Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte

Den Titel ihrer Vorlage musste die Bestseller-Verfilmung DIE UNGLAUBLICHE REISE DES FAKIRS, DER IN EINEM KLEIDERSCHRANK FESTSTECKTE abändern. Entscheidendere Argumente für oder gegen Ken Scotts Wohlfühlkomödie verraten wir in unserer Kritik.

Der Plot

Der junge Ajatashatru Lavash Patel (Dhanush) ist in Mumbai in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Obwohl er sich seinen Lebensunterhalt seit Kindestagen vornehmlich mit dem Abzocken von Touristen verdient, ist der gemeinhin Aja genannte Inder eine freundliche, optimistische Frohnatur, die zusammen mit ihrer Mutter davon träumt, eines Tages nach Paris zu fliegen. Als wenigstens Aja sich dieses Ziel endlich erfüllt, lernt er in der Stadt der Liebe die Amerikanerin Marie (Erin Moriarty) kennen, auf die er sofort ein Auge wirft. Die Zwei kommen ins Gespräch und machen eine Verabredung für den nächsten Tag aus. Doch das Treffen fällt aus. Denn Aja verschlägt es in einen Kleiderschrank eines Möbelhauses, der nach England verschifft wird. Und von dort aus nach Paris zurückzufinden, stellt sich als extrem schwierig heraus. Es beginnt eine Reise, in deren Verlauf Aja eigenwillige Menschen kennenlernt und in deren Probleme involviert wird…

Kritik

Kennerinnen und Kenner des Bestsellers „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Ikea-Schrank feststeckte“ wird Regisseur Ken Scott mit seiner Leinwandadaption in einem Punkt zweifelsohne enttäuschen: Der denkwürdige Titel des von Romain Puértolas verfassten Verkaufserfolgs wird beim Film einfach so abgeändert. Da der schwedische Möbelgigant keine Einwilligung gegeben hat, muss sich die Kinokomödie mit dem Titel „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ abgeben. Dadurch verliert der Stoff etwas seiner Spielerei, die Welt zusammenrücken zu lassen – den fernen Osten und den nahen Norden, romantisierte Mystik und globalisierten Möbelkommerz. Und auch im Film selbst ist Ikea nicht zu sehen, wobei Scott sich redlich bemüht, um die fehlende Partnerschaft mit dem Großkonzern herum zu filmen. So besucht Aja in Paris ein Möbelhaus mit blau-gelber Außenfassade, dessen Verkaufsflächen exakt so aussehen wie bei Ikea. Doch nie ist das Markenlogo zu sehen, nie wird der Name des Möbelhauses genannt. Scott verlässt sich darauf, dass das Publikum die „Informationslücken“ schon automatisch mit Ikea füllen wird. Das dürfte ihm gelingen: Scotts inszenatorische Selbstverständlichkeit sollte einige Zuschauerinnen und Zuschauer dazu bringen, nach dem Kinobesuch felsenfest davon überzeugt zu sein, dass der schwedische Möbelgigant in dieser Komödie ausgiebig vorkommt. Für Fans des Buches ist solch eine Abweichung zwischen Vorlage und Film hingegen selbstredend ein Affront.

Nelly (Bérénice Bejo) ist von ihrem Verehrer irritiert.

Aber im Ernst: Es ist gut, dass „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ die Faszination für Ikea, die Aja in der Romanvorlage verspürt, beibehält, selbst wenn die Firma nicht explizit im Film vorkommt. Dadurch, welche glühende Begeisterung der junge Aja verspürt, wenn er einen Möbelkatalog auswendig lernt und von einem Leben in schwedischer Massenfabrikationseinrichtung träumt, wird auf kurzweilige Weise Ajas euphorische Persönlichkeit deutlich. Darüber hinaus wird so pointiert das Gefälle zwischen Westeuropa, wo Ikea für viele Alltag darstellt, und Indien, wo es für Millionen von Menschen ein unrealistischer Luxustraum ist, skizziert. Solche Situationen gehen Scott gut von der Hand: Mit behänder Leichtigkeit zeigt er Ajas Optimismus, und auch seine Kennenlernmasche in einem Pariser Ikea, in den Ausstellräumen erschöpften Mittelklassealltag zu spielen,  ist auf unangestrengte Weise lustig. Auch beiläufige Gags gelingen Scott in seinem grell überbelichteten Weltreisefilm: Wenn sich etwa in Italien ein Gangster und ein Polizist freundlich duzend grüßen oder der Pariser Taxifahrer Gustave (Gérard Jugnot) mit liebevollem Großonkellächeln Touristen abzockt, ist das zwar alles andere als feinsinniger Humor. Doch die Mischung aus zügigem Timing und selbstverständlicher Nebensächlichkeit lässt diese und ähnliche Pointen in „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ trotzdem sitzen. Wenn es aber um vollständige Setpieces geht, wird diese Komödie oft arg mühselig.

In Romain Puértolas‘ Drehbuchadaption seines eigenen Romans, die er mit Luc Bossi, Jon Goldman und Ken Scott abgewickelt hat, werden diverse Situationen oft ausführlich und angestrengt eingefädelt, was deren komödiantisches Potential enorm hemmt. Der Tiefpunkt des Films ist wohl die Zwischenetappe, in der Aja die von ihrer Berühmtheit gelangweilte Schauspielerin Nelly („The Artist“-Nebendarstellerin Bérénice Bejo) kennenlernt. Als arrogantes Biest eingeführt, wird sie schlagartig nicht nur handzahm, sondern auch zu einer überaus eifrigen Unterstützerin Ajas. Bejo gelingt es kein Stück, der völlig identitätslos geschriebenen Rolle eine konsistente Persönlichkeit zu verleihen und die kleinen Dramen und Gags rund um Nellys Liebes- und Berufsleben sind angesichts der schalen Charakterisierung und klischeehaften Entwicklung einfach nur erzählerischer Ballast. Ein Gros des Films schlägt derweil in eine ähnliche Kerbe wie „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“ und vergleichbare Filme: Culture-Clash-Scherzlein wechseln sich mit großen und kleinen Morallektionen ab. Anders als Peter Chelsoms in leinwandfüllenden, starken Bildern gehaltene Weltreise des von Simon Pegg verkörperten Hector reiht „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ seine Erkenntnisse und Botschaften jedoch wahllos aneinander. Wo „Hectors Reise“ durchwegs auf ein narratives Ziel und eine alle Stationen einende Feststellung hinarbeitet, schlägt „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ wahllos Haken – von „Teilen erfüllt mehr als Behalten“ über „Gib die Liebe nicht auf“ bis hin zu „Sehe mit dem Herzen, nicht mit den Augen“ sowie „Europas Behörden behandeln Flüchtlinge schlecht“.

Für diese Beiden ist das Leben in Armut nur ein indisches Abenteuer

Und auch wenn das Einarbeiten der Flüchtlingsthematik völlig kopflos erfolgt und der Film das Leid derjenigen, die in Europa ein neues Leben beginnen wollen, arg verniedlicht, gibt dieser Handlungsstrang wenigstens „Captain Phillips“-Star Barkhad Abdi die Chance als halboffizieller Anführer einer Gruppe Fliehender mit trockenen Sprüchen zu überraschen. Sympathisch ist auch Erin Moriarty als Ajas Zufallsbekanntschaft und Liebe auf den ersten Blick. Die „Captain Fantastic“-Mimin hat eine überzeugende Chemie mit Hauptdarsteller Dhanush und findet in ihren wenigen Filmminuten, ihre Rolle dank zweifelnder Augenaufschläge und besonnener Mimik vor der radikalen Stereotypsierung zu retten, die ihr auf Skriptebene (vor allem im dritten Akt) droht. Dhanush, der in seiner Heimat ein absoluter Superstar ist, schlägt sich zu guter Letzt in seinem englischsprachigen Debüt gut, er überzeugt sowohl in albern-überzeichneten Momenten als auch in den ruhigeren Augenblicken. Die Sequenzen, in denen Glückskekssprüche als lebensverändernde Erkenntnisse vermittelt werden, kommen zwar mit der Finesse eines Möbellieferwagens, allerdings bleibt dank Dhanushs Ausstrahlung der Fremdschamfaktor gering: Von einer völlig überzogenen, aus dem Nichts kommenden Musicalsequenz abgesehen, bleibt „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ eng an Ajas goldig-gutmütigem Gemüt – und so springt der Funke allem Klamauk und Motivationsposter-Gesäusel zum Trotz immer wieder szenenweise über.

Fazit: Die Bestseller-Verfilmung „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ fügt dem Trend der Wohlfühl-Reisekomödien mit literarischer Vorlage einen bemühten Vertreter hinzu: Bunt, betont gut gelaunt und mit großen Botschaften über das Leben, die Liebe und das weltliche Miteinander – sowie mit schalen Figuren und forcierten Lektionen.

„Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“ ist ab dem 29. November 2018 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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