Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 1

Francis Lawrence begibt sich mit DIE TRIBUTE VON PANEM – MOCKINGJAY, TEIL 1 auf die schwierige Mission, den ersten Part eines zweiteiligen Finals zu kreieren, dass eine weltweite Erfolgsgeschichte zu Ende erzählt. Dabei macht der Regisseur, der auch den Nachfolger inszenieren wird, nicht bloß so ziemlich alles richtig, sondern schafft es sogar, mit seinem Projekt einen ganz neuen Weg im Young-Adult-Kino einzuschlagen. Mehr dazu in meiner Kritik.

Die Tribute von Panem - Mockingjay, Teil 1

Der Plot

Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) konnte von den Rebellen aus der Arena gerettet werden und in dem zerstört geglaubten Distrikt 13 in Sicherheit gebracht werden. Für die unterdrückte Gesellschaft wird sie zur heroischen Symbolfigur des Aufstands gegen das Kapitol. Als der Krieg ausbricht, der das Schicksal Panems für immer bestimmen wird, muss Katniss sich entscheiden: Kann sie den Rebellen rund um Präsidentin Coin (Julianne Moore) trauen? Und was kann sie tun, um Peeta (Josh Hutcherson) aus den Fängen des Kapitols zu retten und Panem in eine bessere Zukunft zu führen?

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Kritik

Die Entscheidung eines Filmstudios, das Finale einer Romanvorlage für die Leinwand in zwei Teile zu splitten, ist bisweilen keine leichte. Wenngleich sich das erwartete Einspiel so mit einem simplen Trick mehr als verdoppeln lässt, läuft das fertige Produkt rasch Gefahr, zwangsläufig an Qualität einzubüßen. Sowohl „Harry Potter“, dessen Heptalogie 2010 dieses Konzept etablierte, als auch die „Twilight“-Saga mussten für ihre Umsetzung als zweiteiliger Schlussakt von vielen Seiten Häme einstecken. Auch deshalb, da die Macher der ohnehin belächelten Vampirschmonzette im Rahmen ihres dritten Teils gar ganz auf die Bremse drückten und die knapp zweistündige Laufzeit mit schier endlosen Dialogen bestückten. Als Teil eines Finales funktionierte „Breaking Dawn – Bis zum Ende der Nacht, Teil 1“ somit nicht im Geringsten; Der Inhalt der Handlung ließ sich schlicht auf rund eine Viertelstunde herunter brechen. Auch der erste Part von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ diente lediglich zum dramatischen Aufbau eines fulminanten Schlusskampfes innerhalb des zweiten Teils und wird von vielen als schwächster Film der Reihe bezeichnet. Peter Jackson treibt das Unterfangen der Romansplittung derweil mit seiner „Hobbit“-Trilogie auf die Spitze. Zur Erklärung: Aus einer knapp 350-Seiten-starken Vorlage macht der Hollywoodvisionär nicht bloß zwei, sondern gar drei epische Blockbuster, die mit „Die Schlacht der fünf Heere“ im Winter dieses Jahres einen krönenden Abschluss finden sollen. Es ist also ein wahrlich schweres Los, das Regisseur Francis Lawrence („I Am Legend“) mit seiner Umsetzung von „Die Tribute von Panem: Mockingjay“ gezogen hat. Auch er bekam die Aufgabe, den Abschluss der Trilogie auf zwei Filme aufzuteilen – und zeigt all seinen, an diesem Projekt gescheiterten Kollegen, wie es richtig geht.

Die Tribute von Panem - Mockingjay, Teil 1

Mit ihrer Adaption des als Young-Adult-Abenteuer-Reihe gestarteten Franchises „Die Tribute von Panem“ etablierten die Macher im Jahr 2012 nicht bloß das Subgenre der Jugenddistopie, sondern traten eine Erfolgswelle los, die nach dem vernarbten Zauberlehrling zu den eindrucksvollsten des neuen Jahrtausends gehört. Nicht nur, dass sich die Reihe mit jedem Film mehr Respekt unter den Zuschauern verdient; auch Tonfall und Qualität der einzelnen Produktionen fallen von Mal zu Mal tiefsinniger und somit auch von Skeptikern beachtenswerter aus. Was als vermeintliche Fortführung des von „Twilight“ und Co. losgetretenen Romantasy-Trends begann, ist aufgrund der sich verstärkt auf den satirischen Unterbau konzentrierenden Politthematik aktueller denn je. Dies unterstreicht auch das Plotkonzept von „Mockingjay, Teil 1“: Die Macher machen aus ihrer vermeintlichen Not des Zweiteilers eine Tugend und nutzen den sich auf zwei Filme ausbreitenden Platz, um sich verstärkt mit den Charakterentwicklungen zu beschäftigen. Gleichzeitig offenbart das Drehbuch von Peter Craig („The Town – Stadt ohne Gnade“) und Danny Strong („Der Butler“) genug Raum für das Entstehen dramatischer Fallhöhen. „Mockingjay, Teil 1“ seziert die Mechanismen moderner (Anti-)Kriegspropaganda und reichert diese mit genau so viel satirischer Spitze an, dass die Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen fast schon erdrückend nüchtern daherkommen. Image ist alles – nie passte dieser Leitsatz so perfekt auf einen Film, wie auf den dritten Teil der „Die Tribute von Panem“-Reihe.

Jennifer Lawrence

Die Angst, dass dieser Touch des Kriegs- und Politthrillers dem einstigen Teeniefilm-Image aufgrund des erstaunlich humorbefreiten Grundtons mehr schaden denn nutzen könnte, ist auf der einen Seite zwar keine weit hergeholte Befürchtung. Andererseits öffnet sich das Franchise somit gleichsam einer noch größeren Zielgruppe. „Mockingjay, Teil 1“ widmet sich mit viel Akribie und Liebe zum (perfiden) Detail einem Thema, dem sich das moderne Blockbusterkino normalerweise verschließt. Darüber hinaus sorgen die dem Publikum immer mehr ans Herz wachsenden Figuren sowie das ebenso temporeiche wie atmosphärisch dichte und unberechenbare Skript für eine trotz aller Tragik angenehme Zugänglichkeit des Stoffes. Wenngleich Teil eins bereits andeutet, dass der epochale Final Fight ausschließlich im zweiten Teil abgehandelt werden soll, so macht die am kommenden Donnerstag in den Kinos startende Einleitung der Ereignisse dennoch deutlich, dass ohne sie nichts funktionieren würde. So werden sich Psychoduelle geliefert, Pläne geschmiedet und Taktiken ausprobiert. Das Image des Spotttölpels erhält sein Profil, gleichzeitig herrschen stete Spannungen innerhalb der rebellierenden Gemeinschaft in Distrikt 13.  Die zwei Stunden Laufzeit sind voll mit Handlung. Und das, obwohl visuell wenig passiert. Etwaige Action- und Kampfchoreographien, wie man sie noch in den ersten beiden Teilen sah, fehlen in „Mockingjay, Teil 1“ fast völlig und dienen in den entscheidenden Momenten einzig und allein dem Storyfortschritt. Diesmal liegt das Hauptaugenmerk weniger auf dem Effekt, denn auf der tragischen Emotion. So werden Szenen, in denen Katniss ein Lazarett besucht, oder sich die gegen das Capitol auflehnenden Rebellen im Chor zum Angriff antreten, zu ebenjenen epischen Momenten, zu denen in „The Hunger Games“ und „Catching Fire“ etwa die Einfahrt in die Arena gehörten.

Philip Seymour Hoffman

Bevorzugt ist es auch in „Mockingjay, Teil 1“ wieder Katniss respektive Oscar-Gewinnerin Jennifer Lawrence („Silver Linings“, „American Hustle“), auf der nahezu die gesamte Handlung lastet. Zwar ist das Skript gar nicht mal so sehr auf Katniss als Alleinunterhalterin angelegt; Vielmehr ist es einmal mehr die herausragende Leistung der Schauspielerin, neben der selbst der mittlerweile leider verstorbene Philip Seymour Hoffman („A Most Wanted Man“) blass aussieht. Hoffmann, der während der Dreharbeiten zu „Mockingjay“ auf tragische Weise ums Leben kam, verleiht seiner Rolle in den wenigen Momenten seines Auftritts das Höchstmaß an Einfluss auf das Geschehen. Seine Figur des Spielmachers und Anführers der Untergrund-Rebellion bietet den notwendigen Halt für alle Beteiligten. Gleichzeitig kombiniert Seymour Hoffmann sein Spiel gekonnt mit ebenjener Autorität, die es braucht, um ein solches Unterfangen sicher am Laufen halten zu können. Ihm zur Seite steht in „Mockingjay, Teil 1“ erstmals auch Julianne Moore („Maps to the Stars“) in der Rolle der Präsidentin Alma Coin. Zunächst noch nahezu im Autopilot agierend, werden sie und ihre Art der Ansprachen über den Film hinweg von den ambivalenten Ereignissen geformt. Zu guter Letzt beeindruckt insbesondere Josh Hutcherson („Die Reise zur geheimnisvollen Insel“) als mittlerweile vom Capitol gebrochener Peeta Mellarck, auf dessen Leistung aus Spoilergründen an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll.

Auf technischer Ebene verbindet „Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 1“ die Stärken aus Teil zwei mit den Vorzügen moderner Dystopie-Blockbuster. Zu weiten Teilen in Berlin gedreht, beeindrucken vor allem die bombastischen Sets der zerstörten Distrikte, die CGI und Greenscreen nur ganz punktuell notwendig machen. Insbesondere die animierten Hovercrafts fügen sich unaufdringlich in die ansonsten sehr handgemacht daherkommende Atmosphäre ein. Kameramann Jo Willems, der auch schon für „Catching Fire“ zuständig war, bleibt seinem übersichtlichen Stil treu und konzentriert sich ganz darauf, selbst in den actionlastigeren Momenten ruhig zu agieren. Mit den teils sehr verwackelten Aufnahmen aus „The Hunger Games“ hat „Mockingjay, Teil 1“ nichts mehr zu tun. Musikalisch fällt weniger der für einen Streifen solchen Kalibers eher unauffällig bleibende Score von James Newton Howard („Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis“) ins Gewicht. Stattdessen darf Jennifer Lawrence die musikalische Gestaltung ihres Films an einer Stelle selbst in die Hand nehmen – ein wahrer Gänsehautmoment, der ganz nebenher eine weitere Stärke der immer weiter aufstrebenden Aktrice offenbart.

Ein Blick in Distrikt 13.

Ein Blick in Distrikt 13.

Fazit: Mit „Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 1“ ist dem Regisseur Francis Lawrence kein dröger Auftakt zum eigentlichen Finale gelungen, sondern ein eigenständig für sich funktionierender Film, der den modernen Blockbuster auf eine intellektuelle Ebene hievt, von der gerade das jugendaffine Kino bislang nur träumen konnte. „Mockingjay, Teil 1“ ist nicht nur der bislang beste Teil der Reihe, sondern unterstreicht seine Daseinsberechtigung als Film, der sich langsam aber sicher von seiner ursprünglich anvisierten Zielgruppe losgesagt hat. „Die Tribute von Panem“ ist zu einem Franchise geworden, von dem schlichtweg jede Altersgruppe noch etwas lernen kann.

„Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 1“ ist ab dem 20. November bundesweit in den Kinos zu sehen.

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