Alexander McQueen

Die beiden Dokumentarfilmer Ian Bonhôte und Peter Ettedgui widmen in ihrem Dokumentarfilm ALEXANDER MCQUEEN dem gleichnamigen Modedesigner ein ausführliches Porträt, das nicht nur modeaffine Zuschauer begeistern dürfte. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

Darum geht’s

„My shows are about Sex, Drugs and Rock‘n’Roll“: Lee Alexander McQueen brachte den Punk zurück in die Modewelt. Ein exzentrischer Designer, der 1993 sein eigenes Label „Alexander McQueen“ gründete und mit seinen opulenten Modenschauen immer für Skandale sorgte. Doch das 2010 verfrüht verstorbene Ausnahmetalent war weit mehr als ein Enfant terrible, das die Öffentlichkeit mit seinen kreativen Ideen provozierte und schockierte. Dem außergewöhnlichen Designer und Menschen gelang es, sein Publikum weit über die Grenzen der Modewelt hinaus mit seiner Arbeit zu berühren. Das zeigt unter anderem der überwältigende Erfolg der Ausstellung „Savage Beauty“: 2011 sorgte die Hommage an das Spätwerk des Künstlers Alexander McQueen im New Yorker Metropolitan Museum of Art für sehr großes Aufsehen, bevor sie 2015 mit fast 500.000 Besuchern zur erfolgreichsten Ausstellung aller Zeiten im Londoner Victoria&Albert Museum wurde.

Kritik

Der 1969 in London geborene Lee Alexander McQueen galt zu Lebzeiten als das Enfant Terrible der Modewelt. Seine Kollektionen waren von vergewaltigten Frauen inspiriert oder hatten die blutrünstigen Morde von Jack The Ripper zur Vorlage. Das sorgte seinerzeit für Kontroverse: War dieser Modeschöpfer, der für große Häuser wie Givenchy und Gucci arbeitete, ein Irrer, ein Genie oder ein irres Genie? Auf jeden Fall war er eine streitbare Persönlichkeit, die die Dokumentarfilmer Ian Bonhôte und Peter Ettedgui in ihrem aufs Wesentliche reduzierten Doku-Biopic „Alexander McQueen“ ein wenig zu erklären versuchen. Eine direkte Antwort auf die Frage, wer genau die hier porträtierte Person war, liefern die beiden dabei übrigens nicht. Stattdessen präsentieren sie in ihrem Film viele verschiedene, dokumentarische Bruchstücke aus McQueens Leben und überlassen ganz allein dem Zuschauer die Deutung. Damit nehmen sie skandalösen Plänen und Entscheidungen nicht den Kern ihrer Provokation und McQueen im Nachhinein unnötig in Schutz, bieten mit vielen Originalinterviews mit der Hauptfigur und Gesprächen mit Angehörigen aber gleichzeitig auch genug Möglichkeiten, die Modewelt und Alexander McQueens Umfeld im Speziellen einmal mit ganz anderen Augen zu sehen. McQueen diesen Hauch des Mysteriums zu lassen, muss man den beiden Regisseuren hoch anrechnen, denen auch sonst ein nicht nur für Modeliebhaber sehr ansprechender Film gelungen ist.

Alexander McQueen bei einer Modenschau.

Alexander McQueen ging gerade zu Beginn seiner Karriere als Modedesigner große Wagnisse ein. Das lässt sich über die Dokumentation über ihn auf den ersten Blick nicht behaupten: Ian Bonhôte und Peter Ettedgui (schrieb und inszenierte auch schon die Marlon-Brando-Doku „Listen to Me Marlon“) folgen zumindest strukturell den gängigen Motiven eines dokumentarischen Porträts über eine bekannte Persönlichkeit: Die Kindheitsjahre ausgespart, beginnt „Alexander McQueen“ in den frühen Phasen von McQueens Arbeit, als er bereits mit nur 16 Jahren in eine Schneiderlehre ging und anschließend für Kostümbildner und verschiedene Designer arbeitete. Bis zu McQueens Tod im Jahr 2010 arbeiten die Filmemacher sich chronologisch von Station zu Station. Ihr Werk ist eingeteilt in Kapitel, jeweils benannt nach wichtigen Projekten in McQueens Vita und eingeläutet von der prächtigen Kunstinstallation eines auf viele verschiedene Arten arrangierten Totenschädels, wie ihn auch das Plakat zum Film ziert. Das Ganze erinnert ein wenig an Danny Boyles Drama „Steve Jobs“ – auch hier stehen drei ganz entscheidende Projekte des Apple-Gründers im Fokus, die allesamt unterschiedliche Karriere-, vor allem aber Lebensabschnitte des Protagonisten repräsentieren. Doch wie schon Danny Boyle sind auch Ian Bonhôte und Peter Ettedgui nicht bloß an dem interessiert, was die von ihnen porträtierte Person in der jeweiligen Phase ihres Lebens geschaffen hat, sondern vor allem was dabei in ihrem Inneren vorgegangen ist.

Um dem auf den Grund zu gehen, greift das Regieduo auf ein ganzes Arsenal an Zeitzeugenmaterial zurück. Zur Verfügung standen Bonhôte und Ettedgui nicht nur Originalaufnahmen aus den verschiedenen Ateliers, von den Modenschauen und somit vor allem davon, was sich hinter den Kulissen des Modegeschäfts abspielt. Immer wieder zeigt „Alexander McQueen“ auch Interviewausschnitte mit McQueen selbst, die nicht für diese Doku entstanden sind, den Künstler in der Phase ihrer Entstehung dafür aber umso besser widerspiegeln. Mit Ausnahme der extra für diesen Film geführten Interviews mit Lebensbegleitern, Freunden und Kollegen wirkt nichts an „Alexander McQueen“ gestellt; und genau das lässt ein solch ambivalentes Bild auf eine Hauptfigur zu, bei der andere Regisseure schnell Gefahr laufen könnten, sie im Nachgang zu verklären. In der Dokumentation finden höchst kontroverse Themen ihren Platz: Die Reaktion auf seine provokanten Modenschauen genauso wie die Entstehung ebenjener Shows. Selbst McQueens Wunsch, live auf einem Catwalk Selbstmord zu begehen und seine Karriere damit – im wahrsten Sinne des morbiden Wortes – mit einem Knall beenden zu wollen, wird in „Alexander McQueen“ angesprochen. Die Verantwortlichen haben definitiv nicht den bequemsten Weg gewählt, um einem der bedeutsamsten britischen Modeschöpfer der Welt ein filmisches Denkmal zu setzen.

Alexander McQueen bei der Arbeit

Aber sie gehen den ehrlichsten und dazu gehört auch, dass sich „Alexander McQueen“ nicht nur Zeit für das nimmt, was in der Presse einst ohnehin das größte Aufsehen erregt hat (auch wenn das zugegebenermaßen die spannendsten Momente des Films sind, die auch am ehesten ein nicht-modeaffines Publikum ansprechen dürften), sondern auch dafür, wovon von Natur aus Niemand Notiz genommen hat, der nicht ohnehin zu McQueens Umfeld gehörte. So zeigen Aufnahmen und schildern Angehörige beispielsweise wiederholt die Umsicht des Modeschöpfers, wenn es darum ging, auf seine Mitarbeiter Acht zu geben. Für die üppige Verpflegung der Models sollte genauso gesorgt sein, wie für regelmäßige Pausen seines Teams – auf den ersten Blick ein krasser Kontrast zu einer Person, die in der Öffentlichkeit als unberechenbarer Exzentriker wahrgenommen wurde. Auf diesen drei Pfeilern – McQueen hinter den Kulissen, vor den Kulissen und in der Presse – stützt sich „Alexander McQueen“ und liefert damit ein allumfassendes Bild einer bemerkenswerten Persönlichkeit. Dass Details wie sein Liebesleben hier sogar fast komplett fehlen, lässt sich damit erklären, dass es für die Gesamtperson, wie sie Ian Bonhôte und Peter Ettedgui hier porträtieren wollten, kaum eine Rolle gespielt hat. Es geht vor allem um die öffentliche Wahrnehmung – und an der könnte ihr Film vielleicht sogar etwas ändern, denn der frühe Freitod des Modeschöpfers wirkt im Nachgang zu dieser Dokumentation noch um Einiges tragischer, wenn man sein Werk, die Konzepte, die Formstrenge und Visionen des Künstlers erst zu schätzen und dann zu verstehen lernt.

Fazit: Die Dokumentation „Alexander McQueen“ gibt einen intimen Einblick in das Leben des visionären Modeschöpfers und spart dabei kein noch so schmerzhaftes Detail aus. Die Antwort auf die Frage, ob McQueen nun ein exzentrischer Visionär oder ein kalkulierender Provokateur war, überlassen die Regisseure Ian Bonhôte und Peter Ettedgui dabei dem Zuschauer und werden der spannenden Persönlichkeit der unter tragischen Umständen verstorbenen Hauptfigur dadurch besonders gerecht.

„Alexander McQueen“ ist ab dem 29. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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