Everest

Der isländische Filmemacher Baltasar Kormákur ist ein Experte auf dem gebiet des Actionthrillers. Nach „Contraband“ und „2 Guns“ widmet er sich in EVEREST nun erneut einer Handvoll harten Kerlen, die es mit dem letzten großen Fein aufnehmen, die ein jeder Kerl – ob Hollywoodschönling oder Normalsterblicher – heute noch hat. Die Rede ist von Mutter Natur. Genauer: vom Mount Everest. Seinem prominent besetzten Thrillerdrama liegt eine wahre Geschichte zugrunde. Doch reicht diese als Basis für einen spannenden Hollywoodfilm aus? Mehr dazu in meiner Kritik.
Der Plot
Der Mount Everest – ein Mythos und gleichzeitig eines der größten Abenteuer dieses Planeten. Für die Teilnehmer zweier Expeditionen ist er die Herausforderung ihres Lebens. Als die beiden Gruppen der erfahrenen Bergsteiger Scott Fischer (Jake Gyllenhaal) und Rob Hall (Jason Clarke) die Gipfelerstürmung in Angriff nehmen, gerät diese zu einem dramatischen Kampf ums Überleben. Denn selbst die beste Vorbereitung und das härteste Training ist keine Garantie, wenn plötzlich das Leben nur noch an einem seidenen Faden hängt…
Kritik
Der im Himalaya gelegene Mount Everest ist mit seinen 8848 Metern der höchste Berg der Welt. Entsprechend viele Mythen ranken sich um den Gipfel, der jährlich von mehreren Tausend Menschen zwecks Besteigung besucht wird. Das war nicht immer so. Erst seit sich Mitte der Neunziger mit geführten Mount-Everest-Expeditionen ein ganz neuer Tourismuszweig für die Einheimischen eröffnete, begannen regelrechte Pilgerfahrten zum Fuße des Berges. Ob Profi oder Amateur: Mit dem nötigen Kleingeld kann sich heute so ziemlich jeder sein ganz eigenes Heldenabenteuer erkaufen. Durchaus zu Lasten von Leib und Leben. Obwohl es unter Bergsteigern schwerere Routen zu meistern gibt, als jene zum Everest-Gipfel, brachte die schiere Masse an Bergtouristen bislang über 200 Opfer hervor, die durch ihre Abenteuerlust ihr Leben ließen. Von einer solch tragisch endenden Mission handelt auch Baltasar Kormikùrs Katastrophendrama „Everest“. Dabei geht es dem Regisseur von Actionkrachern wie „Contraband“ und „2 Guns“ nicht unbedingt darum, Kritik am Bergsteiger-Tourismus im Himalaya zu üben. Stattdessen geht es dem isländischen Filmemacher um den Kampf zwischen Mensch und Natur. Seine 66 Millionen US-Dollar teure Produktion ist mehr Thriller denn Drama und baut ihre Spannung über die Frage auf, wie viele Menschen der Mount Everest zum Ende der Expedition tatsächlich übrig lassen wird. Dabei gelingen den Machern schier überwältigende Aufnahmen des Gebirges, in denen Teile des Films tatsächlich gedreht wurden. Die Ausarbeitung des menschlichen Dramas kann da nicht mithalten, erfüllt ihren Zweck aber voll und ganz.
Der Cast, den Kormikúr für sein Projekt gewinnen konnte, kann sich wahrlich sehen lassen. Während sich Jake Gyllenhaal („Southpaw“) und Jason Clarke („Terminator: Genisys“) die Hauptrollen teilen, finden sich in den Nebenrollen Namen wie Robin Wright („A Most Wanted Man“), Keira Knightley („The Imitation Game“) und Josh Brolin („Inherent Vice – Natürliche Mängel“). Aus ihren Figuren Ecken und Kanten herauszuholen, vermag leider keiner von ihnen. Das Skript von William Nicholson („Unbroken“) und Simon Beaufoy („Lachsfischen im Jemen“) legt wenig Wert auf eine ausgearbeitete Charakterprofilierung. Sämtliche Protagonisten unterwerfen sich einer gewissen Schablonenhaftigkeit. Gyllenhaal gibt den Draufgänger, Wright die besorgte Ehefrau, Knightley die noch besorgtere Freundin und Brolin den uneinsichtigen Abenteurer. Einzig Jason Clarke fällt die Aufgabe zu, als hauptsächliche Identifikationsfigur mehr als nur einen Charakterzug von sich zu zeigen. Doch trotz einer derart oberflächlichen Figurenskizzierung funktioniert „Everest“ über weite Strecken auch auf der emotionalen Ebene. Eine detaillierte, emotionale Involvierung ins Geschehen geht dem Zuschauer zwar aufgrund der mangelhaften Erklärung darüber ab, welche Beweggründe die einzelnen Menschen haben, überhaupt auf den Berg zu steigen. Aber die Inszenierung des Mount Everest als schier unbezwingbarer Gegner, an dem noch jeder Abenteurer zu seinem Meister gefunden hat, gleicht diesen Schwachpunkt auf inszenatorischer Ebene weitestgehend aus.
„Everest“ hält das Interesse des Zuschauers konstant auf einem hohen Level. Dies liegt vor allem an zwei Dingen: Auf der einen Seite beweist der Regisseur ein Händchen für visuelle Ästhetik. Seine Mischung aus den perfekt ausgeleuchteten Studioaufnahmen und den Szenen am Originalschauplatz sorgen für eine immense Authentizität, die „Everest“ an den Tag legt. Darüber hinaus geht die Arbeit von Kameramann Salvatore Totino („Illuminati“) Hand in Hand mit dem genauen Auge des Cutters Mick Audsley („The Zero Theorem“). Beide sorgen dafür, Kormakúrs Arbeit von einem ausgewogenen Verhältnis aus Nahaufnahmen und Landschaftsschwelgereien geformt wird. So ist der marginal eingesetzte Greenscreen nur in den seltensten Fällen als ein solcher zu erahnen und „Everest“ legt immer wieder den rauen Charme einer Dokumentation an den Tag. Der zweite Grund, weshalb der Katastrophenfilm trotz Drehbuchschwächen nie langweilig gerät, ist ein gewisser Mut zur Drastik. In „Everest“ wird der Zuschauer zwar nie zum Voyeur, mit dem Traum von verkappter Bergsteigerromantik will sich Kormakúr hingegen nie befassen. In den Tiefen mangelt es dem Film zwar an Nachdruck in Bezug auf die eingangs erwähnte Tourismuskritik, doch wenn es in Richtung Finale geht, hält sich der Regisseur stur an die Fakten der wahren Ereignisse. Dies geht zu Lasten von gängigem Hollywood-Wohlfühlkino. Sukzessive zu Identifikationsfiguren aufgebaute Charaktere sind bis zuletzt nicht vor einem eisigen Tod gefeit. Das ist mutig, auch wenn selbstredend von Beginn an klar ist, dass einige der liebgewonnenen Figuren ins Gras – pardon: in den Schnee – beißen müssen.
Mit seinen phänomenalen 3D-Aufnahmen, die insbesondere im IMAX-Format großartig zur Geltung kommen, nimmt Balthasar Kormakúr sein Publikum mit auf eine Reise an menschliche Grenzen. Dabei geht es weniger um den Mensch als Abenteurer, geschweige denn als Held. Die Hauptfigur dieses berauschenden Kinoerlebnisses ist der Mount Everest selbst. Wenngleich sich die Autoren stellenweise durchaus subtilere Dialoge hätten einfallen lassen können, so betonen sie doch immer wieder die Unberechenbarkeit und Macht, aber auch die Schönheit und Vollkommenheit des Berges. Der Überlebenskampf der Expeditionsmitglieder grätscht da immer wieder brutal zwischen. Der imposante Bombast der Landschaftsaufnahmen steht im direkten Kontrast zu den dazu winzigklein wirkenden Dramen, die sich auf dem Weg in Richtung Gipfel abspielen. Daran ändert auch eine zeternde Emily Watson („Die Bücherdiebin“) nichts, die in der Rolle der Camp-Aufseherin Helen keinen Moment ungenutzt lässt, um nah an der Grenze zum Overacting ihr Mitgefühl mit allen Beteiligten auszudrücken. Hier reißt das Skript die Geschehnisse immer wieder aus ihrer brutalen Subtilität. Denn trotz der unübersehbaren Katastrophe schafft es das Drehbuch durchaus auch, zwischen den Zeilen zu überzeugen. Wer warum und wie scheitert, ist nicht zwingend auf die Naturgewalt Mount Everest zurückzuführen. Alle Figuren haben ein Päckchen zu tragen, unter das die einen zusammenbrechen, das die anderen jedoch über sich hinauswachsen lässt.
Fazit: Licht und Schatten auf dem höchsten Berg der Welt: „Everest“ besticht durch technische Perfektion und beeindruckende Schauspielleistungen. Im Detail lässt das Katastrophendrama aber Subtilität vermissen, was insbesondere daher rührt, dass die Drehbuchautoren sich mit Versimpelungen und Allgemeinplätzen zufriedengaben. Seine Wirkung entfaltet Kormakúrs Arbeit dennoch. „Everest“ katapultiert das Publikum mitten hinein in ein schwindelerregendes Abenteuer.
„Everest“ ist ab dem 17. September bundesweit in den Kinos zu sehen – Auch in 3D!
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