Brimstone

Das beklemmende Westerndrama BRIMSTONE begleitet eine stumme junge Frau auf dem Weg Richtung Selbstbestimmung – nur muss sie sich dadurch dem Teufel in Person entgegenstellen. Mehr zu einem der besten Filme dieses Jahres verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Ende des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Westen: Die junge Liz (Dakota Fanning) ist auf der Flucht vor ihrer düsteren Vergangenheit, als sie sich zum Schutz hinter den Mauern eines gottesfürchtigen Dorfes niederlässt. Hier arbeitet sie als Hebamme und lebt an der Seite ihres Ehemannes Eli (William Houston) und gemeinsam mit ihren zwei Kindern, nichtsahnend, das sich ein diabolischer Priester (Guy Pierce) auf den Weg in genau dieses Dorf begibt. Liz ist überzeugt davon, dass er es auf sie abgesehen hat. Fortan lebt sie in noch größerem Unbehagen und schottet sich immer mehr von der Außenwelt ab. Als sie eines Tages eine Entscheidung fällt, die die ganze Dorfgemeinschaft gegen sie aufbringt, zieht sie genau die Aufmerksamkeit auf sich, vor der sie bislang geflohen ist und muss sich schließlich endgültig ihrer Vergangenheit stellen.
Kritik
Der niederländische Regisseur Martin Koolhoven („Mein Kriegswinter“) ist außerhalb seiner Landesgrenzen bislang kaum bekannt. Das dürfte sich nach „Brimstone“ nun endlich ändern; und zwar nicht bloß, weil er in dieser Koproduktion diverser europäischer Länder, Großbritannien und den USA gleich eine ganze Heerschaar weltberühmter Schauspielgrößen um sich geschart hat, sondern auch, weil der gleichermaßen auch für das Drehbuch verantwortliche Filmemacher mit seinem Genremix aus Western, Drama und Rachethriller einen der besten Filme des Kinojahres 2017 abliefert. Dabei orientiert er sich ganz an einem augenscheinlichen Trend des spätestens seit „Django Unchained“ neu aufgeflammten Westerngenres und rückt mit der stummen Dakota Fanning („Night Moves“) eine junge Frau auf dem Weg in Richtung Selbstbestimmung in den Fokus, nachdem sich zuletzt schon Natalie Portman („Jane Got a Gun“) und Hilary Swank („The Homesman“) ganz hervorragend alleine gegen das sie unterdrückende Patriarchat zur Wehr zu setzen wussten. „Brimstone“ setzt auf diese Gewaltspirale aus Unterdrückung, Aufbegehren und Unterdrückung durch Aufbegehren allerdings noch einmal eine Schippe drauf und lässt mit Guy Pearce („Genius“) als abgrundtief teuflischer Priester eine regelrechte Urgewalt menschlicher Widerwärtigkeit auf die augenscheinlich so zarte junge Frau los; die Faszination geht in „Brimstone“ schließlich nicht bloß davon aus, wie die beiden den persönlichen Kampf untereinander austragen, sondern auch davon, in welch perverse Gefilde Martin Koolhoven vordringt, ohne ins reine Exploitationkino abzudriften.
Die Internet Movie Database IMDb listet „Brimstone“ neben den Genres Western und Thriller auch unter der Kategorie „Horrorfilm“. Das ist auf den ersten Blick völliger Quatsch, doch auf den zweiten ist diese Wahl im Grunde die einzig schlüssige: Das, was sich im Laufe der zweieinhalb Stunden Lauflänge vor den Augen des Zuschauers offenbart, ist nicht weniger als der blanke Horror und dringt sowohl visuell als auch erzählerisch in emotional zermürbende Gefilde vor. Im Mittelpunkt steht dabei Dakota Fanning, deren Schicksal als äußerst zurückhaltend lebende Hebamme ohne Zunge erst nach und nach aufgeklärt wird. Dafür teilt Martin Koolhoven seinen Film in vier verschiedene Kapitel auf, von denen das erste namens „Offenbarung“ und das vierte namens „Vergeltung“ direkt aneinander anschließen, das zweite und dritte („Exodus“ und „Genesis“) hingegen in Liz‘ Vergangenheit springen und offenbaren, was die junge Frau an jenen hilf- und schutzlosen Punkt brachte, an dem sie sich mit Beendigung des ersten Kapitels befindet. Auch im dritten Part springt der Regisseur noch einmal zurück; „Brimstone“ wird also entgegengesetzt der chronologischen Reihenfolge erzählt und stellt das Publikum so ständig vor neue Herausforderungen: Glaubt es, nach „Exodus“ bereits die Ursache für die schlimmen Geschehnisse in „Offenbarung“ zu kennen, dreht sich in „Genesis“ noch einmal alles auf links – das wahre Grauen zeigt sich hier nicht auf den ersten Blick, sondern will nach und nach, Szene für Szene ergründet werden; und sei dies noch so schmerzhaft – Gefangene macht Martin Koolhoven in „Brimstone“ nämlich keine.
Da „Brimstone“ erst recht ins Mark trifft, wenn man vorab so wenig wie möglich über die Hintergründe von Liz‘ Figur weiß, wollen wir an dieser Stelle gar nicht weiter ausholen, als nötig. Wichtig ist nur: Martin Koolhoven schickt seine ebenso bemitleidenswerte wie stets starke und sich nie von äußeren Einflüssen brechen lassende Protagonistin auf einer waschechten Tour de Force einmal in die Hölle und zurück – und das ist durchaus wortwörtlich zu verstehen. Auf ihrem von diversen zermürbenden Eskapaden begleiteten Lebensweg muss sie sich mit menschlichem Leiden, Tod, Inzest und falsch verstandener Nächstenliebe auseinandersetzen, während der diabolische Priester, dessen Herkunft sich erst nach und nach erschließt, die junge Frau nie zur Ruhe kommen lässt. Schon in den ersten fünf Minuten lässt das Drehbuch die beiden erstmalig aufeinander treffen – und selbst ohne das Wissen darum, was die beiden miteinander verbindet, erfüllt sich die Leinwand von jetzt auf gleich mit Eiseskälte. Diese Atmosphäre des Unmenschlichen, des Kaltherzigen und Verbitterten legt sich wie Blei auf „Brimstone“; nicht einmal die wenigen emotionalen Lichtblicke wie der liebende Ehemann Eli oder Liz‘ lebensfrohe Tochter Sam (Ivy George) scheinen in dieser Eiseskälte zu bestehen. Trotzdem hält Fannings Figur ihren Überlebenstrieb aufrecht und wird zu einer ebenbürtigen Gegnerin für den vermeintlich überlegenden Referent.
Je weiter „Brimstone“ voran schreitet, desto schwieriger wird es, die schmerzhafte Pein, die sämtliche (weibliche) Figuren hier ertragen müssen, mit anzusehen. Mit fortlaufender Spieldauer bohrt Martin Koolhoven immer tiefer in falsch verstandener Rollenaufteilung und erhebt stumm das Wort für die unterdrückten, misshandelten Ehefrauen und Töchter, für die sich Fannings Liz‘ schließlich stellvertretend auflehnt. „Brimstone“ ist unter den vielen gut gemeinten und letztlich doch immer an ihren eigenen Ansprüchen gescheiterten Filmen für Frauenrecht und Emanzipation (Stichwort: „Wonder Woman“) der erste, der es völlig ohne plakative Momente (und eben ohne es überhaupt aussprechen zu müssen) richtig macht – Liz ist möglicherweise die stärkste Filmheldin, die das Kinojahr 2017 hervorgebracht hat. Dies liegt natürlich in erster Linie an Dakota Fanning, die hier – zumeist reduziert auf Gestik und Mimik – eine herausragende Leistung der Getriebenen abliefert, die sich auch in entwürdigenden Momenten nie von ihrem Standpunkt abbringen lässt. Obwohl es die Situation mitunter geradezu provoziert, ausschließlich Mitleid für sie zu empfinden, drängt sie ihre Figur nie zusätzlich in eine Opferposition und behält so ihre Würde. Ihr gegenüber steht Guy Pearce in einer der stärksten Rollen seiner Karriere; die Figur des wahnhaften Paters ist erfüllt vom puren Bösen und verlangt dem „Memento“-Star alles ab. Ein Blick in seine hasserfüllten Augen genügt, um die Bedrohung für seine Umwelt auf einen Schlag greifbar zu machen. In Nebenrollen überzeugen vor allem die „Game of Thrones“-Stars Kit Harington als aufopferungsvoller Einsiedler, der Liz zur Seite zu stehen versucht, sowie Carice van Houten als ihre gepeinigte Mutter, die das Leid still für ihre Tochter erträgt.
Fazit: Das in seiner Düsternis und Kompromisslosigkeit kaum zu ertragene Rachedrama „Brimstone“ ist nicht bloß meisterhaft erzählt und bravourös inszeniert. Es fährt mit einem spektakulär-widerwärtigen Guy Pearce auch den abartigsten Bösewicht des diesjährigen Kinojahres auf – und eine bärenstarke Dakota Fanning!
„Brimstone“ ist ab dem 30. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.