Free Guy

Shawn Levys Actioncomedy und Gaming-Hommage FREE GUY hat aufgrund der Pandemie ewig auf sich warten lassen. Doch dank Ryan Reynolds unermüdlichem PR-Einsatz kam man um immer wieder neue Trailer und Eindrücke nicht herum. Nun hat das Warten nicht nur ein Ende – es hat sich auch gelohnt! Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.

OT: Free Guy (USA 2021)

Der Plot

Guy (Ryan Reynolds) führt das einfache Leben eines Kassierers bei der Free City Bank. Er strahlt eine positive Einstellung und optimistische Heiterkeit aus und trinkt immer gerne eine Tasse guten Kaffees. Diese Lebenslust teilt er mit seinem besten Freund Buddy (Lil Rel Howery), bis sich eines Tages alles schlagartig ändert. Denn er entdeckt, dass er nichts weiter ist als eine Hintergrundfigur in dem extrem brutalen Open-World Videogame „Free City“. In dem überaus populären Spiel, das von den Soonami Studios und ihrem gierigen Boss Antwan (Taika Waititi) vertrieben wird, regieren Chaos und Zerstörung. Die Spieler in diesem Universum, die keine Hemmungen kennen, erreichen ein höheres Level, indem sie grundlose Gewalt- und Zerstörungsakte begehen. Guy lernt die hyper-attraktive Molotovgirl (Jodie Comer) kennen, in die er sich sofort verliebt. Sie hilft ihm, sich in diesem Spiel zurechtzufinden und damit klarzukommen, dass sein Leben nicht real ist. Molotovgirl, die in der realen Welt den Namen Millie trägt, hat ein Hühnchen mit Soonami Studios zu rupfen, denn sie glaubt, dass Antwan die Codes von einem Spiel gestohlen hat, das sie und der Programmierer Keys (Joe Keery) an die Firma verkauften.

Kritik

Die Welt in „Free Guy“ ist zu Beginn zynisch und gewalttätig. Am Ende ein friedvoller Ort voller guter Laune und Spaß. Da schlagen Gamerinnen und Gamer sogleich die Hände über dem Kopf zusammen: Ist die in den Trailern als Ryan-Reynolds-Gute-Laune-Spaß angekündigte Actionkomödie womöglich eine moralinsaure Angelegenheit, in der es wieder einmal darum geht, das Klischee vom Gaming zu bedienen, dass insbesondere das Spielen von Ego-Shootern allen voran dazu da ist, die Verbrecher und Amokläufer der Zukunft zu formen? Vielleicht wäre „Free Guy“ tatsächlich so ein Film geworden, bestünde das Team dahinter nicht selbst aus leidenschaftlichen Spieler:innen. Im Grunde hätte man schon an dem Punkt hellhörig werden müssen, an dem sich Hauptdarsteller und Produzent Ryan Reynolds („6 Underground“) mit einer immensen Energie dahinterklemmte, über Social Media die Wartezeit auf das coronabedingt mehrfach verschobene Projekt zu verkürzen. Wir erinnern uns: Vergleichbar euphorisch präsentierte der sich das letzte Mal in der Entstehungsphase von „Deadpool 1 und 2“. Und diese kamen bekanntermaßen nicht nur bei Publikum und Presse gut bis sehr gut weg, sondern lebten in erster Linie von Ryan Reynolds Performance als Marvel-Antiheld Deadpool, in der er sich selbst sichtlich genoss und dessen Herzblut sich auf die gesamte Produktion zu übertragen wusste. Nun lebte Reynolds‘ Deadpool-Darstellung nicht nur von bissigem Humor, sondern auch von genau jenem Zynismus, der auch zu Beginn von „Free Guy“ in dem Open-World-Game Free City dominiert. Doch der Schauspieler wiederholt seine Performance mitnichten, sondern liefert genau das Gegenteil ab: Eine „The LEGO Movie“-Emmett-Gedächtnisrolle, den Inbegriff des gut gelaunten Naivlings, den ultimativ-herzlichen Sympathling und hoffnungslosen Glaubensträger an eine Zukunft, in der auch er als NPC endlich jenes Leben führen möchte, das er sich vorstellt.

In Free City hast du als Spieler (auch) freie Kleiderwahl…

Die Abkürzung NPC steht für „Non-Player Charakter“ und bezeichnet im Grunde all die Statisten im Hintergrund eines Videospiels, die die Szenerie mit Leben füllen, während um sie herum die Spielerinnen und Spieler die ihnen auferlegten Missionen erfüllen. Manch ein Titel lässt auch Interaktionen mit ihr zu; In Free City etwa gibt es für den Kill von NPCs Extrapunkte. Sie haben also durchaus ihren interaktiven Nutzen, tun allerdings nur genau das, wofür sie programmiert wurden. Guy in „Free Guy“ etwa ist ein täglich im selben hellblauen Hemd gekleideter Bankangestellter, dessen einzige Aufgabe es ist, während einer Bankraubszenerie die Arme zu heben und sich anschließend zusammen mit seinem Kollegen Buddy auf den Boden zu legen, bis der Überfall vorbei ist. Entsprechend vorhersehbar gestaltet sich der Alltagstrott, der zugegebenermaßen gar nicht so sehr von manch einem echten Alltag abweicht: Jeden Morgen die gleiche Kleidung, die gleiche Kaffeespezialität, der gleiche Job, die gleichen Gesprächsthemen – manch eine/r wird sich mit Guy identifizieren können. Umso mitreißender gerät schließlich früh sein Ausbruch aus dieser Wiederholungsschleife: Denn als Guy im Coffeeshop seines Vertrauens nicht einfach einen Cappuccino bestellen kann, weil sein Code eben nur die Bestellung einer speziellen Kaffeezusammensetzung vorsieht, entdeckt Guy sukzessive sein Dasein als Künstliche Intelligenz, die es gar nicht einsieht, sich an die vom Spiel auferlegten Regeln zu halten. Die von Reynolds von Beginn an an den Tag gelegte Attitüde eines dauergrinsenden, permanent gut gelaunten Sonnenscheins übernimmt Guy auch im Rebellionsmodus. Und so spaziert fortan ein plötzlich von allem um sich herum faszinierter, zudem hoffnungslos in einen Spielcharakter verknallter Guy durch die Szenerie, der sich wie ein kleines Kind über Kaugummieiscreme freut, oder einfach nur darüber, dass er endlich mal etwas anderes anziehen kann als ein hellblaues Hemd – ein hellblaues Langarmshirt zum Beispiel.

„Ryan Reynolds spaziert als von allem um sich herum faszinierter, zudem hoffnungslos in einen Spielcharakter verknallter Guy durch die Szenerie, der sich wie ein kleines Kind über Kaugummieiscreme freut, oder einfach nur darüber, dass er endlich mal etwas anderes anziehen kann als ein hellblaues Hemd.“

Ryan Reynolds überschäumende Euphorie ist einfach ansteckend. Und so wirkt es eben auch überhaupt nicht belehrend, sondern vollends in seiner Charakterzeichnung verhaftet, wenn Guy es sich zum Vorhaben erklärt, seinen Spielstatus hochzuleveln (und dadurch vor allem Vorteile im Flirt mit seiner Angebeteten zu erlangen), indem er die brutalen Regeln in Free City kurzerhand aushebelt. Anstatt andere NPCs abzuknallen, sich wüste Schlägereien zu liefern oder sich an noch viel schlimmeren Missetaten zu beteiligen, hilft er eben einer alten Frau dabei, ihr Kätzchen wiederzufinden oder wird zum Streitschlichter einer Prügelei. Diese „Ich mache die Stadt zu einem besseren Ort!“-Mentalität verhilft „Free Guy“ auch zu seinem insgesamt sehr positiven Tonfall, der den Film jetzt schon zu dem – im wahrsten Sinne des Wortes – Feel-Good-Film des Jahres macht. Denn so sehr sich Guys Begeisterung für die Welt um ihn herum auch auf das Publikum überträgt, so gut funktioniert es auch, diese Stimmung innerhalb der Filmwelt zu multiplizieren. Das Freidrehen einer NPC und damit einhergehend seine Mission von einer besseren Welt entwickelt sich in „Free Guy“ zu einem viralen Phänomen, dem sich mitunter auch bekannte, internationale Let’s-Play-Größen bekannter Spieleplattformen widmen und begeisterte Videos dazu drehen, wie sie in Free City nach dem „Blue Shirt Guy“ suchen. Insbesondere für Kenner:innen der Szene erweist sich „Free Guy“ als ein Sammelsurium aus Querverweisen, Easter Eggs und Cameos (!), das weit über bloßes Namedropping à la „Ready Player One“ hinausgeht. Und wer schon glaubte, mit „Ralph reichts“ und „Chaos im Netz“ wäre das Optimum detailreicher Spielweltnachempfindungen erreicht, der wird mit „Free Guy“ eines Besseren belehrt.

Guy (Ryan Reynolds) und seine Angebetete Molotov Girl (Jodie Comer).

Die wohl größte Inspiration für Free City dürfte der mittlerweile zehn Teile umfassende Open-World-Klassiker und Third-Person-Shooter „Grand Theft Auto“ sein. Doch Regisseur Shawn Levy („Nachts im Museum 3 – Das geheimnisvolle Grabmal“) nutzt es voll aus, dass „Free Guy“ eben keine klassische Videospielverfilmung ist, er sich also sklavisch an bestimmten Details entlanghangeln muss, um nicht zu riskieren, es sich mit den Fans der Vorlage zu versauen. Stattdessen sind es diverse Spielrealitäten,- Modi und -Funktionen (allein die ständig wiederaufkeimende Diskussion über Guys Hautton steht stellvertretend für die detailverliebte Kleinstarbeit, die von den Kreativen hier geleistet wurde), mit denen die Macher:innen von der ersten bis zur letzten Sekunde unter Beweis stellen, dass sie die Welt, aus der heraus sie erzählen, verstehen. Und so ist „Free Guy“ in seinen knappen zwei Stunden eben nicht nur bis oben hin vollgepackt mit (Wahn-)Witz, Tempo und Überraschungsauftritten zahlreicher (manchmal nur akustischer) Superstars und -Franchises, sondern auch mit diversen treffsicheren Beobachtungen; mal auf das Spielverhalten der Gamer:innen bezogen, mal auf die Bewegungen ihrer Spielfiguren und ein anderes Mal wiederum auf das Design der Stadt und der hier dargebotenen Möglichkeiten. Dass „Free Guy“ dank seines üppigen Budgets von etwa 125 Millionen US-Dollar obendrein auch noch verdammt wertig aussieht, wird da fast zur Randnotiz. Die meiste Zeit über spielt sich der Film in Realfilmoptik ab (immer bestückt mit CGI-Effekten, die Free City klar erkennbar zu einer Computerspielewelt machen). Doch hin und wieder zoomt die Kamera auch heraus und zeigt sowohl Guy als auch die anderen Figuren als 3D-Charaktere. Dies geschieht allen voran dann, wenn „Free Guy“ seine Im-Spiel-Erzählebene verlässt und sich jenen Leuten widmet, die vor den Computerbildschirmen sitzen.

„‚Free Guy‘ ist in seinen knappen zwei Stunden eben nicht nur bis oben hin vollgepackt mit (Wahn-)Witz, Tempo und Überraschungsauftritten zahlreicher (manchmal nur akustischer) Superstars und -Franchises, sondern auch mit diversen treffsicheren Beobachtungen.“

Die Realfilmhandlung rund um einen exzentrischen Konzernchef (großartig überdreht: Taika Waititi) und seine Spieleentwickler:innen, die das Potenzial in einem freidrehenden NPC erkannt haben und daher alles unternehmen, um ihren Boss am Abschalten des Spiels zu hindern – die genaue Motivation dafür ist zwar weitestgehend an den Haaren herbeigezogen, aber hey: irgendeine Handlung braucht es schließlich! – erweist sich als nicht weniger kurzweilig. Die Chemie zwischen Joe Keery („Molly’s Game“) und Jodie Comer („Star Wars: Episode IX – Der Aufstieg Skywalkers“) als befreundetes Programmiererpaar ist zauberhaft und holt die von Guy ausgehende Positivität immer wieder auch in die im Film „echte Welt“. Am Ende ist schließlich auch „Free Guy“ vor allem ein Appell daran, das Positive um uns herum wahrzunehmen. Und wir wetten: Nach diesem Film wird man es sich das nächste Mal doppelt und dreifach überlegen, ob man einen harmlosen NPC nun über den Haufen schießt, oder ihn ganz einfach sein Tagwerk verrichten lässt…

Fazit: Für Kenner:innen der Gamingszene ist „Free Guy“ eine Goldgrube, doch auch für alle anderen halbwegs Interessierten erweist sich das Ryan-Reynolds-Vehikel als großes, positiv gestimmtes Vergnügen mit riesiger Gag-Trefferquote, zahlreichen Überraschungen und einer Story ohne Längen, in der alle Beteiligten den Spaß ihres Lebens haben.

„Free Guy“ ist ab dem 12. August 2021 in den deutschen Kinos zu sehen.

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