Inception

Weil Christopher Nolans „Tenet“ verschoben wurde, bringt Warner Bros. noch einmal INCEPTION auf die große Leinwand. Oder einfach, weil er dieses Jahr 10 Jahre alt wird. Anlässlich dessen blicken wir in unserer Kritik auf den Traum-im-Traum-Thriller zurück…

OT: Inception (USA/UK 2010)

Der Plot

In einer nahen Zukunft hat sich eine neue Form der Kriminalität gebildet: Durch eine neuartige Technologie wurde es möglich, Träume nicht nur zu teilen, sondern auch feindlich die Träume Anderer zu übernehmen. Gerissene Kriminelle nutzen diese Technologie, um im Unterbewusstsein ihrer Ziele zu stöbern und wertvolles Wissen zu extrahieren. Ein legendärer Meister dieses Fachs ist Dominick Cobb (Leonardo DiCaprio), der in seiner Heimat allerdings wegen eines Verbrechens gesucht wird, das er beteuert, nie begangen zu haben. Daher ist es ihm unmöglich geworden, seine Kinder zu sehen. Der einflussreiche Großindustrielle Saito (Ken Watanabe) macht Cobb eines Tages jedoch ein moralisch fragwürdiges, zugleich höchst verführerisches Angebot: Er soll in den Verstand seines Konkurrenten Fischer (Cillian Murphy) eindringen. Nicht, um eine Extraktion zu vollziehen, sondern um in Fischers Kopf den hartnäckigsten Parasiten einzupflanzen, den es gibt: Eine Idee. Die Idee, sein Imperium zu zerschlagen, so dass Saito allein auf weiter Flur ist. Wenn Cobb dies gelingt, lässt Saito seine Beziehungen spielen, um Cobbs Sorgen aus dem Weg zu räumen. Cobb kann nicht widerstehen – er stellt ein Team zusammen, um dieses letzte Ding durchzuziehen …

Kritik

In Mitten der Architektur des Verstandes betrügen, mogeln, kämpfen, fliehen und flehen ein machthungriger Auftraggeber, ein Meisterverbrecher mit tragischer Vergangenheit, seine Crew aus charismatischen Halunken und eine staunende Novizin im Metier dieser Schufterei. Nicht bloß auf einer Ebene. Sondern auf mehreren. Das gilt für die Handlung, wie auch für den Film als Gesamtkunstwerk. An der Oberfläche gekratzt, ist Christopher Nolans „Inception“ schlicht einfallsreiche sowie kostspielige Unterhaltung, die vor zehn Jahren neue Maßstäbe gesetzt hat und heute noch so aussieht wie gerade erst erträumt. An dieser Oberfläche dienen die Träume im Traum, den Cobb und seine Crew ersinnen, um Fischer zu manipulieren, einem reinen Schauwert: Wie kann ein Regisseur und Autor wie Christopher Nolan, zu dessen Lieblingsfilmen stilvoller Popcornbombast wie „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ gehört, der zugleich aber vom kühlen Intellektuellen Stanley Kubrick und dem spirituellen Andrei Tarkovsky beeinflusst wurde, eine spektakuläre Sci-Fi-Ganovenposse kreieren?

Leonardo DiCaprio in einer seiner bekanntesten Rollen.

Indem Nolan’s acht nicht nach einem Einbruch zu einem Versteck fliehen, dort auffliegen, die Gegenseite bekämpfen, erneut fliehen und dann im großen Finale schwer bewaffnet den nächsten Bruch machen. Sondern indem Christopher Nolan ein erzählstilistisches Gimmick erfindet, um die zahlreichen, bei einem Blockbuster nahezu obligatorischen Action-Setpieces nicht aneinander zu reihen, sondern auf-, ach, ineinander zu stapeln. Was ihm als Sprungbrett dient, inszenatorisch herausragende Wege zu gehen und einen Film zu kreieren, der hauptsächlich aus einer immer weiter eskalierenden Parallelmontage besteht. Szenen gegeneinander zu schneiden, um so ästhetische Bilderreigen zu erzeugen und die Spannung non-verbal in die Höhe schnellen zu lassen, ist eine Fingerfertigkeit, in die sich Nolan offenbar verliebt hat. Handlungsebenen, Schauplätze und Zeitebenen mit dramatischer Konsequenz durch einen opulent konstruierten Schnitt zu vereinen, ist für das Storytelling seines späteren Sci-Fi-Mammutwerks „Interstellar“ unerlässlich. Und es ist gar das zentrale Gimmick von „Dunkirk“, der stilistische Dreh- und Angelpunkt von Nolans Kriegsfilm.

„An der Oberfläche gekratzt, ist Christopher Nolans „Inception“ schlicht einfallsreiche sowie kostspielige Unterhaltung, die vor zehn Jahren neue Maßstäbe gesetzt hat und heute noch so aussieht wie gerade erst erträumt.“

Doch während die handwerklich faszinierende Parallelmontage in „Dunkirk“ zuweilen droht, zum Selbstzweck zu verkommen und die eigentliche Erzählung aus dem Rampenlicht zu verdrängen, und sie sich in „Interstellar“ auf einige Wendepunkte beschränkt, findet „Inception“ ein berückendes Mittel: „Inception“ entfaltet durch dieses Immer-tiefer-gehen-und-sich-dann-wie-von-außen-selbst-betrachten eine immense, konstante Sogkraft, gleichwohl ist es die Geschichte eines überaus riskanten Schachzugs, auf der der Schwerpunkt ruht. Nicht auf dem Handwerk. Auf der zweiten Ebene ist „Inception“ mehr als nur Hans Zimmers betörend-dröhnender Schall und ungewöhnlich in Szene gesetzter Rauch, sondern eine sehr intime, kleine Geschichte, die mit furiosem Spektakel gefüllt wird. Nicht, weil sich nur mit Pomp die Kinosessel füllen lassen. Sondern weil Nolan den Quasi-Blankocheck, den Warner Bros. ihm nach dem überwältigenden Erfolg von „The Dark Knight“ gab, wohlwissend eingelöst hat. Denn kleine, private, intime Ängste fühlen sich für das sie fühlende Individuum eben nicht klein und nebensächlich an. Sondern erdrückend, allgegenwärtig und bombastisch. Was nur wenige Filme über Trauer, Reue und Schuldgefühlen so widerspiegeln können.

Nolan jedoch konstruierte mit „Inception“ dieses filmische Oxymoron der riesig großen Kleinigkeit. Protagonist Cobb kann sich nicht von den bedrückenden Schatten einer bedauernswerten Vergangenheit lossagen. Sein Gram sucht ihn immer wieder heim und bedroht in Verkörperung der sinnlich-sinisteren Mal (Marion Cotillard) sowohl ihn, als auch sein Umfeld. Was Cobb sich nicht eingestehen möchte, geschweige denn Anderen gegenüber ansprechen könnte. Er internalisiert seine Konflikte, sein Ringen damit, dass es seine Spezialität sei, ständig die Kontrolle zu haben, er sie aber einst auf fatalste Weise verlor.

Eine Szene für die Ewigkeit…

Konsequenterweise sind die Schauplätze, die Nolan erschafft, um Cobbs Reise der Traumabewältigung zu illustrieren, oftmals traumhaft schön, zumeist verbissen-diesweltlich und von einer unterschwelligen Melancholie durchzogen. Die historische Innenstadt von Paris, in der Architekturstile miteinander ringen und bei aller Schönheit die bewegte, verlebte Historie der französische Metropole spürbar machen. Ein haarklein durchgeplantes, helles, sauberes Hotel – das steril und unpersönlich wirkt. Ein einsames, grau-braunes Fort, das mächtig aus einer fabelhaften Schneelandschaft ragt. Orte, die zum Träumen einladen und doch dieses dramatische, bereunde Pathos mitbringen. Ironisch indes ist der von Cobb gewählte Weckruf, der erklingt, wenn eine Missionen beendet werden muss, und durch diese Welten dringt, in denen sich Cobb seinen Schatten der Vergangenheit stellt: Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“, „Nein, ich bereue nichts“. Oder ist es keine böse Ironie, sondern ein idyllisches Wunschdenken, das lediglich zu einem bedrohlich wummernden Warnsignal mutiert, je tiefer „Inception“ in das Unterbewusstsein vordringt?

Auf dieser Ebene ist noch nicht Schluss. Wer loslässt und sich traut, noch tiefer zu gehen, wird weitere Interpretationsansätze finden. Ist „Inception“ Nolans Metapher für das Planen und Umsetzen eines Filmes – also des Traumes eines Filmkunstschaffenden, der mit seiner Crew, einem Geldgeber und letztlich mit einem Publikum geteilt wird? Ist „Inception“ Nolans millionenschwere, audiovisuelle Eigentherapie, um sich damit auseinanderzusetzen, wie er ständig und wie besessen seiner Welten erschaffenden Arbeit nachgeht und daher seine Familie zurücklässt? Wie sehr spielt die Existenz des ältesten Nolan-Bruders in „Inception“ hinein, diesen Film über einen seine Unschuld beteuernden Kriminellen, der seine Familie sehen will?

„Ist „Inception“ Nolans Metapher für das Planen und Umsetzen eines Filmes – also des Traumes eines Filmkunstschaffenden, der mit seiner Crew, einem Geldgeber und letztlich mit einem Publikum geteilt wird?“

Fazit: Filmvernarrte werden zwangsweise ihre persönliche und unvergleichliche, Gedankenreise durchmachen, an deren Ende eine durch und durch individuelle Interpretation wartet. Mit einmaliger Gewichtung der angerissenen Themen, angedeuteten Ausgängen und gewählten Kunstgriffen. Vermeintlich kam man ganz von selbst auf diese Gedanken. Dabei stammt die Saat jeglicher Lösungsansätze auf die von diesem einnehmenden Gedankenlabyrinth gestellten Rätsel aus dem Gehirn Christopher Nolans. Er betreibt Inception wie kein anderer.

„Inception“ wird aktuell in vielen Kinos erneut aufgeführt.

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