Meine Lieblinge: Tragikomödie (1)

Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab und wie kein zweites Genre vermag es die Tragikomödie, diesen emotionalen Balanceakt einzufangen. Wenn Regisseure ihr Handwerk verstehen, dann lassen derartige Filme den Zuschauer lachen und weinen zugleich. Nach meinen Lieblingshorrorfilmen widme ich mich in meiner neuen Ausgabe der gleichnamigen Reihe meinen Lieblingen der tragikomischen Filmsparte und lege meinen Lesern in den kommenden Tagen 15 feine Filme ans Herz, die zu sehen es sich mehr als lohnt.
15 / THE KIDS ARE ALL RIGHT
USA 2010 | Regie: Lisa Cholodenko | Darsteller: Julianne Moore, Annette Bening, Mark Ruffallo, Mia Wasikowska, Josh Hutcherson | Trailer
Patchwork ist das Familienkonzept der aktuellen Stunde. Regisseurin Lisa Cholodenko weiß darum und inszenierte 2010 das tragikomische Abbild eines zwischenmenschlichen Selbstfindungsprozesses, den sie mit Julianne Moore, Annette Bening und Mark Ruffalo exzellent besetzte. „The Kids Are All Right“ handelt vom lesbischen Liebespaar Jules und Nic, dessen zwei heranwachsende Kinder eines Tages ihren leiblichen Vater kennenlernen. Logisch, dass Chaos vorprogrammiert ist und sich die beiden Frauen nicht nur mit ihrem Innersten auseinandersetzen, sondern auch abwägen müssen, was für ihre Kinder das Beste ist.

Jullianne Moore, Annette Bening und Mark Ruffalo sind eine scheinbar perfekte Patchwork-Familie. Doch bis dahin war es ein steiniger Weg.
Das von Cholodenko kreierte Ausgangsszenario ist ein denkbar simples und doch schafft es die Filmemacherin mit wenigen Mitteln, vollkommen gegensätzliche Emotionen aufeinanderprallen zu lassen. Für negative Schwingungen ist in dem sonnengetränkten Fleckchen Erde, das die Protagonisten ihr Zuhause nennen dürfen, eigentlich kein Platz. Und doch droht Nebel im Paradies, der gar keiner wäre, wenn die Gesellschaft nicht ihre ganz eigenen Vorstellungen von einem funktionierenden, harmonischen Zusammenleben hätte. Wenn die Liebe vom Alltag erdrückt zu werden droht, hält man die Libido eben mit Schwulenpornos auf Trab – doch ob dahinter Verzweiflung oder echte Passion steckt, das ergründet der Film erst mit der Zeit. Cholodenko liebt ihre Figuren, gesteht ihnen Unmengen an Facetten zu und ermöglicht ihren Zuschauern ganz unterschiedliche Sichtweisen auf die Liebe, die sich niemals dem Fokus der Homosexualität unterwerfen. Gewiss sticht „The Kids are All Right“ aufgrund seiner im Hollywoodkino mutigen Figurenkonstellation hervor, doch in Wirklichkeit geht es um nicht mehr als die Neuentdeckung der eigenen Sensibilität, die in der lauten, von viel zu vielen äußeren Reizen durchzogenen Welt nach und nach abhanden kommt.
Dies ist gewiss eine recht breit gefächerte Film-Motivation, doch nur so ermöglicht Cholodenko ihrer Produktion auch ein Höchstmaß an Flexibilität. Das seelische Durcheinander ihrer Charaktere hat ein ungeheuer komisches Potenzial, ist sich in den leisen Momenten jedoch nicht zu schade, sich zu entblößen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit und viel Lebensweisheit jongliert Cholodenko stilsicher mit vollkommen gegensätzlichen Einflüssen, die zum Lachen, zum Weinen, aber immer zum Nachdenken anregen. „The Kids Are All Right“ ist das Paradebeispiel einer Tragikomödie, die sich ganz auf das geerdete Seelenleben seiner Zuschauer konzentriert und mit hollywood’scher Versimpelung nichts zu tun haben will. Das ist manchmal unbequem, aber immer ehrlich – ein kleines Juwel, das 2011 zurecht mit zwei Golden Globes ausgezeichnet wurde.
Dieser Film könnte dir gefallen wenn du THE DESCENDANTS – FAMILIE UND ANDERE ANGELEGENHEITEN oder DON JON mochtest.
14 / RAIN MAN
USA 199 | Regie: Barry Levinson | Darsteller: Dustin Hoffman, Tom Cruise, Valeria Golino, Gerald R. Molen, Jack Murdock, Michael D. Roberts | Trailer
Nominiert für acht Oscars – am Ende gab es immerhin vier für „Rain Man“, einen absoluten Meilenstein des modernen Kinofilms. Ob die Regiearbeit von Barry Levinson tatsächlich als Tragikomödie zu werten ist, liegt vermutlich im Auge des Betrachters, denn der Tonfall der Produktion über zwei Brüder auf abenteuerlicher Mission ist durchaus schwermütig. Doch es ist allen voran die herausragende Performance von Dustin Hoffman, dem es gelingt, einem eigentlich so tragischen Film eine Leichtigkeit zu verleihen, dank derer „Rain Man“ in vielen Momenten äußerst amüsant geraten ist.
Tom Cruise gibt den unsympathisch-schmierigen Autohändler Charlie, der vor allem eines liebt: sich selbst. Dustin Hoffman legt in der Performance seines Lebens die Darbietung des Autisten Raymond an den Tag, woraus zwangsläufig ein Szenario entsteht, das zu einem der häufigsten gängiger US-Filme gehört. Die Rede ist von zwei Partnern wider Willen, die sich im Rahmen widriger, äußerer Umstände notgedrungen miteinander arrangieren müssen. Im Falle von „Rain Man“ ist das nicht anders, doch Barry Levinson gestaltet dieses Szenario derart passioniert, dass sein Film bis heute zu einem der besten dieser Sparte gehört.
Levinson versucht sich mithilfe von zwei Figuren, die beide auf ihre Weise in ihrer eigenen Welt gefangen sind, an einem Spiel gesellschaftlicher Fragen. Sein Blick auf Raymond springt hin und her zwischen der Einnahme seiner Sichtweise und der kritischen Umwelt, die die Eskapaden des autistischen Mannes ebenso spöttisch wie mitleidig beäugt. Dabei nutzt der Regisseur beide Faktoren als treibende Kraft hinter seiner Geschichte und räumt gleichsam mit Vorurteilen auf. Darüber hinaus versucht er zu ergründen, woher diese kommen und zwischen all dem spielen sich Cruise und Hoffman in die Herzen der Zuschauer. Dabei fördert „Rain Man“ vorzugsweise solche Lacher zutage, die dem Publikum alsbald im Halse stecken bleiben, doch mit seinen rührenden, nicht jedoch rührseligen Dialogen gelingt dem Filmemacher ein direkter Blick in das Seelenleben jener Menschen, die selbst Autist sind respektive als Außenstehender mit ihnen zu tun haben. Das ist mal so ehrlich, dass es schmerzt, kratzt in den niederschmetterndsten Momenten dennoch immer rechtzeitig die Kurve, um nicht in Melancholie zu versinken. Obendrein spricht sich „Rain Man“ von jedweder Gefühlsmanipulation frei, denn bequem ist der Film trotz seiner positiven Stringenz nie.
Dieser Film könnte dir gefallen, wenn du FORREST GUMP oder GILBERT GRAPE mochtest.
13 / DAS ERSTAUNLICHE LEBEN DES WALTER MITTY
USA/CA 2013 | Regie: Ben Stiller | Darsteller: Ben Stiller, Kristen Wiig, Jon Daly, Kathryn Hahn, Adam Scott, Sean Penn |Trailer
Ben Stiller ist nicht nur bekanntlich einer meiner mir liebsten Schauspieler, sondern gehört seit dem ersten Januar 2014 auch zu den von mir bevorzugten Regisseuren. Nicht nur optisch ist sein modernes Abenteuermärchen „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“, das auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte basiert, ein echter Augenschmaus. Der Claim “Sei kein Träumer – Erlebe das Leben!” fasst die Message des tragikomischen Streifens perfekt zusammen und unterstreicht mit seiner liebevollen Inszenierung den Wert handgemachter Filme ohne viel Effekthascherei.
Walter Mitty arbeitet seit Jahren im Fotoarchiv des Magazins LIFE. Als das Heft im Zuge der Digitalisierung eingestellt werden soll, begibt sich Walter auf die Suche nach einem wichtigen Foto, das ihm der weltberühmte Fotograf Sean O’Connell zugeschickt haben soll. Da Walter jenes offenbar verloren hat, erstreckt sich der Trip über mehrere Kontinente und an entlegenste Orte, wo der sensible Grübler endlich die Zeit bekommt, über sich und sein Leben nachzudenken.
Ben Stiller inszenierte mit „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ den Selbstfindungstrip eines Durchschnittsmenschen, für den selbst der gern bemühte Begriff „Alltagsheld“ noch zu viel wäre. Wie ein jeder von uns gibt sich Walter seinen Tagträumen hin und wird in jenen zu einem Menschen, den wir wohl insgeheim alle gern in uns sehen würden; jemanden, der schmierige Vorgesetzte verprügelt, wenn jene sich wieder einmal daneben benehmen oder jemanden, der sich traut, endlich die Frau seiner Träume anzusprechen und ihr, im wahrsten Sinne des Wortes, die Welt zu Füßen zu legen. Walter Mitty ist die ideale Identifikationsfigur für alle, die nicht wirklich wissen, wo sie im Leben stehen, sich jedoch wünschen, endlich zu dieser so wichtigen Erkenntnis zu gelangen. Ben Stiller nimmt seinen Protagonisten stellvertretend für sein Publikum an die Hand und zeigt ihm, dass ihm die Welt offen steht. Um diese zu ergründen, bedarf es zwar Mut und den Willen, mit der Vergangenheit abzuschließen. Doch am Ende werden wir feststellen, dass vielleicht nicht alle unsere getroffenen Entscheidungen richtig waren, uns aber zu dem gemacht haben, was wir heute sind.
Dieser Film könnte dir gefallen, wenn du INTO THE WILD oder DIE KARTE MEINER TRÄUME mochtest.
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