Antebellum

Geworben wird damit, dass Gerard Bushs und Christopher Renz‘ Horrorthriller ANTEBELLUM von den Produzenten der Genrehits „Get Out“ und „Wir“ stammt. Doch auch wenn das Marketing damit noch nicht einmal falsche Erwartungen schürt, veranschaulicht dieser Vergleich eben auch, dass nicht jeder solch clevere Horrorkost inszenieren kann, wie Jordan Peele. Mehr dazu verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Veronica Henley (Janelle Monáe) durchlebt einen wahr gewordenen Albtraum: Die erfolgreiche Bestseller-Autorin ist in einer verstörenden Parallelwelt gefangen, in der sie als Sklavin auf einer Baumwollplantage arbeiten muss und regelmäßig von ihren Aufsehern gequält wird. Diese Erfahrungen lassen sie alles in Frage stellen: ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Kann sie einen Ausweg finden, bevor alles zu spät ist? Und was ist, wenn ihre Erlebnisse auf der Plantage gar kein Traum, sondern bittere Realität sind?
Kritik
Aus Regisseur und Autor Jordan Peele ist dank seines Horror-Meilensteins „Get Out“ von jetzt auf gleich einer der aufregendsten Genreregisseure seiner Generation geworden. Diesen Status konnte er zwei Jahre später mit „Wir“ untermauern, sodass er gemeinsam mit Ari Aster („Hereditary“, „Midsommar“), Jennifer Kent („Der Babadook“) und Robert Eggers („The Witch“, „Der Leuchtturm“) zu den Mitbegründern einer Genregattung gehört, die sich am ehesten als „neuer intellektueller Horror“ bezeichnen ließe. Die Filmemacher erzählen unter dem Deckmantel von Spukgeschichten von tiefschürfenden, zwischenmenschlichen Problemen und weltpolitischen Dilemmata. Da es sich Jordan Peele auf die Fahnen geschrieben hat, seine Geschichten aus der Black Community heraus zu erzählen, liegt es nah, dass das Marketing Gerard Bushs und Christopher Renz‘ Langfilmdebüt „Antebellum“ damit bewirbt, „von den Machern von ‚Get Out‘ und ‚Wir‘“ zu stammen. Doch von dieser Versprechung sollte man sich nicht täuschen lassen: „Antebellum“ ist kein Jordan-Peele-Film, sondern wurde lediglich von Sean McKittrick, Raymond Mansfield und Edward H. Hamm Jr. betreut – drei auch an „Get Out“ und „Wir“ beteiligten Produzenten, die neben diesen beiden Meisterwerken auch Projekte wie „The Wrong Missy“, „Stolz und Vorurteil & Zombies“ sowie „The Box“ betreut haben.
Inhaltlich und tonalitär hat „Antebellum“ nichts mit den drei oben genannten Filmproduktionen gemeinsam und trotzdem kommt man nicht umher, den Vergleich mit dem Historienfilm-Zombie-Mashup zu suchen. Auch in Burr Steers‘ Horrorgroteske prallen zwei eigentlich unvereinbare Welten aufeinander, von denen am Ende beide nicht die notwendige Aufmerksamkeit erfahren. Doch während sich an den ausladenden Splatter-Eskapaden der elegant gekleideten Untoten immerhin 100 Minuten lang albernen Spaß haben lässt, zielen die für die Regieführung und das Skript verantwortlichen Gerard Bush und Christopher Renz in „Antebellum“ auf etwas gänzlich anderes, etwas Ernsteres ab. Das machen sie bereits mit einem zu Beginn des Films eingeblendeten William-Faulkner-Zitat deutlich: „The Past is never dead. It’s not even the Past.“, zu Deutsch: „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen.“ Im nächsten Moment fährt Kameramann Pedro Luque („Don’t Breathe“) in einer fünfminütigen Plansequenz über eine riesige Baumwollplantage, zeigt schuftende Sklavenkörper, eine missglückte Flucht und die darauffolgende Strafe. Alles in irritierend betörenden Bildern, die trotz der abgebildeten Brutalität von einer nicht zu leugnenden Schönheit sind. Die tiefstehende Sonne, die in Nahaufnahme funkelnden Schweißperlen auf den Stirnen der Gefangenen, die blühenden Baumwoll-Panoramen – alles gewinnt in der hier dargebotenen Superzeitlupe an Opulenz und Eleganz.
„Im nächsten Moment fährt Kameramann Pedro Luque in einer fünfminütigen Plansequenz über eine riesige Baumwollplantage, zeigt schuftende Sklavenkörper, eine missglückte Flucht und die darauffolgende Strafe. Alles in irritierend betörenden Bildern, die trotz der abgebildeten Brutalität von einer nicht zu leugnenden Schönheit sind.“
Welchen Zweck die Filmemacher mit dieser zweifellos überragenden Ästhetik verfolgen, erschließt sich einem jedoch nicht. So wirkt die Darstellung des körperlichen wie seelischen Missbrauchs der Sklaven sogar zusätzlich ausbeuterisch; dass das zweite Filmdrittel derselben Stilistik folgt, unterstreicht diesen Eindruck. Hätten es Trailer und Marketing nicht von Anfang an ins Zentrum gerückt, wäre der harte Bruch nach etwa 35 Minuten ein waschechter Mindfuck-Moment, doch sämtliche (Bewegt-)Bilder von „Antebellum“ kommunizierten bereits vorab, dass der Film in zwei Welten spielt. Als die von Janelle Monaé („Moonlight“) verkörperte Sklavin Eden nach einer Vergewaltigung einschläft, wacht sie im nächsten Moment als Veronica in der Gegenwart auf, die davon berichtet, gerade „einen schlimmen Traum“ gehabt zu haben. Veronica ist eine erfolgreiche Autorin, die sich in der Öffentlichkeit für die Rechte und Gleichstellung afroamerikanischer Frauen engagiert, Vorträge hält und Fernsehinterviews mit Politikern gibt. Der zuvor etablierte Hollywood-Hochglanzlook bleibt gleich – nur befinden wir uns ab sofort eben in einer ultramodern eingerichteten Luxuswohnung, einem Nobelhotel oder einem eleganten Restaurant. „Antebellum“ ist jetzt ein anderer Film. Die Geschehnisse der ersten halben Stunde finden keinerlei Erwähnung mehr. Stattdessen folgen wir Veronica auf ihren Terminen sowie beim Stelldichein mit Freundinnen, „American Horror Story“-Star Gabourey Sidibe mimt den Inbegriff des witzigen afroamerikanischen Sidekick-Stereotypen. Im Anbetracht der Thematik eine weitere irritierende Entscheidung.
Mehr als dass „Antebellum“ nach zähen 100 Minuten sein Ende zurück auf der Plantage findet, wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Und natürlich auch nicht, was es mit all dem auf sich hat. Dabei würde der Vergleich mit einem Film aus den frühen Nullerjahren genügen, um das Mysterium zu entzaubern (wer mag, der erfährt unterhalb dieser Kritik den Filmtitel, um den es geht). Das Problem daran ist gar nicht unbedingt, dass es ein sehr ähnliches Szenario wie in „Antebellum“ schon einmal gegeben hat. Sondern vielmehr, dass es Gerard Bush und Christopher Renz nicht annähernd so elegant aufbereiten, wie es ihr Kollege vor nunmehr 16 Jahren getan hat. Über eineinhalb Stunden lang arbeiten die beiden auf eine bestimmte Kamerafahrt hin, die von ihnen vermutlich als absoluter Mindfuck-Moment gedacht war. Doch nicht nur das allzu plumpe Marketing, das den alles entscheidenden Twist weit vorwegnimmt, macht den beiden einen Strich durch die Rechnung. „Antebellum“ ist auch auf handwerklicher Ebene schlicht und ergreifend viel zu grobschlächtig geraten, um bis in die letzte Minute mitzureißen. Die Szenen auf der Plantage sehen zwar schön aus, haben mit Ausnahme einer schmerzhaften Fehlgeburtsszene auf offenem Feld jedoch kaum einen erinnerungswürdigen Moment zu bieten. Als Veronica in der Gegenwart agiert Janelle Monáe derweil so unnahbar, dass sich die Verbindung zwischen ihr als Veronica und ihr als Eden kaum herstellen lässt. Es ist, als beobachteten wir zwei unabhängig voneinander agierende, schablonenhaft gezeichnete Figuren, deren Geschichte nicht zu Ende erzählt wird. Lediglich das Schlussmotiv brennt sich im wahrsten Sinne des Wortes beim Zuschauer ein – allerdings auch in erster Linie aufgrund der überragenden Kameraarbeit.
„Ein Vergleich mit einem Film aus den frühen Nullerjahren würde das Mysterium entzaubern.“
Und der Horroraspekt? Der kommt in „Antebellum“ kaum zur Geltung. Einige im Trailer Übernatürliches ankündigenden Sequenzen kommen im Film gar nicht erst vor. Und das kurze Auftauchen eines kleinen, unheimlichen Mädchens als eine Art Unglücksbote wirkt so dermaßen deplatziert, dass man den Eindruck gewinnt, diese Szene sei nur dafür inszeniert worden, um im Trailer eine fadenscheinige falsche Fährte zu legen – als wüsste man nicht ohnehin schon, worauf die Geschichte hinausläuft. Die Auflösung des Ganzen ist dann auch etwas, was sich als „Horror“ bezeichnen ließe. Doch das liegt nicht etwa an einer mit entsprechenden Stilmitteln inszenierten Machart, sondern an der Thematik an sich. Jordan Peele hätte da mit seinen Fingerfertigkeiten sicher etwas Beklemmendes zustande gebracht. „Antebellum“ dagegen ist ein fehlgeschlagener Taschenspielertrick.
Fazit: Der herausragend fotografierte Horrorthriller „Antebellum“ zielt auf eine einzige Schlusspointe ab, die man sich nach Trailer und Marketing, aller spätestens jedoch nach etwa der Hälfte des Films selbst zusammenreimen kann. Und diese Pointe kennt man nicht bloß bereits aus einem anderen, deutlich besseren Film, sondern sie ist obendrein das Einzige, was von dem lückenhaft erzählten und inszenierten Film überhaupt im Gedächtnis bleibt.
„Antebellum“ ist demnächst in den deutschen Kinos zu sehen.
(Bei dem Film, den wir zum Vergleich heranziehen, handelt es sich um M. Night Shyamalans „The Village“ aus dem Jahr 2004.)
„Get Out“ ist super. Aber ich verstehe nicht warum „Wir“ (nicht nur hier) so gelobt wird. Das Ende war total schwach. Ich werde „Antebellum“ jedenfalls eine Chance geben. Wann und wie kommt er denn in Deutschland raus? Ich konnte keinen Termin finden.