The Prom

Kurz vor Weihnachten bringt der Streamingdienst Netlix das Feelgood-Filmevent des Jahres heraus. Weshalb man es sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte, dass in der Filmadaption des Broadway-Musicals THE PROM Meryl Streep, James Corden, Nicole Kidman und noch viele weitere Hollywoodsars singen und tanzen, das verraten wir in unserer Kritik.
Der Plot
Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (James Corden) sind prominente Stars der New Yorker Bühnenszene und stecken derzeit in einer Krise: Ihre neue und teure Broadway-Show hat sich als großer Flop erwiesen und sorgt für einen Karriereknick. Zur gleichen Zeit erlebt die lesbische Schülerin Emma Nolan (Jo Ellen Pellman) in einer Kleinstadt in Indiana ihr eigenes, ganz anderes Debakel: Obwohl sie ihr Schuldirektor (Keegan-Michael Key) unterstützt, verbietet ihr die Leiterin des örtlichen Eltern-Lehrer-Verbands (Kerry Washington) die Teilnahme am Abschlussball, zu dem sie mit ihrer Partnerin Alyssa (Ariana DeBose) gehen will. Als Dee Dee und Barry gerade beschlossen haben, dass der Fall Emma für sie perfekt ist, um ihr Image in der Öffentlichkeit wieder aufzupolieren, lernen sie Angie (Nicole Kidman) und Trent (Andrew Rannells) kennen, die ebenfalls auf der Suche nach einer beruflichen Verbesserung sind. Doch der egozentrische Aktivismus der vier Promis läuft ins Leere und sie merken, wie sich ihr eigenes Leben bei dem Versuch, Emma eine Nacht zu ermöglichen, in der sie ganz sie selbst sein kann, zu verändern beginnt…
Kritik
Regisseur und Drehbuchautor Ryan Murphy ist wohl das, was man einen Tausendsassa nennt. Einer breiten Zuschauerschaft wurde er durch die Musicalserie „Glee“ bekannt; mit „Nip/Tuck“ und „The New Normal“ zuvor bereits einem Nischenpublikum. Mit der Horror-Anthologie „American Horror Story“ katapultierte er sich schließlich jährlich ins Gesprächsgeschehen von Serienliebhabern. Der Clou seines seit 2011 auf Sendung befindlichen Formats: Jede Staffel erzählt unter Zuhilfenahme eines größtenteils identischen Casts eine (Horror-)Geschichte im neuen Setting. Das Genre bleibt gleich, Tonalität und Inszenierung punkten dagegen mit größtmöglicher Vielfalt. Klassisches Haunted-House-Kino, irrer Psychohorror oder bissige Politsatire – all diese verschiedenen Genreströmungen beherrschen Ryan Murphy und Co-Serienschöpfer Brad Falchuk aus dem Effeff. Und es geht noch weiter: das Slasherepos „Scream Queens“, das Ballroom-Drama „Pose“ und die nostalgische Traumfabrik-Verehrung „Hollywood“ untermauerten Murphys Status als Wundertüte, der sich jetzt mit seiner ersten Filmarbeit seit „Eat Pray Love“ im Jahr 2010 auf seine Ursprünge als Musical-Inszenator besinnt und darin all seine Erfahrungen eines Regie- und Produzentenjahrzehnts miteinfließen lässt. Die seine bisherigen Serienarbeiten prägende Exzentrik könnte den Pomp eines klassischen Broadway-Spektakels wie „The Prom“ ist nicht besser ergänzen. Und so wird sein gleichnamiges Netflix-Original zu einem knallbunten Glitzerpop-Spektakel, das wie kaum ein anderer Film im Jahr 2020 gute Laune bereitet und von der ersten bis zur letzten Sekunde mitreißt.

Barry (James Corden), Angie (Nicole Kidman), Trent (Andrew Rannells) und Dee Dee (Meryl Streep) haben einen Plan.
Wohl auch aufgrund der Verpflichtung von Hollywood-Grande-Dame Meryl Streep („Florence Foster Jenkins“) wurde „The Prom“ im Vorfeld seiner Veröffentlichung als heißer Oscar-Kandidat gehandelt. Zum Glück für die US-Amerikaner: Eine Woche vor seiner weltweiten Netflix-Veröffentlichung erhielt der Film in den Staaten einen limitierten Kinostart; genau wie schon „Roma“, „Marriage Story“ und „The Irishman“. Und auch wenn wir an dieser Stelle einmal mehr die Flagge für die Lichtspielhäuser hochhalten wollen und es bedauern, „The Prom“ hierzulande nicht im Kino sehen zu können, lässt sich nicht leugnen, dass der sprichwörtliche Funke auch über den Fernsehschirm überspringt. Wenn nicht bereits während der mit treibenden Pop-Rhythmen unterlegten Eröffnungscredits, dann aller spätestens bei der ersten großen Gesangsnummer von Meryl Streep, James Cordon und dem „The Prom“-Ensemble, die mit „Changing Lives“ – einer ironischen Veranschaulichung der Vorzüge eines Prominentendaseins – die Marschrichtung vorgeben: „The Prom“ setzt auf große Gesten, knallige Kostüme, Pomp und Übertreibung – und somit auf all das, wofür man das Musicalgenre, egal ob nun auf der Bühne oder der Leinwand, entweder liebt oder hasst. „The Prom“ ist nicht lieblich-melancholisch wie ein „La La Land“, nicht tragisch-opulent wie ein „Les Misérables“, sondern genauso extravagant und im Kern trotzdem liebevoll-zärtlich wie ein „Greatest Showman“. Mit der notwendigen Portion Biss versteht sich, denn während die Zirkus-Show mit Hugh Jackman nicht nur zu gleichen Teilen Liebesgeschichte und Appell an die Individualität und das Anderssein darstellt, ist der Oscar-Kandidat zudem eine Abrechnung mit dem herablassenden Teil des Kritikertums.
„’The Prom’“ setzt auf große Gesten, knallige Kostüme, Pomp und Übertreibung – und somit auf all das, wofür man das Musicalgenre, egal ob nun auf der Bühne oder der Leinwand, entweder liebt oder hasst.“
Auch in „The Prom“ ist es eine negative Zeitungskritik, durch die die Geschichte erst so richtig an Fahrt aufnimmt. Wenn Meryl Streep als gealterte Schauspieldiva Dee Dee Allen einige Szenen später versucht, ein größeres Hotelzimmer einzig und allein dadurch zu erhalten, indem sie dem Rezeptionisten ihre beiden gewonnen Tony-Awards auf den Tresen knallt (und die Suite am Ende trotzdem nicht bekommt), klingt da unterbewusst die im Showbusiness omnipräsente Bigotterie an: Eine einzelne, negative Kritik kann die Karriere eines Stars zerstören. Da erinnert man sich später auch nicht mehr daran, dass dieser früher mit Preisen überhäuft wurde. Dass ausgerechnet der durch eine Sitcom berühmt gewordene Trent einfach nicht von seinem Image als zweitklassiger Serienstar loskommt und nach wie vor nur als „der aus ‚Talk to the Hand‘“ wahrgenommen wird, unterstützt diese Aussage. Doch Scheinheiligkeit ist längst kein Broadway-exklusives Problem. Stattdessen ist sie, wie es im letzten Drittel Andrew Rannells äußerst amüsante Up-Tempo-Nummer „Love thy Neighbor“ (zu Deutsch: „Liebe deinen Nächsten“) verrät, zugleich die Triebfeder der eigentlichen Handlung. Da konfrontiert Trent Emmas diese aufgrund ihrer Homosexualität verstoßenen Mitschülerinnen und Mitschüler schon mal damit, dass Tattoos, Sex vor der Ehe oder Patchworkfamilien mindestens genauso gegen die Bibel verstoßen wie gleichgeschlechtliche Liebe, von den Kids aber ganz selbstverständlich gelebt werden, während Emma gemobbt und ausgegrenzt wird.
Gewiss ist das nie subtil, im Gegenteil: „Just Breathe“ (Emmas Erkenntnis, dass ein Outing im ländlichen Indiana deutlich schwieriger ist als in der sexuell wesentlich aufgeschlosseneren Großstadt), „The Acceptance Song“ (der Titel spricht für sich) oder „Alyssa Green“, in dem die von ihrer Mutter zur Perfektion gedrillte Alyssa darüber singt, nicht sie selbst sein zu können, verpacken ihre simplen Botschaften nicht zwischen, sondern auf den Zeilen – und gehen gerade dadurch direkt ins Ohr. Und so gefällt uns der Gedanke sehr, dass man die heranwachsende Generation von Netflix-Fans schon bald singend und tanzend Zeilen wie „Who cares what other People say. And when we’re through, Noone can convince us we were wrong. All it takes you and me.“ schmettern hört. Und ganz so abwegig ist diese Vorstellung auch gar nicht. Denn obwohl Meryl Streep, „Nicole Kidman („Lion“), James Corden („Cats“) und Andrew Rannells („Nur ein kleiner Gefallen“) die Gesichter sind, mit denen „The Prom“ nachvollziehbarer Weise beworben ist, ist es doch in erster Linie das Schicksal der von der herausragend natürlich aufspielenden Newcomerin Jo Ellen Pellman („The Deuce“), das dem Publikum zu Herzen geht und somit auch bei den Jüngeren Anklang finden dürfte. Und während Streep und Co. ihre Ängste vorm Abgehängtsein mit genügend Süffisanz anreichern, um die „First World Problem“-Mentalität ihrer Probleme zu unterstreichen, fehlt in der Auseinandersetzung mit Emmas Ausgrenzung jedwede Ironie: Dass dieses Mädchen nicht mit ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerin auf den Abschlussball darf, wird zwar mit viel Musik und Tanz aus der Welt geschafft, die Tragweite des Konflikts wird dadurch trotzdem nicht kleiner.
„Denn obwohl Meryl Streep, „Nicole Kidman, James Corden und Andrew Rannells die Gesichter sind, mit denen ‚The Prom‘ nachvollziehbarer Weise beworben ist, ist es doch in erster Linie das Schicksal der von der herausragend natürlich aufspielenden Newcomerin Jo Ellen Pellman, das dem Publikum zu Herzen geht und somit auch bei den Jüngeren Anklang finden dürfte.“
So selbstverständlich der Einbezug eines homosexuellen Pärchens in „The Prom“ auch ist, so klar und deutlich wird die im Film offensiv ausgetragene Homophobie behandelt. Dafür verkörpert Kerry Washington („Django Unchained“) mit ihrer Ablehnung gegenüber Emma weder einen karikaturesken Filmschurken noch einen durch und durch bösen Kontrahenten, sondern genau jenen Typ Mensch, für den die Nicht-Akzeptanz von Homosexuellen genauso selbstverständlich ist wie für unsereins eben die Akzeptanz. So hat man nie den Eindruck, hier einem extra für den Film zurechtgeschriebenen Konflikt beizuwohnen (das Musical „The Prom“ ist sogar an eine wahre Begebenheit angelehnt), sondern einem solchen, wie er jederzeit vorkommen kann. Nur dass in so einem Fall eben selten gesungen und getanzt wird, um ihn aus der Welt zu schaffen.
Genauso gut wie es Ryan Murphy und seinem Autorenteam aus Bob Martin („Sensitive Skin“) und Chad Beguelin (schrieb einen Großteil der Original-Songs von „The Prom“) gelingt, die leisen, dramatischen Töne des Films mit dem opulenten Spektakel zu kombinieren, gelingt es den Darstellerinnen und Darstellern, in ihren Performances zu variieren. Jede/r von ihnen überzeugt in den großen Gesten genauso wie im kleinen, zwischenmenschlichen Agieren – auch wenn längst nicht jeder Ton optimal sitzt. Gleichwohl macht das viel des eigentliches Reizes von „The Prom“ aus: Die Choreographien funktionieren einwandfrei (vor allem die Tanznummern mit möglichst vielen Statisten sehen verdammt gut aus!), die Kameraschwenks (Matthew Libatique, „A Star is born“) passen sich den Rhythmen der Songs an und trotzdem bleibt die Geschichte klein und intim, der Cast bis zuletzt immer einen Hauch unperfekt – und somit nahbar. Umso ansteckender ist ihre vor stolz geschwellter Brust hergetragene gute Laune. Da muss man einfach mitsingen und mittanzen.
Fazit: „The Prom“ ist der Gute-Laune-Film des Jahres und das Highlight unter den zahlreichen Netflix-Originalen 2020. Spektakulärer Pomp trifft auf sensible Zwischentöne, durchzogen von eingängigen Gesangs- und Tanznummern, an der der namhafte Cast sichtbar Spaß hat. Man sollte dem musicaltypischen Kitsch allerdings aufgeschlossen sein, um den Film in all seinen Facetten genießen zu können.
„The Prom“ ist ab dem 11. Dezember bei Netflix streambar.