The Square

Ruben Östlunds Kunstsatire THE SQUARE gewann bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme als bester Film. Nun kommt die nur auf den ersten Blick sperrige, brüllend komische Komödie auch in die deutschen Kinos. Weshalb sie unbedingt einen Blick wert ist, das verrate ich in meiner Kritik.
Der Plot
Christian (Claes Bang) ist der smarte Kurator eines der größten Museen in Stockholm. Die nächste spektakuläre Ausstellung, die er vorbereitet, ist „The Square“. Es handelt sich um einen Platz, der als moralische Schutzzone fungieren und das schwindende Vertrauen in die Gemeinschaft hinterfragen soll. Doch wie bei den meisten modernen Menschen ist es auch bei Christian nicht weit hin mit diesem Vertrauen – auch er verriegelt die Tür seines stylischen Apartments und würde seinen Tesla nicht unbeaufsichtigt in einer zwielichtigen Gegend parken. Als Christian ausgeraubt wird und ihm kurz darauf die provokante Medienkampagne zu „The Square“ um die Ohren fliegt, geraten sein eigenes Selbstverständnis wie auch sein Gesellschaftsbild schwer ins Wanken.
Kritik
Es ist ein Leichtes, sich über eine ganze Branche lustig zu machen. Erst recht dann, wenn einem die Spleens und Eigenheiten der ihr angehörenden Zeitgenossen die Nachdichtung auf dem Silbertablett servieren. Insofern hätte Ruben Östlund, Autor und Regisseur des dramatisch überschätzten Beziehungsdramas „Höhere Gewalt“, mit seiner satirischen Komödie „The Square“ viel falsch machen können, hätte er sich darauf beschränkt, von oben auf den Kulturzirkus herabzublicken. In manchen Szenen kommt das verächtliche Schmunzeln über die absurden Ausläufer der Kunstszene mitunter durch; und zwar immer dann, wenn er das Engagement der Künstler als pure Selbstbeweihräucherung entlarvt, die ihrer Vision von dem, was Kunst ist, vorangestellt wird. Kaum eine der diversen Installationen in dem hier im Mittelpunkt stehenden Stockholmer Museum lässt erkennen, was sich der Verantwortliche dabei gedacht hat. Mehr noch: Wenn beim täglichen Reinigungsprozess aus Versehen eine Handvoll Kieselsteine eingesaugt werden, die eigentlich, zu kleinen Häufchen geformt, einem großen Werk angehören, wird so ein Faux-Pas schon mal damit behoben, indem Museumsleiter Christian ganz einfach die Anweisung gibt, die Zerstörung mithilfe anderer Steine zu beseitigen – auffallen tut es letztlich wohl nicht einmal dem Schöpfer selbst. Diese Beschränkung darauf, sich weniger mit den kreativen Köpfen hinter dem Schaffen zu befassen, als vielmehr mit dem, was am Ende dabei herauskommt, klingt auf den ersten Blick oberflächlich; schließlich wäre es doch die einfachste Idee, auch den Künstlern selbst eine Stimme zu geben und den vermeintlichen Humbug eben doch als wertvoll zu verteidigen. Darum geht es Ruben Östlund aber gar nicht. Sein „The Square“ entlarvt vielmehr das System, in dem man selbst dann zu einer von sich selbst und seinem Umfeld vollkommen ernst genommenen Persönlichkeit werden kann, wenn man selbst gar nicht weiß, wofür man eigentlich gerade Leidenschaft und Fachwissen aufbringen soll.
Schon die aller erste Szene, die gleichermaßen die tonale Richtung von „The Square“ vorgibt, ist pures Comedygold, wenngleich sie ebenso sehr aufzeigt, zu welchem Kern Ruben Östlund die kommenden zweieinhalb Stunden vordringen möchte: Museumskurator Christian hat einen Interviewtermin mit der charmanten, wenn auch unsicheren Anne (Elisabeth Moss), die ihn anlässlich seines neuesten Projekts, der Kunstinstallation „The Square“, zu den Beweg- und Hintergründen befragen möchte, die ihn dazu brachten, das Werk in seinem Museum auszustellen. Ohne viel Smalltalk, an dem Christian ohnehin nicht interessiert ist, konfrontiert ihn die Journalistin mit dem Pressetext zur anstehenden Saison – und schaut kurz darauf in ein ungläubiges Gesicht. Obwohl der Museumsdirektor selbst am besten wissen müsste, worüber sich die Ausstellungsstücke seiner ihm anvertrauten Institution definieren, scheint er von dem hochtrabenden PR-Sprech der Museumswebsite vollkommen überfordert; ein erster Schritt in Richtung sukzessiver Entlarvung des sich selbst viel zu ernst nehmenden Business‘ ist erfolgt. Auch in den kommenden Stunden wird es immer wieder Momente geben, in denen Östlund die Sinnhaftigkeit eines Werks hinterfragt. Dabei steckt dahinter nie die Herabwürdigung oder Verunglimpfung des gesamten Metiers; dafür sind die Beobachtungen innerhalb seines Films viel zu akribisch und hinter dem betriebenen Aufwand für die Darstellung der einzelnen Kunstwerke steckt sichtbar Respekt. Gleichermaßen hängt über „The Square“ ein großes „Und jetzt?“ – ganz so, als würde Östlund nach jeder Beobachtung die Frage stellen, weshalb die Künstler ihre Werke stets so verkaufen, als hätten sie gerade ein Mittel gegen den Krebs entdeckt.
An dieser Stelle legt Ruben Östlund eine erzählerische Diversität an den Tag, die ihm in seinem Vorwerk „Höhere Gewalt“ vollends abging; damals ließ er seine Charaktere noch mit Absicht wider jedweder menschlicher Logik handeln, um seine unendlich zähe Geschichte künstlich auf 120 Minuten zu strecken. „The Square“ dagegen wirkt selbst in seiner noch deutlich längeren Laufzeit wesentlich dynamischer, ohne dabei gezielt auf Effekthascherei zu setzen. Die Satire besitzt nicht einmal eine standardisierte Dramaturgie. Stattdessen beobachtet der Zuschauer Hauptfigur Christian bei seinem Alltag als Museumschef und wird Zeuge, wie er unbedarft von einem Fettnäpfchen ins nächste springt. Eine bloße Nummernrevue ist „The Square“ dabei nicht; In Östlunds Film hängt alles zusammen, hat jede Entscheidung und jede Tat Auswirkungen auf das Folgende und obwohl sich der Autor alle Mühe gibt, seinen Protagonisten zunächst so unangenehm und unnahbar wie möglich zu zeichnen, verleiht ihm die zunehmende Anzahl an Ecken und Kanten eine enorme Attraktivität und Anziehungskraft. Dieser Christian ist gefangen in einer Branche, die er selbst nicht versteht und trotzdem gelernt hat, sich in ihr zurechtzufinden – besser, als jeder andere auf seinem Gebiet. Ihm zweieinhalb Stunden dabei zusehen zu dürfen, wie er zwischen antrainiertem Selbstbewusstsein, überspielter Unsicherheit und dem Aufbrechen beider Extreme changiert, ist in seiner emotionalen Vielfalt tragisch und komisch zugleich, sodass man sich bis zuletzt nicht an dem Leinwandgeschehen satt sehen kann.
Genaue Angaben zu dem, was Christian in „The Square“ alles über sich ergehen lassen muss, hätte im Anbetracht der Erzählweise zwar nicht den Wert eines Spoilers, doch viele Situationen sind in ihrer unerwarteten Eskalation derart faszinierend, dass wir nur anreißen wollen, was den Zuschauer erwartet: Es geht um ein aus dem Ruder laufendes Promovideo, das einem die absurden Ausmaße der digitalen Vernetzung sowie der Hysterie um das unbefleckte, öffentliche Image kaum besser vor Augen führen könnte, Christian halst sich eine charmante Verehrerin auf und hinterfragt daraufhin halbherzig sein Beziehungsleben, dann wären da ja noch Christians Kinder, der Versuch, die Veröffentlichung von „The Square“ problemlos über die Bühne zu bringen und zu guter Letzt schlägt der Versuch, sein gestohlenes Smartphone wiederzubeschaffen, in eine äußerst bedrohliche Lage um. Was unter weniger fähiger Regiehand überladen und hektisch werden könnte, erweist sich hier als smartes Kuriositätenkabinett, aus dem die Hauptfigur am Ende kaum geläuterter herausgehen wird, als noch zuvor – dafür hat sie die oberflächliche Ideologie der Entertainmentbranche einfach schon viel zu sehr verinnerlicht. Selbst über ein sich bis an die Grenze zur Strafbarkeit intensivierendes Kunstprojekt, das gleichermaßen das Plakat des Filmes ziert und eine solch prägnante Einzelszene ist, das sie in ihrer spektakulär-faszinierenden Inszenierung auch als Kurzfilm funktionieren würde, gerät sofort darauf wieder in Vergessenheit – es war ja schließlich im Sinne der Kunst.
In besagter Szene fasst Ruben Östlund noch einmal die Idiotie der Szene zusammen, in der die dort anwesenden Zuschauer von der leibhaftigen Darbietung eines leidenschaftlichen Performancekünstlers so stark in den Bann gezogen werden, dass sie selbst in den unangenehmsten Momenten den Bezug zur Realität verlieren. „The Square“ ist ein Spiel mit der Wechselwirkung aus knallhartem Business und der Freude am Freigeisttum, zu dem die nüchtern betrachtende Kameraarbeit von Fredrik Wenzel („Höhere Gewalt“ kaum besser passen könnte. In fast schon dokumentarischen Bildern und betont langen Einstellungen sehen wir das Geschehen unverfälscht wie gleichermaßen unkommentiert. Mit Leben füllen die Leinwand hingegen die Darsteller. Claes Bang („Sibel & Max“) mimt die Hauptfigur Christian mit Akkuratesse und verleiht ihm eine faszinierende Ausstrahlung, hinter die man zur zu gern kommen würde, während Elisabeth Moss („The Handmaid’s Tale“) als Journalistin und Christians Liebhaberin Anne beweist, dass stille Wasser tief sind. Wenn es Anne nicht für nötig hält, ihren Gast darüber aufzuklären, dass in ihrer Wohnung ein Schimpanse lebt, hat sie die Kunstszene trotz ihrer zu Beginn an den Tag gelegten Zurückhaltung wohl am besten verstanden: Erlaubt ist eben, was gefällt! In weiteren prägnanten Nebenrollen brillieren vor allem Dominic West („300“) und Terry Notary („Kong: Skull Island“).
Fazit: Extrem bissig aber nie verächtlich sagt Ruben Östlund in seiner preisgekrönten Satire „The Square“ vor allem eines aus: Nehmt Euch doch bitte alle nicht so ernst! Und das gelingt: Mithilfe seines phänomenalen Ensembles führt er mit spitzer Zunge eine Branche vor, die immer wieder droht, den Zugang zur Realität zu verlieren. Ein wahrhaft spektakuläres Ereignis von brüllender Komik!
„The Square“ ist ab dem 19. Oktober in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.