Gastkritik: Trance

Freundschaftliche Übernahme! Sidney Schering hier, Autor des Blogs Sir Donnerbolds Bagatellen. Anlässlich des zweijährigen Jubiläums dieses Blogs wollte ich meiner geschätzten Kollegin Antje ein kleines Geschenk machen und eine Kritik über einen Film ihrer Wahl verfassen. Antje gab Danny Boyles verschachtelten Thriller TRANCE – GEFÄHRLICHE ERINNERUNG den Zuschlag. Während Antje beim Gedanken an das wenig einträgliche, lose Remake eines britischen Fernsehfilms ins schiere Schwärmen gerät, finde ich leider das eine oder andere Haar in dieser viel versprechenden Suppe…

Der Plot

Kunsthändler Simon (James McAvoy) sorgt in seinem Auktionshaus routiniert für höchste Sicherheitsstandards. Wann immer ein wertvolles Gemälde, wie aktuell Francisco de Goyas Flug der Hexen, versteigert wird, gilt es, ein ausgeklügeltes Sicherheitsprotokoll zu verfolgen. Sollte es zu einem Versuch des Kunstraubs kommen, sind die Verhaltensregeln exakt vorgeschrieben. Oberstes Gebot: So wichtig die Kunststücke auch sein mögen – sie sollten kein Leben wert sein. Deshalb sollten die Angestellten des Kunsthauses niemals den Helden spielen. Als aber die bunt zusammengewürfelte Gangsterbande rund um den mit rauem Charme ausgestatteten, smarten Franck (Vincent Cassel) den Flug der Hexen zu stehlen versucht, spielt Simon sehr wohl den Helden. Mit schmerzhaften Folgen: Er wird von Franck brutal attackiert und verliert dabei wertvolle Teile seines Gedächtnisses. Damit er sich an die Details des Überfalls erinnern kann, geht er zur Psychiaterin Elizabeth Lamb (Rosario Dawson), die ihm mit Hypnosetherapie sein Erinnerungsvermögen zurückbringen soll. Doch Elizabeth stößt auf einige unterdrückte Erinnerungsfetzen, wodurch sie und Simon in einen verwirrenden Sog aus Fakt und Täuschung stürzen …

Kritik

Was sollte ein von den Tücken und Stärken des menschlichen Verstands handelnder Psychothriller leisten, um zu überzeugen? Zunächst ist das Element der Spannung von Bedeutung; je mehr die Geschehnisse den Zuschauer in ihren Bann ziehen, umso zufriedenstellender ist der Trip, den die Filmemacher ihrem Publikum bieten. Darüber hinaus kann sich ein „Mind-Thriller“ zusätzliche Pluspunkte erarbeiten, wenn er auf audiovisuell beeindruckende Weise den von ihm thematisierten Geisteszustand nachfühlen lässt. Die Krönung erfolgt schlussendlich, wenn die Dramaturgie auf schlüssige Weise eine Vereinigung von Inhalt und Form erlaubt – Plausibilität ist dabei ebenso gefordert, wie eine sinnige Verknüpfung der Erzählweise mit den Themen des Films. Sofern dies dann auch noch auf faire Art geschieht, der Zuschauer also nicht plötzlich ins kalte Wasser geschubst wird, um den Twist möglichst überraschend zu gestalten, sondern jede Wendung ganz subtil vorbereitet wird, dann haben wir es mit einem Juwel dieses Subgenres zu tun.

Auf der obersten Ebene weiß auch „Trance – Gefährliche Erinnerung“, wie er sein Publikum um den Finger zu wickeln hat. Schon der Einstieg ist so kinetisch und dynamisch, wie es mittlerweile bei einem Film von Danny Boyle („Trainspotting“, „127 Hours“) zu erwarten steht. Noch ehe der Vorspann zu sehen ist, erschafft er mit energiereichen Kamerafahrten, rhythmischen Schnitten und stampfenden Elektroklängen einen mitreißenden Heist-Movie, der nicht mit Humor geizt und in dessen Mittelpunkt ein nicht ganz durchschaubarer, aber charismatischer James McAvoy („Drecksau“) steht. Nach dem Vorspann geht Boyle etwas vom Gaspedal, um in mittelschnellen Schritten einen Genrewechsel vorzubereiten. Mit Rosario Dawsons Figur, der talentierten Psychiaterin Elizabeth, kommt „Trance – Gefährliche Erinnerung“ dann im Genre des listigen Psychothrillers an. Zunächst in kunstvoll-kühlen Bildern gehalten, spielt Kameramann Anthony Dod Mantle („Antichrist“) fast im Minutentakt immer freimütiger mit Spiegelbildern, verzerrten Winkeln und den krassen, betörenden Gegensätzen knalliger Neonlichter und sattem Schwarz.

Je komplexer die Therapieversuche Elizabeths werden, und je mehr sich Franck (den Vincent Cassel mit jeder neuen Szene unbedarfter anlegt) mitsamt seiner Gangsterbande in die Behandlung des unter Amnesie leidenden Simon einmischt, desto stärker verschwimmen die Grenzen zwischen Realität, Erinnerung und den Folgen einer unkonventionellen psychologischen Untersuchung. Dieser Abstieg ins Expressionistische gelingt Boyle mit reizvoller Eleganz, was gemeinsam mit der sich geschickt verschiebenden Figurenkonstellation eine kraftvolle Spannung erzeugt. Auch wenn die Hinweise, was weshalb geschieht und wo dieser Ausflug in eine unzuverlässige Welt der Erinnerungen hinführen wird, spärlich bis nahezu nonexistent sind, bleibt „Trance – Gefährliche Erinnerung“ daher packend. Und sobald die Visualisierung von Simons Gedankenwelt symbolhafte, surreale Formen annimmt, tröstet die Kunstfertigkeit der Inszenierung auch über das schleichende Gefühl hinweg, dass nicht jedes Bild in diesem Thriller in all seiner Bedeutung aufgeschlüsselt wird.

Ein Aspekt, bei dem „Trance – Gefährliche Erinnerung“ hingegen versagt, ist die plausible Verknüpfung von Form und Inhalt. Zwar konstruieren Regisseur Danny Boyle und die Autoren Joe Ahearne & John Hodge passend zur verworrenen Psyche Simons eine unübersichtliche, wendungsreiche Erzählung, allerdings dient der Aufbau der Story weitestgehend einem selbstgefälligen Zweck: Durch die gewählte Struktur können Boyle, Ahearne und Hodge eine Masse an Plottwists in den dritten Akt packen, wodurch der Zuschauer immer wieder aufs Neue verblüfft werden soll. Das Gefühl, nicht mehr zu wissen, was wirklichkeitsgetreue Erinnerung, fremdinduzierte Einbildung und Wunschdenken ist, welches Simon erfüllt, wird durch die dauernden Plotwendungen jedoch nicht rekreiert – dazu müssten Boyle und Co. zumindest einen Bruchteil der späten Enthüllungen früher andeuten und dem Publikum schon eingangs einige Randinformationen bieten.

Wie soll es weitergehen?

Stattdessen lassen sie Rosario Dawson gen Schluss minutenlang Exposition nachholen – dank der hypnotischen, treibenden Elektromusik im Hintergrund und Dawsons emotionalen Schauspiels gerät dies zwar packend, künstlerisch ist es dennoch äußerst ungelenk. Zumal die von ihr getätigten Enthüllungen durch diese späte Platzierung im Film sowie einen Mangel an Vorausdeutungen konstruiert, ja, teils sogar kalkuliert wirken. Die Erläuterung, wer im verschachtelten „Trance – Gefährliche Erinnerung“-Masterplan Opfer und wer Täter ist, sowie was wann warum geschah, verlässt sich auf emotionale Schlagwörter, die Betroffenheit auslösen sollen. Dies mag dank Dawsons elektrifizierender Schauspielleistung und einem vielsagenden Minenspiel McAvoys teils aufgehen, dennoch wäre es wesentlich kraftvoller, wäre diese Geschichte so aufgebaut, dass sich ein Miträtseln von Beginn an lohnt.

Dadurch, dass „Trance – Gefährliche Erinnerung“ zwar mit der Wahrnehmung seines Publikums spielt, die handelnden Figuren jedoch gänzlich andere psychische Tücken erleben, verlieren Boyles Manipulationen bei näherer Betrachtung an Anspruch. Deshalb kann dieser Psychothriller längst nicht mit echten Meisterwerken der verschachtelten Filmerzählung mithalten. Dass Christopher Nolans „Memento“ etwa non-linear verläuft, führt nicht nur zu einer unerwarteten Enthüllung am Schluss, sondern ermöglicht es dem Regie-Virtuosen, mit seinem Film eine Geisteslage zu skizzieren, die eng mit dem grundlegenden Problem seines Protagonisten verbunden ist. Nolans vorhergegangener Kriminalthriller „Following“ dagegen bietet ebenfalls eine verworrene Erzählstruktur, diese fußt aber nicht im Geringsten in der dargebotenen Geschichte und bezweckt einzig und allein, den Zuschauer im Unklaren zu lassen, so dass aus einer simplen Gangstergeschichte ein twistreicher Thriller wird. Boyles „Trance – Gefährliche Erinnerung“ siedelt sich qualitativ zwischen dem Debütfilm Nolans und seinem Oscar-nominierten Zweitwerk an: Die Geschichte bietet sich für eine kunstvoll-verknotete Erzählweise an, bloß wählten die Verantwortlichen eine, durch die sie ihrem Werk mehr oberflächliches Verwirrspiel und weniger geistreichen Inhalt aufzwingen.

Kurzum: Es ist Boyle mehr daran gelegen, den Zuschauern ein konfuses „Hä?!“ zu entlocken und sie rund eineinhalb Stunden lang in einem Labyrinth aus falschen Fährten tappen zu lassen, als etwas smartes (oder gefühlvolles) über den menschlichen Verstand auszusagen. Zwar bietet „Trance – Gefährliche Erinnerung“, im Gegensatz zu so manchem Style-over-Substance-Thriller, Lösungen für das erlebte Verwirrspiel an, diese verlangen aber einigen Gutwillen und sind sehr verspielt. Somit wird die kurz zuvor aus dem Boden gestampfte, emotionale Fallhöhe wieder nichtig gemacht.

Dessen ungeachtet fesselt Danny Boyles Erinnerungsthriller mit einem engagierten James McAvoy, einer darstellerisch weit über dem Skript agierenden Rosario Dawson, einem schroffen, zugleich liebenswert tapsigen Vincent Cassel sowie (alb-)traumhaften Bildern des nicht genug geschätzten Kameramanns Anthony Dod Mantle und einem geschliffenen Elektroscore von Rick Smith. Für eine berauschende Achterbahnfahrt ist dies mehr als genug – profundere Psychospielchen gilt es derweil woanders zu suchen.

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