Green Book – Eine besondere Freundschaft

Ein schwarzer Musiker macht in den 60er-Jahren eine Tournee durch den rassistischen Süden der USA und heuert einen Fahrer und Bodyguard mit beengter Weltsicht an. Ob diese in GREEN BOOK – EINE BESONDERE FREUNDSCHAFT erzählte Geschichte so gut ist, wie diversen Filmpreise und Oscar-Nominierungen suggeriert? Wir nähern uns dem in unserer Kritik an …

Der Plot

1962 in den Vereinigten Staaten: Der Italo-Amerikaner Frank Anthony „Tony Lip“ Vallelonga (Viggo Mortensen) ist ein draufgängerischer, seine Ehefrau (Linda Cardellini) über alles liebender Türsteher, der richtig austeilen kann, wenn es darauf ankommt. Da sich „sein“ Club für mehrere Monate im Umbau befindet, braucht Tony dringend einen Zwischenjob. Als ihn der in New York angesehene, wortwörtlich über der Carnegie Hall lebende Musiker Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) anheuern möchte, ihn während einer Tournee durch den für Schwarze durchaus gefährlichen Süden der USA zu fahren, lehnt Tony zunächst ab. Ihm ist das erste Gehaltsangebot zu niedrig, zudem will er nicht den Diener für einen Schwarzen geben. Letztlich werden sich Shirley und Tony doch noch einig, allerdings ist die Stimmung zwischen dem einfach gestrickten, etwas rüpelhaften Tony und dem belesenen, eleganten Shirley vorerst eisig. Nach und nach freunden sie sich allerdings an – und müssen sich gemeinsam durch den Hass kämpfen, der ihnen im Süden begegnet…

Kritik

Das deutsche Feuilleton beschäftigt eine Frage seit über sechs Jahrzehnten in unregelmäßigen Abständen, und doch immer wieder mit großer Intensität: Darf man über den Nationalsozialismus und seine Gräueltaten lachen? Die Antwort, mit der wir am ehesten konform gehen, fiel in Dietrich Brüggemanns „Heil“ und lautet: „Ja, aber das Lachen muss im Halse stecken bleiben.“ Auch der US-Kulturzirkel hat eine Gretchenfrage, die immer wieder hochkocht, und die aktuell einer der vielen Faktoren ist, aufgrund derer „Green Book – Eine besondere Freundschaft“ zu einem der kontroversesten Oscar-Anwärter seit vielen Jahren wurde: Kann man einen Feel-Good-Film über Rassismus erzählen? Eine Frage, die sich nicht mit derselben Retour beantworten lässt wie des Deutschen liebstes (?) Kulturbetriebsproblem, denn die Feel-Good-Schublade und im Halse stecken bleibendes Lachen schließen einander kategorisch aus. Die heiß brodelnde (US-amerikanische) Kulturdebatte bezüglich Peter Farrellys „Green Book“ allein auf diese Frage zu beschränken, vereinfacht das moralische Tauziehen um diese Dramödie zugegebenermaßen enorm. Beim Biopic über eine Etappe im Leben Anthony Vallelongas und Dr. Don Shirleys tummeln sich die Diskussionsansätze noch und nöcher, und mit jedem Filmpreis und jeder Nominierung, die der Film einheimst, erhärtet sich der Diskurs:

Jony Lip (Viggo Mortensen) und Don Shirley (Mahershala Ali) amüsieren sich auf ihrem gemeinsamen Road Trip.

Können es sich Gremien und Preisjurys in Zeiten von #MeToo und #TimesUp ehrlich erlauben, einen Film zu würdigen, dessen Regisseur sich in den 90er-Jahren einen riesigen Spaß daraus gemacht hat, anderen Menschen ungefragt seinen Penis zu zeigen? Soll man eine Dramödie prämieren, an deren Drehbuch sich ein Autor beteiligt hat, der vor wenigen Jahren via Twitter Stimmung gegen Muslime gemacht hat?  Spricht es von Doppelmoral, wenn ein großer Teil des US-Kulturbetriebs für mehr Diversität und eine stärkere Repräsentation der Wirklichkeit in der Industrie einsteht, dann aber bevorzugt den von Weißen geschriebenen und inszenierten „Green Book“ prämiert, statt etwa Spike Lees „BlacKkKlansman“? Oder gefällt der erstgenannte Film einfach mehr Leuten? Und wenn ja, ist das etwa schon die alles entscheidende Krux, weil „Green Book“ ein unschönes Thema gefällig verpackt? Womit wir uns wieder unserer anfänglichen Frage nähern.  „Green Book“ und die Rezeption rund um diesen Film sowie seinen Award-Erfolgen (unter anderem gewann er drei Golden Globes und zwei Preise des National Board of Review, zudem nennt er fünf Academy-Award-Nominierungen sein Eigen) könnten Material für ganze Studienkurse bieten, aber beschränken wir uns aus Platzgründen auf die Wohlfühl-Grundfrage (um später noch eine andere „Green Book“-Debatte zu tangieren).

Eine alle zufriedenstellende Antwort gibt es da wohl nicht – während unter anderem Monique Judge von ‚The Grapevine‘, Candice Frederick von ‚Slashfilm‘ und Jourdain Searle von ‚The Ringer‘ nicht zuletzt den gefälligen Grundton von „Green Book“ dafür verantwortlich machen, dass sie den Film als „Weißer-Retter-Narrative“ und Wohlfühlkino für Rassisten sehen, feierte Roger Ross Williams, der zu Beginn dieser Dekade Geschichte geschrieben hat, indem er als erster schwarzer Regisseur einen Oscar für eine Kurzdoku gewonnen hat, den Film in den sozialen Netzwerken. Und Martin Luther King III programmierte eine öffentliche Sondervorführung des Films anlässlich des 90. Geburtstags seines Vaters, während „BlacKkKlansman“-Nebendarsteller, Musiker und Menschenrechtler Harry Belafonte in einer Lesermail an ‚The Grapevine‘ dem unter anderem von Octavia Spencer produziertem „Green Book“ helfend zur Seite sprang. Wenn bereits unter Rassismus-Betroffenen solche Uneinigkeit herrscht, ob ein Film wie „Green Book“ schädlich ist oder nicht, wie verflucht noch eins soll ein weißer Filmkritiker aus Deutschland die Patentantwort liefern? Sind wir also ehrlich: Wir können auch nur unsere Herangehensweise begründen und so einen (hoffentlich fruchtvollen) weiteren Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten. Der Gedanke, weshalb wir per se tonal zugänglichen Filmen über Problemthemen aufgeschlossen sind, liegt im Trojanisches-Pferd-Konzept begründet.

Tony Lip findet, dass sich Don Shirley einen neuen Anzug zulegen sollte.

Man stelle sich vor, das ZDF zeigt an Weihnachten zur besten Sendezeit den unbequemen, vor berechtigter Wut glühenden „Sorry to Bother You“. Wie viele Menschen werden da wohl einschalten? Bedauerlicherweise wohl nicht so viele, und so wichtig der Film in seiner Aussagekraft auch ist, er wird im Laufe seiner rund 90 Minuten sogar viele Menschen verlieren. Vor allem jene, die sich gegen seine deutlich vermittelte Botschaft wehren – die Medien- und Sozialwissenschaft nennt sowas „Confirmation Bias“. Menschen neigen dazu, Medieninhalte und andere Informationen, die bewusst ihren Haltungen widersprechen, auszusieben. So etwas wie „Sorry to Bother You“ dient als Ausdruck des Zorns, als Kampfruf an Gleichgesinnte, als surrealistischer Spiegel der Gegebenheiten und ist daher künstlerisch wertvoll. Keineswegs. Für sich stehend wird er jedoch kaum Leute indoktrinieren, die nicht eh für seine Botschaft empfänglich sind. Liefe in unserem Gedankenexperiment hingegen „Green Book“, der nette, freundliche, leicht dramatische Film über zwei Leute, die sich anfangs nicht leiden können und die sich sachte annähern – nun, das Publikum dürfte deutlich größer sein. Und es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich darunter auch ein paar Leute befinden, die vielleicht eingangs ähnlich wie Protagonist Tony ticken.

Menschen, die am Vortag noch während eines Berichts über eine Anti-Rassismus-Demonstration in den Nachrichten den Fernseher angebrüllt haben: „Was haben die denn für Probleme, verdammt noch eins, so schlimm kann es denen hier doch nicht ergehen?“ Menschen, die zwar keinem rassistischen Mob angehören, aber dennoch ihre Vorurteile, schädlichen Handlungsweisen und Empathieprobleme haben. Menschen, bei denen man keine falschen, brennenden Überzeugungen, sondern simple Begriffsstutzigkeit aushebeln muss. Nein, Feel-Good-Rassismusdramödien wie „Green Book“ werden keineswegs Rassismus lösen können, erst recht nicht im Alleingang. Aber sie können, so hoffen wir zumindest, im Idealfall ein produktiver Teil des Prozesses sein, da sie andere Menschen über andere argumentative Wege beeinflussen können als profundere Filme wie etwa „Sorry to Bother You“. Insofern sind wir von der Überzeugung: Theoretisch können solche Filme eher Gutes bewirken, als dass sie etwaig bestehende, problematische Weltanschauungen verstärken würden. So viel zur Grundfrage dieses von Kameramann Sean Porter („Jahrhundertfrauen“) sehr funktional ausgeleuchteten und von Farrelly unauffällig, schnörkellos inszenierten Films. Kommen wir nun aber zur Praxis dieses speziellen Films. Denn leider ist das Lied mit dem theoretischen Part noch lange nicht am Ende angelangt. In der Umsetzung von „Green Book“ gibt es nämlich einige Aspekte, die diesen Film zu einem problematischen Subgenrevertreter machen und uns trotz unserer prinzipiell freundlichen Betrachtungsweise dieser Filmgattung gegenüber verbittern. Und diese groben Makel liegen zumeist im Drehbuch begründet, die vor allem durch Gegenüberstellungen mit gelungeneren, ähnlich gestimmten Filmen deutlich werden.

Und was sagst Du dazu?