The Favourite – Intrigen und Irrsinn

In Yorgos Lanthimos‘ drittem Spielfilm THE FAVOURITE nimmt sich der griechische Regisseur auf gewohnt skurrile Weise die Spleens und Eigenheiten der feinen Gesellschaft vor und enttarnt ihre Willkür und ein verschobenes Realitätsverständnis. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Das frühe 18. Jahrhundert. England liegt im Krieg mit Frankreich. Auf Enten-Rennen und den Genuss von Ananas wird dennoch nicht verzichtet. Auf dem Thron sitzt die gebrechliche Königin Anne (Olivia Colman), ihre enge Freundin Lady Sarah Churchill (Rachel Weisz) führt für sie die Regierungsgeschäfte, kümmert sich um die kranke Monarchin und erduldet deren aufbrausendes Temperament. Da tritt eine neue Dienerin ihren Dienst am Hof an – Abigail Masham (Emma Stone), deren Charme Sarah sogleich verfällt. Sarah nimmt Abigail unter ihre Fittiche, die die Chance erkennt, zu ihren aristokratischen Wurzeln zurückzukehren. Als die Belange des Krieges Sarah immer mehr in Beschlag nehmen, nutzt Abigail die Gelegenheit, an Stelle von Sarah Vertraute und Gefährtin der Königin zu werden. Die aufkeimende Freundschaft ermöglicht ihr, ihre ehrgeizigen Ziele zu verfolgen – davon lässt sie sich von keiner Frau, keinem Mann, nicht dem Krieg und auch keinem Hasen abhalten.

Kritik

Mit seinen unkonventionellen Gesellschaftsbeobachtungen hat sich der Grieche Yorgos Lanthimos in Cineastenkreisen zu einem der aufregendsten Regisseure unserer Zeit entwickelt. Neben Kollegen wie Damien Chazelle oder Denis Villeneuve ist er zudem der unberechenbarste; mit Horroranleihen versehene, schwarze Komödien („Dogtooth“) gehören ebenso zu seinen Stärken wie Familiendramen („The Killing of a Sacred Deer“) und Satiren auf das menschliche Datingverhalten im 21. Jahrhundert („The Lobster“), doch neben einer inszenatorischen Formstrenge, die in dieser Ausprägung aktuell ihresgleichen sucht, eint sie vor allem, dass eine Genreeinordnung, wie hier von uns halbherzig vorgenommen, eigentlich per se gar nicht möglich ist. Der innoffizielle Anführer der sogenannten „New Greek Wave“ weiß eigenen Angaben zufolge nicht einmal selbst, was genau ein Genre ist. Es geht ihm darum, spannende Geschichten zu erzählen. Das tut er auch im Falle seines neuen Films „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“, der sich nach diversen Indikatorpreisen und fünf Nominierungen für den Golden Globe zu einem der aussichtsreichen Oscar-Kandidaten emporgeschwungen hat. Kein Wunder: Lanthimos‘ das adelige Leben am Hof im frühen 18. Jahrhundert klinisch durchexerzierende Kostümdrama ist Schauspieler(innen)kino aller erster Güte und einfach mal so ganz anders als das, was prestigeträchtige Filmpreis-Jurys sonst so auszeichnen: ganz schön gehässig.

Königin Anne (Olivia Colman) wird von ihren Bediensteten umsorgt und umworben.

„The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ markiert in einem Detail einen Neuanfang für Yorgos Lanthimos: Es ist der erste Film, für den weder der geborene Grieche, noch sein langjähriger Partner Efthymis Filippou das Drehbuch geschrieben hat. Stattdessen zeichneten für das Skript die beiden im Spielfilmsegment noch weitestgehend unerfahrenen Autoren Deborah Davis (für sie ist es das Debüt) sowie Tony McNamara (arbeitete bislang vorwiegend für Serien wie „Puberty Blues“) verantwortlich; und dass diese ebenso wenig an einer klaren (Genre-)Einordung ihrer Geschichte interessiert waren, wie Yorgos Lanthimos selbst, scheint bereits nach wenigen Filmminuten durch. Die detailgetreue Ausstattung der Kulisse, die prächtigen Gewänder, die Konflikte – all das entspringt auf den ersten Blick einem konventionellen Kostümfilm. Erst als die Hauptcharaktere ihre Münder aufmachen, offenbart sich, dass hier in den kommenden zwei Stunden keineswegs damit zu rechnen ist, Queen Anne einfach nur dabei zuzusehen, wie sie den Krieg ihres Königreichs mit Frankreich zu unterbinden versucht. Stattdessen geht es vorwiegend um all das, wovon das Volk (und noch nicht einmal sämtliche Bedienstete im Schloss) nichts mitbekommt; ein Behind the Scenes aus dem Königsschloss sozusagen. Damit erinnert „The Favourite“ in Teilen an „Maria Stuart, Königin von Schottland“ – doch Yorgos Lanthimos wäre nicht er, würde er das Privatleben der Adeligen nicht ins Groteske überzeichnen. Aus der regierenden Königin wird also ein seelisches Wrack, dessen Alltag daraus besteht, die freie Zeit zwischen den einzelnen Regierungssitzungen mit Banalitäten totzuschlagen. Und wenn man ohne Einschränkungen tun darf, was man will, fallen ebendiese Banalitäten nun mal besonders kreativ aus.

Ob die Adeligen nun Hummer oder Enten um die Wette rennen lassen (um sie anschließend zu verspeisen), mit Tomaten auf nackte, fettleibige Menschen werfen oder im Garten auf Tontauben schießen: So unberechenbar wie ihre absurden Freizeitbeschäftigungen gestalten sich auch die persönlichen Verwicklungen unter ihnen. Im Zentrum steht mit dem Auftauchen der ihren Adelstitel verlorenen Magd Abigail vor allem ihr Verhältnis zu ihrer Cousine Lady Sarah und der Königin selbst, deren Gunst sie sich nach einigen cleveren (respektive berechnenden) Entscheidungen blitzschnell erarbeitet. Die sich innerhalb dieses Dreiergespanns entwickelnde Dynamik ist nicht bloß aufgrund des formidablen Spiels der Aktricen hervorragend (Olivia Colman gewann für ihre Performance den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin in einer Komödie), die sich passend zu ihren karikaturesken Figuren in eine regelrechte Overacting-Hysterie hineinsteigern. Doch erst durch die Einflüsse von außen wird aus dem Drei-Personen-Kosmos ein großes Ganzes, das bei näherem Hinsehen seine tragischen Seiten offenbart. Die von Yorgos Lanthimos in „The Favourite“ verhandelten Themen lassen den Film nämlich weit über ein Dasein als verzerrtes Zeitdokument oder eine Momentaufnahme hinausgehen, sondern sind treffsichere Kommentare auf gesellschaftliche Missstände. Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, die Abhängigkeit der Armen von den Reichen, der Kampf um Macht und Anerkennung, Dekadenz und Konsum, Kriegsstrategien – selbst in der hier präsentierten Aufbereitung, in der Lanthimos sichtbar Kurzweil und Unterhaltung im Sinne hat, dringen sie als Anklage und Appell an die Welt und den Zuschauer hervor.

In der Freizeit wird geschossen!

Yorgos Lanthimos hat sich als einer von ganz wenigen Regisseuren eine eigene Handschrift erarbeitet, die sich trotz ihres hohen Wiedererkennungswertes bislang nicht eins zu eins wiederholt. Neben der sehr akzentuiert eingesetzten Musik, die hauptsächlich aus bekannten Klassikstücken besteht,  fängt Kameramann Robbie Ryan („American Honey“) selbst in den eingeschränkten Räumen eines Schlosses aufwändige Panoramen ein, nutzt extrem lange Einstellungen ohne Schnitt und verwendet verzerrende Weitwinkel- sowie Fischaugenobjektive, um eine größtmögliche Distanz zum Geschehen aufzubauen. Schon „The Killing of a Sacred Deer“ wirkte in seiner Sterilität wie ein Versuchsaufbau. In „The Favourite“ scheint es nun so, als wolle Lanthimos zeigen, dass selbst mit den Mitteln der inszenatorischen Überzeichnung einfach keine vollständige Distanzierung möglich ist, denn letztlich werden die Beobachtungen des Zwischenmenschlichen hier von Minute zu Minute intimer. Die Macher dringen hinter die Maske (im wahrsten Sinne des Wortes!) der Königin sowie ihrer speichelleckenden Vertrauten, ohne bis zuletzt aufzuklären, in welchen Momenten zwischen ihnen echte Sympathie und Aufopferungsbereitschaft herrscht, und wann all das einfach nur nach einem eigenen Adelstitel und Macht strebende Berechnung ist. Dadurch ist „The Favourite“ immer auch ein wenig (Liebes-)Drama, in dem Lanthimos, wie schon in „The Lobster“, die Mechanismen der emotionalen Abhängigkeit ergründet und dafür symbolische Motive wie etwa das von als Haustier gehaltenen Kaninchen findet, die sich einem auch im Nachhinein noch ganz tief einbrennen.

Fazit: Der herausragend gespielte „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ ist das neueste Meisterwerk aus der Hand von Yorgos Lanthimos, der in der opulent ausgestatteten Kostüm-Tragikomödie den Adel bis auf den blanken Nerv zerlegt und dabei treffsichere Beobachtungen anstellt, die sich genauso gut auf gesellschaftliche Standards der Gegenwart beziehen lassen.

„The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ ist ab dem 24. Januar in den deutschen Kinos zu sehen.

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