Rebecca

Der bereits von Hitchcock verfilmte Romanklassiker REBECCA wurde nun zum Netflix-Drama von „High Rise“-Regisseur Ben Wheatley. Ob der Kostümfilm mit Armie Hammer und Lily James überzeugt, verraten wir in unserer Kritik.

OT: Rebecca (UK/USA 2020)

Der Plot

Eine junge, etwas naive, wiederholt vom Schicksal gebeutelte Gesellschafterin (Lily James) verliebt sich in Monte Carlo in den attraktiven sowie wohlhabenden Witwer Maxim de Winter (Armie Hammer). Er genießt die Lebensfreude, die sie ausstrahlt, und die ihm nach dem Tod seiner berühmten Gattin Rebecca überaus wohltut. Nach einer Blitzhochzeit nimmt das Liebesmärchen aber eine abrupte Wende: Nun zur neuen Mrs. de Winter geworden, fühlt sich die Frischvermählte im weitläufigen Anwesen Manderley deplatziert und verloren. Immer wieder wird ihr vorgeführt, sie habe nichts in solch hoher Gesellschaft zu suchen. Vor allem die finstere Haushälterin Mrs. Danvers (Kristin Scott Thomas) macht Mrs. de Winter das Leben schwer – durch ständige, garstige Kommentare. Und die andauernde Erinnerung an ihre geliebte Vorgängerin Rebecca…

Kritik

Walt Disney und Alfred Hitchcock haben so ihre Gemeinsamkeiten. Wie einen kollegial-freundlichen Neid aufeinander. Oder ihre das Zeitgefühl aushebelnde Wirkung ihres Vermächtnisses. Disney-Produktionen halten ihre Position in der Kultur deutlich länger als viele andere Filme – Kinder schauen noch heute Disney-Filme aus den 1930ern und 1940ern, während viele andere Kassenschlager aus jener Zeit nur noch cinephil veranlagte Menschen reizen. Hitchcock hat eine vergleichbare Wirkung auf unsere Wahrnehmung. Denn wer würde schon aus der Pistole geschossen darauf wetten, dass Hitchcocks „Rebecca“ mittlerweile geschlagene 80 Jahre alt ist? Den Film dürften zumindest im ersten Augenblick viele Leute jünger schätzen – schließlich stammt er von einem erfolgreichen Regisseur, dessen Einfluss bis heute spürbar ist und der doch erst 1980 gestorben ist. Also nach Beginn der „Star Wars“-Saga, die ja weiterhin das populäre Kino mitbestimmt. Aber so ist es nun einmal: Im popkulturellen Wirkungsbereich stellt der Faktor Zeit ein Stück Kaugummi dar. Mal wird es zusammen gequetscht, mal dehnt es sich enorm. Hitchcocks für elf Oscars nominierte, als bester Film und für die beste Schwarz-Weiß-Kameraarbeit ausgezeichnete Adaption von Daphne du Mauriers Roman „Rebecca“ kam 1940 heraus. Also vor 80 Jahren. Und das allein, welch Sakrileg es auch für manche Cineasten darstellen mag, qualifiziert die Schauerromanze mit Coming-of-Age-Elementen für eine erneute Verfilmung.

Mrs. de Winter (Lily James) und Maxim (Armie Hammer) lernen sich kennen…

Denn allein schon seit Hitchcocks Tod sind, geht man nach der Definition der Sozialforschung, zwei (!) Generationen herangewachsen (die Millennials und Gen Z). Da kann man sich ruhigen Gewissens erneut an den Stoff wagen – man zähle nur, wie viele Spider-Men allein in den vergangenen 20 Jahren durchs Kino krabbelten. Darüber hinaus, so traurig es auch sein mag, verschrecken die Wortfolgen „80 Jahre alt“ und „in Schwarz-Weiß“ nun einmal viele jüngere Filmneugierige. Es kann halt nicht alles den vollen Walt-Disney-Effekt haben. Das bedeutet auch: Es kann nicht schaden, durch einen Netflix-Film die Saat der Wissbegier zu säen, „wie der alte Film denn so war“. Und, um von Filmökonomie und Kinoerziehung mal abzuschweifen: Hitchcocks Film wurde noch unter dem moralisch strenge Richtlinien vorgebenden Hays Code gestaltet. Daphne du Mauriers im westlichen Filmgeschehen weder als britische Kostümfilm-Fernsehadaption, noch als scheuen italienischen TV-Streifen neu interpretiert zu sehen, sondern von einem für seine konsequenten Entscheidungen bekannten Charakterkopf, hat vollauf seine künstlerische Daseinsberechtigung und verspricht vorab großen Reiz. Wenn man mal seine „Hitchcock hat es berührt, nun darf niemand sonst mehr da dran“-Scheu ablegt.

„Es kann nicht schaden, durch einen Netflix-Film die Saat der Wissbegier zu säen, „wie der alte Film denn so war“.“

Und partiell wird das düster angehauchte Romantikdrama von „Free Fire“-Regisseur Ben Wheatley diesen Hoffnungen gerecht. So, wie Hitchcock durch Licht und Schatten sowie durch prunkvolle respektive einschüchternde Formen der Ausstattung verschiedene Stimmungen geschaffen hat, nutzt Wheatley nun Farbe, um Szenen mit Stimmungen zu versehen. Von sonnig-lichtdurchfluteten, weiten Räumen mit schimmernder, heller Einrichtung über das monochrome, filigran ausgestattete, aber auch beengenden Eindruck hinterlassene Zimmer der früheren Hausherrin Manderleys bis hin zu giftgrün-schwarzblauen Nachtsequenzen, die aus einem Horrorfilm stammen könnten: Die Farbkodierung der ausschweifenden Ausstattung, die ausdrucksstarken, schmucken Kostüme und die Lichtsetzung von Wheatleys Stammkameramann Laurie Rose („High-Rise“, „Kill List“) verleihen jeder Sequenz ihre eigene, hochkonzentrierte Stimmung, während der Film dank Wheatleys ruhiger Regieführung und der subtil-sinistren Musik von Clint Mansell („Noah“) eine schwarzromantische, tragisch-sehnsuchtsvolle Grundatmosphäre hat.

Was führt Mrs. Danvers (Kristin Scott Thomas) im Schilde?

Nun, frei vom Hays Code, kann sich der Film mehr an Daphne du Mauriers Romanende annähern. Und dass Wheatley, das Autorentrio Jane Goldman („Kingsman: The Golden Circle“), Joe Shrapnel („Jean Seberg“) und Anna Waterhouse („Zeit für Legenden“) sowie Schauspielerin Kristin Scott Thomas („Mrs. Taylor’s Singing Club“) Mrs. Danvers nicht derart offensichtlich-biestig wie im Hitchcock-Film anlegen, und dafür den Subtext der gefrusteten, enttäuschten Liebhaberin der Titelfigur graziler hervorkehren, ihn aber dennoch stilvoll im Halbdunkeln lassen, ist eine reizvolle künstlerische Entscheidung. Tun, was Hitchcock nicht derart tun konnte – sich aber nicht in „Für Netflix hau‘ ich 2020 aber auf die Kacke“-Exzess verfallen… Doch leider wirkt Wheatleys „Rebecca“ sonst wie ein Projekt, dass der Regisseur mit angezogener Handbremse umgesetzt hat. Abseits eines Balls, der für Lily James‘ („Cinderella“) Figur nach einem blamablen Auftritt zum Infernowalzer des Selbsthasses wird, ist dieser Film frustrierend zäh. Das Erzähltempo mag auf dem Papier nah an Hitchcocks sein – die Handlungs-Wendepunkte geschehen jeweils zu einem vergleichbaren Zeitpunkt. Doch bei Hitchcock geschah zwischen den Wendepunkten einfach mehr.

„Dass in Wheatleys Film viele Nebenfiguren weniger schillernd und überspitzt sind als bei Hitchcock, hemmt diese „Rebecca“-Version enorm. Und wenn dann die hochdramatischen Wendepunkte, Twists und gelegentlichen inszenatorisch mutigeren Einfälle kommen, stechen sie absurd hervor.“

Seine Protagonistin beginnt den Film mädchenhafter, blauäugiger und hoffnungsvoller, so dass die Art, wie sie auf Manderley runtergebuttert wird, mehr schmerzt. Und es führt dazu, dass sie sich die raren Augenblicke, in denen sie die Oberhand gewinnt, härter erarbeitet. In Wheatleys Film beginnt James‘ etwas tapsige, aber smarte Rolle die Geschichte fast so, wie sie sie beendet – sie wird nur im Laufe der Story etwas geschickter und ihr gesellschaftlicher Rang ändert sich (was aber nicht der Kernpunkt der Geschichte ist). Das ist monoton und macht manche Augenblicke, in denen Rebecca hilflos dasteht, unplausibel. Ähnlich verhält es sich mit Armie Hammer („Nocturnal Animals“) als Witwer de Winter: Er ist zu Beginn des Films ein Mann von Welt, der manchmal leicht grimmig wirkt – für sehr kurze Augenblicke. So bleibt es dann auch, trotz mancher Enthüllung. Dass in Wheatleys Film obendrein viele Nebenfiguren weniger schillernd und überspitzt sind als bei Hitchcock, hemmt diese „Rebecca“-Version enorm. Und wenn dann die hochdramatischen Wendepunkte, Twists und gelegentlichen inszenatorisch mutigeren Einfälle kommen, stechen sie absurd hervor. Ohne, dass sie weiterhin tonale Konsequenzen tragen würden. Das nimmt nicht nur der Story ihren eigentlichen Sinn, sondern lässt diese eigentlich so prägnante Prämisse nur so dahinplätschern.

Fazit: Ben Wheatleys „Rebecca“ ist ein stilvoll gestaltetes, zäh erzähltes Kostüm-Romantikdrama, in dem Spurenelemente des Themas Obsession vorkommen, die die Vorlage und Hitchcocks Adaption ausmachen. Diese Spurenelemente konzentrieren sich auf ein paar Szenen und werden daraufhin wieder fortgespült, statt solch einen dominanten Schatten zu werfen, wie es die Titelfigur und der Sinn dieser Handlung fordern würden.

„Rebecca“ ist ab sofort bei Netflix streambar.

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