Gemini Man

Regievirtuose Ang Lee bläst mit seinem Science-Fiction-Thriller GEMINI MAN zum Angriff auf die Sinne und präsentiert Action in spektakulärer HDR-Optik in 120 frames per second. Die Story kann da nicht ganz mithalten, ein Muss im Kino ist dieser Meilenstein der Kinotechnik trotzdem. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Henry Brogan (Will Smith) ist ein ausgebuffter Schütze und ehemaliger Elitesoldat, der immer dann gerufen wird, wenn die Situation bereits aussichtslos erscheint. Doch plötzlich gerät Henry selbst ins Visier seiner Feinde, als er eines Tages mitten im Zentrum der Verfolgung durch einen mysteriösen jungen Agenten wiederfindet. Dieser scheint ihm nicht nur stets mehrere Schritte voraus, sondern kämpft auch mit ähnlichen Mitteln wie Henry selbst. Nachdem er sich mit seinem ehemaligen Kollegen Baron (Benedict Wong) und der toughen Agentin Danny (Mary Elizabeth Winstead) verbündet hat, nimmt das Trio die Spur des mysteriösen Killers auf, der sich als eine jüngere Version von Henry selbst entpuppt. Was hat es damit auf sich? Und was hat der Wissenschaftler Clay Verris (Clive Owen) damit zu tun, der in dem jungen Agenten einen Sohn sieht?
Kritik
Vor drei Jahren erschien Ang Lees Kriegsdrama „Die irre Heldentour des Billy Lynn“, das trotz einer beispiellosen Starbesetzung mit unter anderem Kristen Stewart, Vin Diesel, Steve Martin und Chris Tucker nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit lief. Der Grund dafür dürfte mitunter das unentschlossene Drehbuch gewesen sein. Trotzdem ist „Billy Lynn“ wichtig für Lees weiteren Werdegang als Regisseur und dürfte nun rückwirkend vielleicht noch mehr etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten. Denn für den „Life of Pie“-Regisseur war dieser Film damals nur so etwas wie ein Testlauf, um sich einer neuen, technischen Herausforderung des Filmemachens zu stellen. „Billy Lynn“ wurde mit einer Framerate von 120 Bildern pro Sekunde, in 3D und 4K gedreht – normal sind 24 Bildern pro Sekunde, der HFR-Versuch „Der Hobbit“ kam damals in ausgewählten Kinos immerhin auf 48. Da jedoch – übrigens bis heute – kaum ein Lichtspielhaus dieser Welt dazu in der Lage ist, einen 120fps-Film entsprechend abzuspielen, entschied man sich bei „Billy Lynn“ vorzugsweise für eine klassische Auswertung in 2D und den üblichen 24fps. Lees neuester Film kann nun davon profitieren, dass mittlerweile viele Kinos einem noch höheren technischen Standard entsprechen. „Gemini Man“, ebenfalls gedreht in 120 frames per second, erscheint in vielen Kinos mit einer Bildrate von 60. Und schon diese Umsetzung bietet dem Zuschauer ein ganz neues Erlebnis von „Mittendrin, statt nur dabei“-Gefühl. Selten war man näher dran an Verfolgungsjagden, Explosionen und Schießereien.

Henry (Will Smith) und Danny (Mary Elizabeth Winstead) versuchen, dem killenden Doppelgänger auf die Spur zu kommen.
Nachdem James Cameron 2009 mit seinem Fantasyabenteuer „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ den 3D-Effekt wieder salonfähig machte, schossen die Trittbrettfahrer kurz darauf wie Pilze aus dem Boden. Diese Nachwehen einer technischen Revolution halten bis heute an. Und einige davon schmerzen mehr als andere. Insbesondere die bei konvertierten 3D-Filmen auftretenden Probleme mit Unschärfen vermiesen vielen Kinoliebhabern den Griff zur Brille. Hinzu kommen Kinos, die den leichten Verdunkelungseffekt nicht über den Projektor ausgleichen. Auch die angestiegenen Preise für Zuschläge haben den Ruf des dreidimensionalen Films nachhaltig beschädigt. Und all dem könnte Ang Lee nun entgegenwirken, denn für seinen „Gemini Man“ präsentiert er die 3D-Optik von ihrer – im wahrsten Sinne des Wortes – brillantesten Seite. Selbst in hektischen Momenten wie etwa bei rasanten Kamerafahrten und -Schwenks kommt es niemals zu Unschärfen. Die Bewegungen sind so fließend wie nie, was sich insbesondere bei Szenen zeigt, in denen Wasser eine Rolle spielt. All das nutzt Ang Lee übrigens nicht dafür, um dem Zuschauer permanent reißerisch Dinge ins Gesicht fliegen zu lassen. „Gemini Man“ punktet nicht mit schnöden Jahrmarkt-Effekten, sondern setzt vor allem auf Tiefe. Der Detailreichtum der Kamera lässt es plötzlich zu, dass ein einziges Bild viel mehr Informationen enthält als früher. Und selbst wenn die Kamera die im Vordergrund miteinander sprechenden Figuren fokussiert, lässt sich im Hintergrund immer noch jedes einzelne Haus der Skyline Budapests entdecken. Das kann zweifelsohne erst einmal befremdlich sein und erfordert eine gewisse Eingewöhnungszeit, eh man sich voll und ganz auf dieses Erlebnis einlassen kann. Doch dann eröffnen sich einem auf der Leinwand plötzlich nie geahnte Perspektiven – im wahrsten Sinne des Wortes.
Einen weiteren tricktechnischen Meilenstein liefert Ang Lee mit der ersten vollständig am Computer erschaffenden Menschenfigur, die in einem Realfilm eine Hauptrolle spielt. In „Gemini Man“ muss es der heute 51-jährige Will Smith alias Henry mit seinem jüngeren Ich auf sich nehmen – und diesen hat Smith nicht etwa ebenfalls verkörpert (auch wenn der Schauspieler im Abspann des Films als Doppelrolle geführt wird, weil er für seine 20 Jahre jüngere Nachbildung als direkte Vorlage diente und natürlich auch das Voice-Acting übernahm), sondern ist eine vollständig digital entstandene Nachbildung. Nun möchte man vermuten, dass ja bei einer derart hochauflösenden Optik jede noch so kleine Abweichung vom CGI-Optimum sofort negativ ins Gewicht fällt. Und so fällt auch hier eine nie geahnte Perfektion auf, mit der sich der junge Will Smith zu keiner Sekunde als Computerfigur erahnen lässt. Insbesondere eine Szene in der ersten Hälfte von „Gemini Man“ lässt einen ob der tricktechnischen Brillanz staunen, wenn man sich nicht nur so fühlt, als würde man (anstatt Will Smith) gerade selbst das Motorrad steuern, auf dem er seinem Klon hinterherjagt, sondern sich darüber hinaus auch noch mit einem echten Menschen als Widersacher konfrontiert sieht. Am Ende lässt Ang Lee keinerlei Zweifel daran, dass er mit „Gemini Man“ perfektioniert hat, womit er bereits vor vielen Jahren zu experimentieren begonnen hat – dieser Film ist aus technischer Sicht das Beste, was es aktuell im Kino zu sehen gibt.
Doch wie das ja bei vielen Filmen so ist, die (trick-)technische Maßstäbe setzen, gerät die nicht minder wichtige Geschichte hier gern mal ins Hintertreffen. Und von diesem (wenn auch nicht allzu scharfen) Vorwurf kann sich auch Ang Lee nicht vollständig frei machen. Das Drehbuch aus der Feder von David Benioff („Troja“), Billy Ray („Operation: Overlord“) und Darren Lemke („Shazam!“) präsentiert einen handelsüblichen Sci-Fi-Thrillerplot, in dem sich der Protagonist schieß- und kampfwütig gegen seinen Klon zur Wehr setzen muss, während er ganz nebenbei herauszufinden versucht, weshalb man ihn überhaupt ungefragt reproduziert hat. Das dabei vorrangig behandelte Thema rund um die Grenzen der Wissenschaft, das sich auf eine recht einfältige „Heiligt der Zweck die Mittel?“-Frage herunterbrechen lässt, versieht das Genre nicht zwingend mit neuen Impulsen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass der Film durch das hohe Tempo, die beeindruckende Performance des zwischen gebrochen und rebellierend aufspielenden Will Smith und nicht zuletzt die spektakulären Drehorte auch ohne den ganzen Technik-Schnick-Schnack wahrlich kurzweilige Unterhaltung bietet. Nichts desto trotz bleiben die Figuren auf ihre erzählerische Zweckmäßigkeit beschränkt und die ein oder andere Plotüberraschung gibt sich ein wenig zu früh zu erkennen. So funktioniert „Gemini Man“ in letzter Instanz dann eben doch vor allem als Gesamtkonzept und ist in dieser Form eines, wenn nicht gar das Must-See des Kinojahres 2019 – wann konnte man das letzte Mal behaupten, etwas noch nie gesehen zu haben?
Fazit: Die Story von „Gemini Man“ beschränkt sich auf bewährte Themen im Science-Fiction-Genre. Doch betrachtet man den Actionblockbuster mit einem doppelten Will Smith in der Hauptrolle einmal als Gesamtkonstrukt, dann wünscht man sich, Ang Lee würde mit diesem technisch auf jeder Hinsicht gelungenen Experiment die Begeisterung fürs Kino neu entfachen, so wie einst James Cameron mit „Avatar“.
„Gemini Man“ ist ab dem 3. Oktober bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen – in vielen Kinos in 60fps, 4K und 3D.