe“, und es wird auch nicht als verwunderlicher, bemerkenswerter Frieden zwischen sich „traditionell“ hassenden Menschen dargestellt, dass Gabriel und Costa sich verstehen. Sie definieren sich nicht primär über die Heimatländer ihrer Vorfahren und ebenso wenig versteht sich „Kurz und schmerzlos“ als „Multikulti-Drama“, was 1998 bei dieser Figurenkonstellation sonst bei vielen Regisseuren geworden wäre. Stattdessen ist „Kurz und schmerzlos“ auf thematischer Ebene einfach ein Drama über Freunde, die sich mit einem Bein im kriminellen Milieu befinden – und gleichzeitig ist es ein Kleinkriminellendrama, das die kulturellen Hintergründe seiner Figuren ernsthaft, sensibel und konstant-feingliedrig berücksichtigt. Zugespitzt gesagt: Es geht nicht um Türken, Serben und Griechen, es wird mit Türken, Serben und Griechen erzählt. Und das war für das deutsche Kino 1998 keine Selbstverständlichkeit.

„Es geht nicht um Türken, Serben und Griechen, es wird mit Türken, Serben und Griechen erzählt. Und das war für das deutsche Kino 1998 keine Selbstverständlichkeit.“

Aber was ist, wenn man „Kurz und schmerzlos“ nicht aus einer historischen, bewundernden Perspektive betrachten möchte, sondern einfach aus dem Heute heraus für sich stehend als Milieu-Unterhaltungsfilm? Dahingehend ist „Kurz und schmerzlos“ durchaus anzumerken, dass es sich hier um ein schmal budgetiertes deutsches Debüt aus den späten 90er-Jahren handelt: Ästhetisch ist Akins erster Langfilm noch etwas unbeholfen, mit sehr fernsehesker Lichtsetzung sowie einer etwas matschigen Soundabmischung. Was Akin aber schon damals verstand, war es, die Schauplätze so zu nutzen, dass sie stumm die Erzählung verstärken: Was mit einem grünlich-güldenen, hellen Hochzeitsfest in einem großen, freien Festsaal seinen Glanzpunkt erreicht, steigt sukzessive hinab in immer verwinkeltere, engere Räume, wodurch die Sackgasse von einem Lebensweg symbolisiert wird, in die sich die Protagonisten manövriert haben.

Aleksandar Jovanovic ist Bobby. Und Bobby hat ein Problem.

Das Gold dieses Films ist aber das Ensemble: Mehmet Kurtuluş, mit dem Akin später auch „Gegen die Wand“ drehen sollte, Aleksandar Jovanovic („Steig. Nicht. Aus!“), Adam Bousdoukos („Der goldene Handschuh“), Regula Grauwiller („Süßer September“) und İdil Üner („Der große Schwindel“) spielen ihre Rollen vollkommen unaffektiert, mit einer schwer zu greifenden, subtilen Verletzlichkeit und als Individuen, die zwar von ihrem Umfeld beeinflusst, nicht aber so intensiv geprägt sind, dass sie keine eigenen Entscheidungen mehr treffen könnten.

Fazit: „Kurz und schmerzlos“ ist ein damals wie heute sehenswertes Debüt, das Akins Feingliedrigkeit in der Skizzierung von Traditionsräumen und Milieus schon vorwegnahm. Akins ästhetisches Geschick ist dem Drama, das 1998 heute als selbstverständlich wahrgenommene Vorarbeit in der Darstellung von Migrantenkindern leistete, aber noch nicht anzumerken.

„Kurz und schmerzlos“ erfährt seine deutschlandweite Wiederaufführung ab dem 8. Oktober 2020 sowie im Rahmen der Hamburger Kinoveranstaltung „Eine Stadt sieht einen Film“ am 4. Oktober.

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