Familie Willoughby

Basierend auf einem Kinderbuch von Lois Lowry erzählt die schwarzhumorige Netflix-Animationskomödie FAMILIE WILLOUGHBY von zwei wahren Rabeneltern und ihren sich Freiheit erkämpfenden Kindern. Wie sehr das überzeugt, verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Der Willoughby-Clan war einst ehrwürdig und einflussreich – und durchzogen von Männern mit leuchtend-roten Haaren und prächtigen, mächtigen Schnauzbärten. Doch spätestens mit Vater Willoughby ist die Familie zugrunde gegangen. Er ist ein völlig ichbezogener, herzloser Trottel, der sein ältestes Kind direkt nach der Geburt angewidert in den Flur verbannt, weil es durch seine Geburt seine Mutter entweiht hätte. Mama Willoughby ist kaum einen Deut besser, und gemeinsam sind sie nicht nur eiskalte Eltern mit drakonischen Strafen, sondern zudem ein vollauf seltsames bis ekliges Pärchen. Ihre vier Kinder kennen es aber nicht anders und nehmen den Tonfall im Willoughby-Anwesen als gegeben hin. Bis ihnen ein Waisenkind vor die Tür gesetzt wird…
Kritik
Regie bei diesem Netflix-Animationstitel führte Kris Pearn. Der mag nun nicht ein geläufiger Name sein, aber man muss nur erwähnen, dass er zuvor „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen 2“ verantwortete, und schon erklärt sich, weshalb „Familie Willoughby“ so ist, wie dieser Film nun einmal ist: Pearn bleibt seinem Stil treu, ein hohes Tempo vorzulegen, ohne sein animiertes Treiben in wuseliges Chaos ausarten zu lassen. Und wie schon seine Fortsetzung des Lord-und-Miller-Hits aus dem Jahr 2009 setzt auch „Familie Willoughby“ auf einen Animationsstil, der sich vom CG-Alltag abhebt. Nach dem besonders flüssigen, dynamischen „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen 2“ ist dieser Film nun bewusst erratisch gehalten: Die leicht kantig gestalteten Figuren und die Welten, durch die sie sich bewegen, sind etwas sprunghaft animiert, bewegen sich erst für ein paar Sekunden völlig normal gleitend, aber dann stocken ihre Bewegungsabläufe gelegentlich, und als würden ein paar Frames fehlen, hüpft ihr Animationszyklus ruckartig ein paar Schritte voraus. Wenn die sarkastische Erzählerkatze (im Original: Profi-Zyniker Ricky Gervais, in der deutschen Fassung ein pointiert-abschätziger Philipp Moog alias ‚Der spricht doch immer Ewan McGregor!‘) anfangs durch das Bild elegant-arrogant spaziert und auf einmal von A nach B stottert, ehe es mit hochnäsiger Galanz weitergeht, ist das sicherlich zunächst irritierend. Nicht zuletzt aufgrund der Sehgewohnheiten im Medium Computeranimationsfilm.
Aber Pearn versteht was von seinem Medium und davon, wie wir es rezipieren – und eröffnet „Familie Willoughby“ clevererweise mit einer Art „Eingewöhnungsphase“. Erst schnöselt sich der uns durch die Geschichte führende Kater durch ein paar humorvolle Allgemeinplätze, dann durch eine Montage an exemplarischen Momenten aus der Willoughby-Vorgeschichte. Diese sarkastischen Vignetten über diese durch und durch dysfunktionale Familie etablieren nicht nur den Tonfall des Films und vermitteln kurz und knackig, mit welchen Persönlichkeiten wir es in „Familie Willoughby“ zu tun bekommen – sie ermöglichen es als kompakte Episoden auch, sich in diesen Animationsstil „einzufühlen“, bevor die Handlung ins Rollen kommt. Und dieses Übertragen der bewusst reduzierten und kantig-stilisierten Ästhetik der kultigen UPA-Cartoons, die vor allem die Kurzfilme der 1950er beeinflusst haben, in das CG-Medium ist zudem mehr als Augenwischerei oder „Ich ahme das mal nach, weil … Bock!“: Die erratische Animation spiegelt die sprunghafte Charakteristik der handlungsrelevanten Figuren. Die Willoughby-Eltern switchen schlagartig von dümmlichen Schnöseln zu boshaften Erziehungsberechtigten zu dauerrattigen Liebenden, die Willoughby-Kinder sind in der einen Sekunde niedergeschlagen, in der nächsten schaukeln sie sich in cartoonigen Racheplänen hoch und in der übernächsten sind sie liebenswerte Chaoten, die einfach nur versuchen, zusammenzuhalten.
„Wenn die sarkastische Erzählerkatze anfangs durch das Bild spaziert und auf einmal von A nach B stottert, ehe es mit hochnäsiger Galanz weitergeht, ist das sicherlich zunächst irritierend.“
Diese Unberechenbarkeit sorgt nicht nur für großes Spaßpotential (man liebt es einfach, den von Martin Short respektive Axel Malzacher vertonten Willoughby-Vater zu hassen oder sich darüber zu wundern, wie die Willoughby-Kinder nun wieder auf die Erwachsenen um sie herum eingehen), sondern zeichnet auch ganz nebenher ein plausibles, berührendes Bild von den Folgen einer kaputten, schädlichen Familiendynamik: Im Hause Willoughby ist gesundes Miteinander nur unter den vier Geschwistern gegeben, und selbst die sind aufgrund ihrer Eltern ziemlich verkorkst, weshalb die Willoughby-Zwillinge nur zwischen völlig verschüchtert und total destruktiv springen, was den mal vernünftigen, mal verblendeten ältesten Willoughby-Spross zur Verzweiflung bringt, während seine Schwester mal vermittelt, mal vehement ihr eigenes Ding durchzieht. Und schon ecken die Kids wieder untereinander dramatisch an.
Wenn sich bei den Willoughby-Kindern dann erst aufgrund eines Findlings Beschützerinstinkte breit machen und sie später aufgrund einer (aufgekratzt-)fürsoglichen Nanny die Chance auf ein liebendes Umfeld ergattern, alle möglichen Bemühungen des Kindermädchens aber sträflich missverstehen, tritt diese Komponente des Films zunehmend stärker in den Vordergrund: „Familie Willoughby“ ist zwar bis zum Schluss primär eine kauzige Animationskomödie, doch nach und nach verwandelt sich aus einem episodenhaften Mix aus Cartoon-Slapstick und schwarzem Humor eine herzliche Erzählung darüber, wie es ist, sich aus einem toxischen Familiengeflecht zu befreien.
„Diese Unberechenbarkeit sorgt nicht nur für großes Spaßpotential, sondern zeichnet auch ganz nebenher ein plausibles, berührendes Bild von den Folgen einer kaputten, schädlichen Familiendynamik.“
Was aber über die Dauer des Films ein Stück weit verloren geht, ist die subversive Ader, die er eingangs so deutlich zeigt: Die Gags werden harmloser und der Verlauf eines komödiantischen oder cartoonig-actionreichen Setpieces lässt sich von Mal zu Mal leichter vorhersagen – womit sich der Kreis schließt: Weder Autor/Regisseur Pearn noch sein Schreibpartner Mark Stanleigh sind halt Lord & Miller, die den ersten, konsequent-schrägeren und subversiveren „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ verantworteten.
Fazit: „Familie Willoughby“ ist ein ästhetisch origineller, gewitzter Animationsfilm über Kinder, die sich aus einem kaputten Familiennetz befreien. Das ist durchweg temporeich, wird aber gegen Schluss leider etwas konventionell.
„Familie Willoughby“ ist ab sofort bei Netflix streambar.
Der Bericht hat mich sehr zum positiven Bewegt. Die Animatipn muss ich sehen.