Träum was Schönes

In dem italienischen Drama TRÄUM WAS SCHÖNES wird ein Halbwaise immer wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Ob hieraus mehr entsteht als Schwermut und Melancholie, das verrate ich in meiner Kritik zum Film.
Der Plot
Der sensible Junge Massimo, der mit gerade einmal neun Jahren seine Mutter (Barbara Ronchi) verloren hat, ist auch als Erwachsener noch nicht darüber hinweggekommen. Bis heute begreift Massimo (Valerio Mastandrea) nicht, was damals, an jenem schicksalshaften Tag vor 40 Jahren, passiert ist. Er weiß nur, dass dieses Trauma sein Leben für immer verändert hat. Er meidet persönliche Beziehungen und Bindungen aller Art, versucht die Welt auf Abstand zu halten. Erst die Liebe zu Elisa (Bérénice Bejo) rüttelt ihn auf und lehrt ihn, dass er das Rätsel seiner Kindheit lösen muss, um einen sicheren Weg ins Leben zu finden.
Kritik
Massimo Gramellinis Roman „Fai Bei Sogni“ gehört zu den erfolgreichsten italienischen Veröffentlichungen der vergangenen Jahre. Die Geschichte über den Werdegang eines Halbwaisenjungen, die über mehrere Jahrzehnte hinweg erzählt und direkt mit dem sich vor seiner Haustür abspielenden, politischen Weltgeschehen verknüpft wird, wurde millionenfach verkauft und hielt sich in Italien über 50 Wochen lang in den Top 10 der Bestsellerliste. Die hochemotionale Schreibweise, gepaart mit der nüchternen Rückbetrachtung der Ereignisse resultiert in erster Linie daraus, dass der übersetzt „Träum was Schönes“ lautende Roman auf wahren Ereignissen beruht. Massimo Gramellini schildert in seinem Werk nicht weniger als seinen privaten Lebens- und Leidensweg und blickt letztlich versöhnlich auf ihn zurück. Ein Stoff, wie geschaffen für die große Leinwand, doch Regisseur Marco Bellocchio („Vincero“) hat das Buch – eigenen Angaben zufolge – nicht aufgrund seines Bestseller-Status verfilmt, sondern wegen des interessanten Themas und der dramatischen Schwere. Tatsächlich merkt man dem Film die Liebe des Regisseurs zur Materie an: „Träum was Schönes“ ist kein Film großer Schauwerte geworden und selbst, wenn das Buch bei unseren Nachbarn zum Kassenschlager wurde, ist es doch fraglich, ob ähnlich große Massen auch in die Kinos stürmen werden. Bellocchios Film ist ein intimes Charakterdrama von beachtlicher Präzision, voller Schmermut und Schmerz, aber auch jede Menge Lebensmut, das es dem Betrachter nicht immer einfach macht.
Das in „Träum was Schönes“ abgehandelte Thema ist zwar per se nicht neu oder innovativ – dass früh zu (Halb-)Waisen werdende Kinder auch im Erwachsenenalter noch lange daran zu knabbern haben und sich eventuell Probleme darin entwickeln könnten, enge Bindungen zu Freunden oder Lebenspartnern einzugehen, ist ebenfalls nicht unbekannt. Doch wo sich genau dieser Umstand meist rückwirkend als Lösung für auftauchende Probleme entblättert, wird das Wissen darum in „Träum was Schönes“ direkt vorausgesetzt. Hier müssen wir nicht mutmaßen, was wohl der Auslöser für das schwer durchschaubare Verhalten Massimos sein mag; erleben wir das tragische Schicksal des kleinen Jungen (als Kind und Jugendlicher: Nicolò Cabras und Dario Dal Pero) hier doch von Anfang an in seiner ganzen Dramatik mit. Das beginnt bereits in der Eröffnungsszene: Die Interaktion zwischen Massimo und seiner Mutter ist herzlich und intensiv. Ein gemeinsamer Tanz im Wohnzimmer wird fortan die einzig ausgelassene Szene im gesamten Film sein und wirkt rückblickend doch erst recht zynisch, traurig und schockierend zu gleich: Denn so fröhlich Massimos Mama in diesem Moment auch wirkt, bringt es sie trotzdem nicht davon ab, sich wenig später das Leben zu nehmen. Clever: Letzteres schildert Bellocchio, wie schon der Roman, aus der Ich-Perspektive des kleinen Jungen, der den Suizid an sich überhaupt nicht wahrnimmt. Auch wir Zuschauer sehen den Selbstmord nicht, können uns durch die verbale Interaktion der Erwachsenen in Massimos Umfeld aber sehr schnell zusammenreimen, dass sich die junge Frau das Leben selbst genommen hat und keinem Unfall zum Opfer gefallen ist.
So schildert „Träum was Schönes“ das Geschehen zwar ausschließlich aus der Perspektive Massimos, doch indem wir von außen auf das Geschehen blicken, nehmen wir viele Details wahr, die dem jungen Mann lange verborgen bleiben. Hinzu kommt eine Erzählweise, die keiner Chronologie folgt, sondern teilweise zwischen ganzen Jahrzehnten hin und her springt. Dies hat zur Folge, dass sich dem Leinwandgeschehen nicht immer leicht folgen lässt, doch um der Komplexität von Massimos Charakter auf Dauer näher zu kommen, ist dieser Ansatz der Richtige. Marco Bellocchio nimmt sich den Jungen prägende Einzelszenen heraus und ordnet sie erst nachträglich im Gesamtgeschehen ein. So kann es sein, dass auf einen Streit zwischen Massimo und seinem strengen Vater (Guido Caprino) eine Szene folgt, die sich mit seiner aufkeimenden Liebesbeziehung zu der schönen Elisa befasst. Solche grobmotorischen Sprünge geraten nicht immer ganz gelenk, doch letztlich spiegelt sich hierin auch das emotionale Chaos wider, das bis ins hohe Erwachsenenalter Massimos Alltag dominiert. Fraglich ist allerdings, wie sehr ein derartiges Erzählkonzept (das so auch im Buch zu finden war) abseits des Alleinstellungsmerkmals und Kunstwillens nottut; viele Szenen wirken mitunter harsch in ihrer emotionalen Entfaltung gestört und Massimo findet durch die sprunghafte Charakterisierung erst sehr spät zu einer Struktur, die auch dem Zuschauer nahe geht.

Die teils verwirrende Erzählstruktur gleichen die Macher auf visueller Ebene mit Eleganz und Schlichtheit aus.
Dafür gelingt es Valerio Mastandrea („Viva la libertà“), seiner Figur eine Zerbrechlichkeit zu verleihen, die nie darauf aus ist, beim Betrachter Mitleid zu erregen. Dieser Massimo erwartet von seinem Umfeld allenfalls Klarheit ob der Umstände, die den Tod seiner Mutter umgeben. Mitgefühl, geschweige denn Rücksicht oder eine Bevorzugung seiner Person liegt ihm fern. Das geht sogar so weit, dass man sich in „Träum was Schönes“ mehrmals die Frage stellt, ob er den Verlust seiner Mama jemals hat verarbeiten können, oder ob ihm die Verdrängung des Ereignisses gar vollständig gelungen ist. Es ist schwierig, mit diesem oft abweisenden Mann warm zu werden, doch in der stärksten Szene des Films offenbart sich schließlich, was unter seiner scheuen Oberfläche tatsächlich brodelt. Die zurückhaltende Bérénice Bejo (Oscar-nominiert für „The Artist“) bildet mit ihrer extrovertiert-lebensfrohen, jedoch zu keinem Zeitpunkt aufdringlichen Art das perfekte Gegenstück, um an Massimo gleichsam etwas Geheimnisvolles und doch Vertrautes zu entdecken. Die Interaktion der beiden ist gefühlvoll und authentisch, während Guido Caprino („Die Medici – Herrscher von Florenz“) als Massimos Vater nicht mehr aus seiner wichtigen Rolle herausholen kann, als den Stereotyp eines überforderten Alleinerziehenden, dessen emotionsloses Verhalten gegenüber seines Sohnes zwar im Nachhinein erklärt wird. Doch das, was die Drehbuchautoren Marco Bellocchio und Edoardo Albinati („Das Märchen der Märchen“) und Valia Santella („Mia madre“) an Herzblut und Fingerspitzengefühl in die Charakterisierung Massimos investiert haben, fehlt ihnen bei der Zeichnung seines Vaters leider vollkommen.
Fazit: „Träum was Schönes“ ist das dramatische Porträt eines früh auf sich allein gestellten Jungen, der erst im hohen Alter vom Suizid seiner Mutter erfährt. Das gerät durch den überzeugenden Hauptdarsteller zumeist berührend und authentisch, die sprunghafte Erzählstruktur steht der ganz großen Emotion jedoch immer wieder im Wege.
„Träum was Schönes“ ist ab dem 17. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
Amotional tief berührend und intelligent – ein wunderbarer Film.