Inherent Vice – Natürliche Mängel

Regisseur Paul Thomas Anderson ist nicht unbedingt für eine überschwängliche Leichtigkeit in seinen Leinwandwerken bekannt. Da stellt die Buchadaption INHERENT VICE – NATÜRLICHE MÄNGEL schon automatisch eine Ausnahme dar. Gleichzeitig beweist der Filmemacher, dass auch die hochgelobtesten Hollywoodgrößen nicht davor gefeit sind, nach diversen Highlights auch mal eine weniger gelungene Produktion abzuliefern. Ohne Zweifel ist das hier kein Flop – aber so richtig gut sind die neuesten Ergüsse des PTA auch nicht. Mehr zum Film in meiner Kritik.
Der Plot
Privatdetektiv Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix) ist Kiffer mit Leib und Seele und verbringt seinen drögen Alltag damit, immer wieder mal einen durchzuziehen. So erscheint es ihm fast wie eine Sinnestäuschung, als eines Tages seine schöne Ex-Freundin Shasta Fay (Katherine Waterston) in seiner Wohnung auftaucht, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Die kesse Blondine unterbreitet Doc einen kuriosen Plan: Shastas Liebhaber Mickey Wolfman, ein reicher Lebemann und Immobilienhai, soll von seiner eigenen Familie entführt werden. Durch die Einweisung in eine Psychiatrie wäre Mickey ohne viel Aufwand beseitigt und seine „Witwe“ Sloane (Serena Scott Thomas) auf einen Schlag noch reicher, als sie es ohnehin schon ist. In Liebe zu seiner Verflossenen verspricht Doc, herauszufinden, was hinter dem teuflischen Plan des steckt und sticht dabei unwissend in ein Wespennest. Seine erste Spur führt ihn in ein zwielichtiges Wellness-Etablissement in der Wüste, doch sein dortiger Besuch wird mit einem Schlag auf den Kopf schmerzhaft beendet. Als schließlich sowohl Shasta Fey als auch Mickey Wolfman verschwinden, sieht Larry ein, dass er Hilfe benötigt. In dem manischen Cop Christian „Bigfoot“ Bjornson (Josh Brolin) findet er einen Kooperationspartner, doch die Zusammenarbeit gestaltet sich schwierig…
Kritik
In routinierter Regelmäßigkeit finden die Extravaganzen des Paul Thomas Anderson ihren Weg in die weltweiten Lichtspielhäuser. Fernab moderner Massenproduktionen erfreuten sich insbesondere Cineasten an solchen Meilensteinen wie „Magnolia“, „There Will Be Blood“ oder zuletzt „The Master“; das schwer zugängliche, aus Schauspielersicht jedoch begeisternde Sektendrama ist eines der letzten, großen Werke des viel zu früh verstorbenen Charaktermimen Philipp Seymour-Hoffman und markierte gleichsam den bislang wohl bedrückendsten Regieerguss des exzentrischen Filmemachers, der völlig losgelöst vom Massengeschmack agiert und seine Werke nach eigenem Gutdünken auswählt. Ganz gleich, ob eine Zielgruppe dafür existiert, oder nicht. Somit hat sich Paul Thomas Anderson seinen Ruf als einer der wichtigsten, zeitgenössischen Regisseure wahrlich verdient, was zwangsläufig dazu führt, dass man es einem Mann, dem bisher so ziemlich alles zu gelingen schien, liebend gern verzeiht, wenn sein neuestes Werk eben nicht nahtlos an die Qualität seiner Vorgänger anzuknüpfen vermag. Als Beweis liefert Anderson sogleich einen Film ab, den die internationalen Kritiker wohl weitaus skeptischer beäugen würden, hätten sie es hier nicht mit einem PTA-Film zu tun. Die Ermittlergroteske „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ist eine inszenatorische Ode an den Neo-Noir-Film der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre und beeindruckt insbesondere durch ihr visuelles Erscheinungsbild. Das berauschende Flair, das vor der Kamera versammelte Ensemble und die mit viel Fingerspitzengefühl ausgewählten Schauplätze sind zweifelsohne nicht zu verachten. Darüber hinaus vergisst Anderson, der in „Inherent Vice“ als Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion auftritt, jedoch das essentiell Wichtige: die Zugkraft der Story.
Die gewitzte Krimiposse „Inherent Vice“ erarbeitete sich bereits in Romanform einen gewissen Ruf. Schriftsteller Thomas Pynchon lieferte mit seinem dato siebten Buch zugleich seine zugänglichste Arbeit ab. Man möchte fast von einer gewissen Konventionalität sprechen, die sich im Vergleich zur Leinwandadaption von Paul Thomas Anderson jedoch rasch in Luft auflöst. Vermutlich ist „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ als cineastische Aufbereitung gar nicht darauf ausgelegt, sämtliche Einzelheiten der Vorlage zu erfassen. Mit seinen hochstilisierten Bilder, einer authentischen Seventies-Stimmung und vielen, kleinen Absurditäten kreiert Anderson eines seiner so geliebten Genre-Sammelsurien, in welchem der Weg das Ziel ist und nicht etwa eine erzählerische Ordnung im Mittelpunkt steht. Eine Story ist durchaus erkennbar, doch am so wichtigen roten Faden mangelt es auch schon. Dabei wäre dieser nicht einmal von essentieller Wichtigkeit; würde sich der Regisseur für eine bloße Aneinanderreihung von surrealistisch angehauchten Momentaufnahmen konzentrieren, so würde sein Streifen vermutlich noch besser funktionieren, denn in narrativer Form. In der hier dargebrachten Art balanciert Anderson zwischen beiden Faktoren und möchte einerseits eine Geschichte erzählen, setzt jedoch gleichsam auf ein bewusst unkonventionelles Konzept, das sich vom herkömmlichen Storytelling in Gänze lossagt, um – salopp formuliert – sein eigenes Ding zu drehen. Das wäre vermutlich auch gelungen, hätten sich die Macher in Sachen Figurenzeichnung an der Exzentrik der Vorlage orientiert. Joaquin Phoenix, Josh Brolin und Co. füllen allenfalls die Umrisse ihrer Charaktere aus, was für sketchartige Szenen-Performances reicht, nicht aber, um einen ganzen Film zu tragen.
Jedem anderen Filmemacher ließe sich im Anbetracht der somit reichlich unausgewogen dargebotenen Story, deren Dialoge viel zu ausufernd sind und deren Szenen nur in den seltensten Fällen eine zufriedenstellende Auflösung erfahren, vorwerfen, sein inszenatorisches Handwerk nicht zu beherrschen. Im Falle von „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ wird gerade dieser Umstand zu einer Art Kunstform erhoben. So lange man sich bewusst darauf einlassen möchte, kann der Film seinen unterhaltsamen Zweck erfüllen, wenngleich das Hauptaugenmerk auf dem Entertainment liegt – einen tiefer gehenden Sinn sucht man in der Krimikomödie nämlich vergeblich. Die Handlungen der Figuren ergeben nur in den seltensten Fällen Sinn. Doch dies ist zweitrangig. Der Spaß an „Inherent Vice“ besteht im Entdecken der vielen Details, die Protagonist Larry auf seiner abenteuerlichen Odyssee entdeckt. Dazu gehören auch die Leistungen sämtlicher Akteure. Joaquin Phoenix („Her“) bestreitet die ausufernden 128 Minuten Laufzeit meist allein, profitiert dabei jedoch von der Spielfreude seiner Kollegen. Allen voran Josh Brolin („Oldboy“) kommen derweil die eindringlichsten Szenarien zu; immer dann, wenn Brolin improvisieren darf, wird „Inherent Vice“ zum Hochgenuss. Dass ausgerechnet Hauptdarsteller Phoenix in den entscheidenden Momenten wie auf Sparflamme fährt, enttäuscht. Vollkommen verschenkt sind hingegen die Auftritte von Reese Witherspoon („Der große Trip – Wild“) sowie Owen Wilson („Nachts im Museum – Das geheimnisvolle Grabmal“), wobei Erstere nur einen Gesichtsausdruck kennt und Letzterer wenigstens durch die stoische Langeweile zu gefallen weiß, die Wilson bis zum Anschlag auskostet. Dafür entschädigt Katherine Waterston („Das Verschwinden der Eleanor Rigby“), die in ihrer Figur der Shasta Fey die Attribute einer verführerischen Femme Fatale mit den Attitüden eines grauen Mäuschens vereint – sehr sinnlich!
Die Frage nach einem Hintersinn sollte man derweil nicht stellen. Auch schöpft Anderson in Sachen Skurrilität nicht immer aus den Vollen – zu den Highlights gehört das den Film abschließende Gespräch zwischen Phoenix und Brolin, in welchem Brolin ohne Vorwarnung einen Teller Asche verspeist, sowie der Besuch in einem zwielichtigen Krankenhaus. Solche Szenen offenbaren das Potenzial, welches die auf die Leinwand gebannte Buchvorlage gehabt hätte, doch Paul Thomas Anderson sieht die Zugkraft lieber in den Dialogen, die punktuell amüsant, in einer derartigen Anhäufung jedoch vielmehr ermüdend sind. „Inherent Vice“ fehlt es in den entscheidenden Momenten schlicht am notwendigen Biss, um sich als ein neues Highlight in der Vita des Regisseurs zu behaupten. Optisch holen alle Beteiligte dennoch das Optimum aus den Gegebenheiten heraus. Kameramann Robert Elswit („Nightcrawler – Jede Nacht hat ihrem Preis“) versteht es, den Streifen in ein psychedelisches Neo-Gewand zu hüllen, das sich mit seinem Übermaß an Farben und Sinneseindrucken anfühlt, wie ein sanfter Drogenrausch – nicht umsonst ist das Szenenbild von „Inherent Vice“ für einen Oscar nominiert. Auch musikalisch weiß der aus diversen Pop-Evergreens bestehende Soundtrack zu gefallen. Doch um die Längen und die vielen Fehlschläge im fokussierten Erzählen auszugleichen, bedarf es weitaus mehr Ideen, als einen Film zu drehen, der aussieht, als hätte er bereits dreißig Jahre auf dem Buckel.

Reese Witherspoon spielt Penny – eine Ex-Freundin von Doc, bei der sich der Detektiv mehrmals Hilfe holt.
Fazit: „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ definiert sich durch eine künstlerische Inszenierung, die alsbald zum Selbstzweck verkommt: Regie-Legende Paul Thomas Anderson inszeniert das Kultbuch als berauschenden Trip durch ein noch berauschenderes Jahrzehnt. Dabei zählt die Geschichte weniger als die Stilmittel, mit welchen der Filmemacher Story und Darsteller in Szene setzt. So wird „Inherent Vice“ allenfalls zu einem guten Film – und das ist für Paul Thomas Anderson leider zu wenig.
„Inherent Vice – Natürliche Mängel“ ist ab dem 12. Februar in ausgewählten, deutschen Kinos zu sehen.
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